Liebe Gemeinde!
Wohl keine Zeit im Jahreskreis ist so durch Musik und Lieder geprägt wie der Advent und die Weihnachtszeit. Advent ohne “Macht hoch die Tür” oder Weihnachten ohne “Es ist ein Ros entsprungen” oder “Stille Nacht, heilige Nacht” ist für die meisten gar nicht vorstellbar. Wir singen diese Weihnachtslieder in den Gottesdiensten unserer Gemeinden und natürlich auch in Sankt Familia, weil gerade in ihnen das Wesentliche des Festgeheimnisses kurz und prägnant auf den Punkt gebracht wird.
In einer Zeitschrift bin ich jetzt auf ein ungewöhnliches “Weihnachtslied” gestoßen (Wolfgang Raible, Anzeiger für die Seelsorge): “Anthem” gesungen von Leonhard Cohen. In ihm heißt es an einer Stelle “There is a crack in everything, that`s how the ligths get in” - auf Deutsch: “Alles hat irgendwo einen Riss, aber genau das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt.”
Ein genialer Satz, mit dem das Weihnachtsgeschehen auf den Punkt gebracht ist. Ein Satz, den man sich leicht merken kann, der geradezu zu einer Interpretationshilfe und zur Deutung von Weihnachten werden kann.
Unsere Welt ist in so vielen Bereichen zerrissen, gespalten, brüchig und unvollkommen. Wir erleben das oft genug im persönlichen Leben, in den kleinen und großen Beziehungskrisen von Partnerschaften, Ehen, Familie, Freundschaften. Dass, was unsere Gesellschaft in vielen Bereichen prägt gibt es natürlich auch in unserer Gemeinde Sankt Familia. Menschen erleben sich gebrochen, kaputt, verwundet. Im biblischen Bild gesprochen könnten wir formulieren, dass wir Menschen sind, ein Volk sind, das “im Dunkeln lebt” (Jes 9,1).
Weihnachten feiern wir, dass genau in dieses Dunkel ein “helles Licht” (Jes 9,1) aufscheint; dass Gott selber durch die Risse, die Bruchstellen, durch das Dunkel unseres Lebens zu uns kommt und in uns Heimat nimmt.
Ich denke an den Riss, der durch unsere Welt geht und der durch die Flüchtlinge sichtbar wird: Menschen, die aufgrund von Kriegen, die mit deutschen und europäischen Waffen geführt werden, die aufgrund von Hunger und Ungleichheit, von denen westliche Länder profitieren, ihre Heimat verloren haben. Fast täglich stehen Flüchtlinge bei uns vor der Pfarrhaustür und bitten um Aufnahme. Das ist kein katechetisches, romantisches Spiel, wie wir es am Heilig Abend bei der “Herbergssuche” der Heiligen Familie für unsere Kinder inszenieren. Das ist bittererer Ernst, den verzweifelte Menschen erleben. Und in einem unserer Weihnachtslieder heißt es ganz treffend: “Ich lag in tiefster Todesnacht; du warest meine Sonne!” – Der Glaube ist tatsächlich oft für diese verlorenen Menschen der letzte Halt.
Ich denke an den Riss der Krankheit, den Menschen erleben müssen; einer Krankheit, die nicht mehr geheilt werden kann. Oder den Riss der Einsamkeit, den der Tod des geliebten Menschen mit sich bringt, die tiefe Trauer, die den ganzen bisherigen Lebenssinn bedroht. Welches Geschenk, wenn die Schwerkranken, die Einsamen, die Trauernden dann dazu finden können: “Ich danke dir, du wahre Sonne, dass mir dein Glanz hat Licht gebracht!”.
Ich denke auch an den Riss, der immer noch durch unsere Kirche geht. Sexueller Missbrauch, Klerikalismus, Lieblosigkeit stehen der Glaubwürdigkeit der Frohen Botschaft so oft entgegen. Und da ist immer noch die unerträgliche Spaltung der Kirche in verschiedenste Konfessionen, die immer noch nicht zueinander finden können und manchmal auch nicht zueinander finden wollen. Sie kann uns für das Bewusstsein öffnen, dass nicht wir das Heil verwalten, sondern dass Christus sich uns “zu eigen” gemacht hat, “da ich noch nicht geboren war”, wie es in der zweiten Strophe des schönen Weihnachtsliedes „Ich steh an deiner Krippe hier“ formuliert ist.
Menschen können erfahren, dass der unheilbare Riss des Lebens einen Raum schafft für ein unvergängliches Licht: für die Botschaft, die alles menschliche Verstehen und alles menschliche Vermögen übersteigt.
“Alles hat irgendwo einen Riss, aber genau das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt”, singt Leonhard Cohen. Wer diese Aussage als wahr erlebt hat, wie Leonhard Cohen, dessen Leben wahrhaftig von vielen Brüchen geprägt ist, der hat wirklich verstanden, was Weihnachten bedeutet: “Menschen, die ihr wart verloren, lebet auf, erfreuet euch!”
Wir wünschen Ihnen gesegnete und erfüllte Weihnachtstage
Harald Fischer Birgit Weber Vanessa Sadura Nicole Gotthardt
(Pfarrer) (Gemeindereferentin) (Gemeindeassistentin) (Sekretärin)