20. April 2008, 5. Sonntag der Osterzeit
Apg 6, 1 - 17
 
 
Lesung aus der Apostelgeschichte (6, 1-7):

In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger zunahm, begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden.
Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: Es ist nicht recht, daß wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben.
Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde, und sie wählten Stephanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia. Sie ließen sie vor die Apostel hintreten, und diese beteten und legten ihnen die Hände auf. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer; auch eine große Anzahl von den Priestern nahm gehorsam den Glauben an.
 
 
 
Liebe Mitchristen!
 
In der ersten Lesung hörten wir von der Berufung der sieben Männer für den Dienst an den Tischen der Jerusalemer Urgemeinde. Dieses Ereignis gilt als der Beginn dessen, was man in unserer Kirche Diakonie nennt, also der Dienst an und für arme, benachteiligte, Not leidende Menschen. (Insofern ist es ein schöner Zufall, dass uns die Leseordnung diesen Text gerade für den Sonntag bietet, an dem sich Ihnen ein neuer (und alter) Ständiger Diakon vorstellt).
 
Die Sieben, denen die Apostel die Hände auflegten, gelten als die Vorläufer der Diakone, also derjenigen, die gewissermaßen „amtlich“ mit dem Dienst für die benachteiligten Menschen beauftragt wurden.
 
Dabei könnte einen der Begriff „Amt“ oder „amtlich“ aufhorchen lassen. Tatsächlich führt uns der Bericht aus der Apostelgeschichte zu einem entscheidenden Moment in der Geschichte der Jüngerinnen und Jünger des Auferstandenen zurück.
 
Es ist der Moment, in dem eine charismatische, also vom Geist Gottes gestiftete und bewegte Gemeinschaft sich in die bestehenden Verhältnisse einbindet und nach praktikablen Lösungen für das alltägliche Leben in diesen Verhältnissen sucht.
 
Das ist keineswegs selbstverständlich, kennen wir doch aus dem Neuen Testament viele Hinweise, dass die Menschen, die den Gekreuzigten und Auferstandenen als den Messias erkannten, mit seiner unmittelbaren Wiederkunft und damit dem Ende von Zeit und Geschichte rechneten.
 
Nun aber gilt es, mit den Problemen und Fragen der Gegenwart umzugehen, aus dem Glauben und der Hoffnung heraus und unter dem Vorzeichen der von Gott erfahrenen Liebe und Hingabe die richtigen Antworten zu finden. Dabei möge aber bitte die Sehnsucht und das Verlangen nach der Wiederkunft des Herrn, nach der Erfüllung dessen, was nur Gott schenken kann, nicht verloren gehen. „Maranatha“ - Komm Herr Jesus, komm und säume nicht!
 
Diese Spannung ist hoch aktuell: Wir versuchen uns aufzurichten - jetzt in dieser Zeit im Blick auf den Auferstandenen, in gottesdienstlicher Feier, in Meditation und Schriftbetrachtung - und wir richten uns ein - in den Leitungsgremien der Gemeinde, im Pastoralverbund, als kirchlicher Akteur im kulturellen und sozialen Leben unserer Stadt (um den Bereich zu nennen, in den mich die neue Beauftragung führt).
 
Zeiten und Verhältnisse ändern sich. Alte Antworten passen mitunter nicht mehr auf neue Situationen. Da gibt es Menschen, die nicht im Blick sind, oder die vergessen werden. Damals waren das die Witwen der Hellenisten, also diejenigen, die aus einer fremden Kultur zum Glauben an den Auferstandenen gefunden haben.
 
Welche Menschen haben wir heute nicht im Blick? Wenn man sich das soziologische Profil unserer Gemeinden anschaut, wird man zum Ergebnis kommen, dass da nur Menschen aus einem bestimmten Teil unserer Gesellschaft den Weg hierher finden und auch beständig gehen. Immer größere Gruppen der Gesellschaft finden keinen Kontakt und haben anscheinend auch überhaupt kein Bedürfnis dafür.
 
Genauso wie damals verlangen veränderte Situationen die Suche nach neuen Antworten. Dies ist der Grund, dass wir verstärkt auf fernstehende Menschen schauen möchten. Wir möchten versuchen, ihnen zu begegnen, Räume für Kontakt und Austausch zu eröffnen. Es ist das, was heute mit dem Begriff der „City-Pastoral“ gemeint ist.
 
Als die Apostel mit der neuen Situation der Gruppe der zu wenig beachteten Witwen konfrontiert wurden, da tat sich in ihnen dieselbe Spannung noch einmal ganz konkret auf.
 
„Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen.“
 
Modern gesprochen: Hat es weiterhin Sinn, dass die Kirche beispielsweise Altenheime betreibt, denen unter dem Diktat der kaum noch auskömmlichen Pflegesätze und der Dokumentationspflichten immer weniger Raum für eigenes christliches Profil bleibt? Sollte nicht vielmehr unter dem Eindruck zurückgehender Mitgliederzahlen und Finanzen alles Gewicht auf die Verkündigung gelegt werden?
 
Angefangen mit der Beauftragung der Sieben war das aber nicht die Antwort der entstehenden Kirche. Im Gegenteil: Zwei Merkmale zeichneten die frühen Christen aus: Sie sind erfüllt von unbändiger Freude und Zuversicht.
 
Gott hat sich ein für allemal auf ihre Seite gestellt, das hat er gezeigt in seinem Sohn Jesus Christus. Gott wird die Seinen auch an der Auferstehung Jesu Christi teilhaben lassen, insofern brauchen sie für die Zukunft nichts und niemanden mehr zu fürchten.
 
Diese unbändige Freude über ihre von Gott geschenkte Erlösung (Befreiung von den Mächten des Todes und der Finsternis) lässt die frühen Christen aber keineswegs abgehoben und weltfremd werden. Im Gegenteil: Sie bekommen einen wachen Blick auf die Not in der Welt und auf die Not der Menschen.
 
Was sie als Geschenk empfangen haben, möchten sie weiter geben. In der Linderung ihrer Not sollen alle Menschen etwas von der Güte Gottes und vom Anbruch seines Reiches erfahren können.
 
Dieses Anliegen wurde der Kirche so wichtig, dass sie das Amt des Diakons einführte. Allerdings verkam dieses Amt im Lauf der Kirchengeschichte zu einer Durchgangsstation zum Priesteramt. Erst das Zweite Vatikanische Konzil hat den Diakonat als eigenständigen Dienst wieder eingeführt. In unserem Bistum wächst die Zahl der Ständigen Diakone. Am Pfingstsamstag werden in Fulda sieben Ständige Diakone geweiht.
 
Ständige Diakone, das sind Männer (werden es in Zukunft vielleicht auch einmal Frauen sein dürfen?), die in Familie, Beruf und Gemeinde ihren Weg gehen, und die dabei aufmerksam wurden für den Ruf Gottes. Diese Berufung führt sie innerhalb der Kirche an die Seite der Armen und Ausgegrenzten.
 
Nun ist in Ihrer Gemeinde also nach Ludger Verst wieder ein ständiger Diakon. Ich bin bei Ihnen neu und zugleich alt. Denn die ersten Schritte in der Kirche habe ich vor etlichen Jahren hier tun dürfen. Insofern ist mein Dienstauftrag auch so etwas wie eine Rückkehr in alte Heimat. Hier bei Ihnen bin ich gleichsam ehrenamtlich - im Hauptberuf Gefängnisseelsorger und jetzt neu in der Arbeit für kulturelle Aktivitäten der Kirche und im Blick auf eine aufzubauende City-Pastoral. Beide Felder sind insofern ur-diakonisch, weil sie zu den Menschen am Rand und zu den der Kirche Fernstehenden führen.
 
Erinnern wir uns an das, was uns die heutige Lesung aus der Apostelgeschichte mit auf den Weg gibt: Wir gehen als Kirche und Gemeinde unseren Weg in der Perspektive auf Gott und im wachen Blick auf unsere eigene Realität und die der Menschen um uns herum. Uns ist es wichtig, die Verbindung nicht abreißen zu lassen („wir wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben“, so sagten es damals die Apostel). Gleichzeitig wollen wir denen in Not mit Phantasie und Tatkraft helfen, damit auch sie Kraft und Zuversicht gewinnen.
 
Jesus verspricht den Seinen Unfassbares. Wir hörten es am Schluss des Evangeliums: „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen.“
 
Ich freue mich darüber, in dieser Zuversicht mit Ihnen gemeinsam auf dem Weg zu sein.
 
Amen.
 
Dietrich Fröba