23. März 2008, Osternacht 2008
 
 
Eigentlich ist es noch keine richtige Osterbotschaft, die wir heute Nacht im ersten Teil des Evangeliums hören.
 
Hier begleiten wir Menschen auf dem Weg ihrer Trauer. Die Frauen, von denen uns das Evangelium erzählt, gehen zum Grab, um loszulassen, was ihre Lebenshoffnung war. Es ist ein schwerer Weg, den sie da gehen müssen. Schwer, weil sie keine Hoffnung begleitet.
 
Aber auf einmal ergeht dort am Grab, gerade am Grab, am Ort ihrer Trauer und Hoffnungslosigkeit, eine neue Botschaft an sie. Es ist eine Botschaft, die sie zunächst verwirrt, erschrickt, aber die sie nicht verstehen, ja, nicht verstehen können. Sie hören etwas, aber sie haben das, was sie hören, noch nicht erfahren.
 
Eine ganze Wegstrecke können wir die Frauen wohl begleiten und mit ihnen gehen. Viele von uns haben in ihrem eigenen Leben schon etwas zu Grabe getragen: Menschen, die uns wichtig waren und die unser Leben geteilt haben, die es heil und licht gemacht haben.
 
Zu Grabe getragen haben aber viele von uns auch eigene Ideale, Hoffnungen, die mit dem Leben verbunden waren, persönliche Wünsche und Vorstellungen, von denen wir manchmal meinten, ohne sie nicht weiterleben zu können.
 
Und doch mussten sie losgelassen werden. Und manche von uns erleben - vielleicht gerade heute - ihren ganz persönlichen Karsamstag, die Zeit nach einem solchen Verlust. Die Zeit der Trauer, die so schwer auszuhalten ist, weil sich überhaupt noch nicht zeigt, ob etwas Neues wächst und ob oder wie das Leben weitergehen kann.
 
Aber viele haben auch in ihrem persönlichen, alltäglichen Leben erfahren und bejahen es auch, dass der Schmerz ein Teil des Lebens ist. Sie wissen: Wenn wir das Loslassen nicht einüben kann nichts Neues wachsen.
 
Ja, Auferstehung ist auch eine Alltagserfahrung und es ist wunderbar, wenn wir das so erfahren können.
 
Aber hier, in unserem Evangelium, in dieser Nacht, geht es um mehr, um viel mehr. Und dieses "mehr" das ist sprachlich so schwer zu fassen. Man muß immer wieder Bilder bemühen, Zeichen, Symbole, die tiefer greifen und mehr ausdrücken, als unsere Sprache es kann.
 
Der Engel im Text des Evangeliums ist ein solches Symbol. Er deutet an: Hier, in der Rede von der Auferstehung Jesu, ist nicht nur von dem normalen Wachstumsprozess des Lebens die Rede, von Sterben und Neuwerden, von Wachsen und Reifen.
 
Hier wird unsere menschliche Erfahrung überstiegen. Hier geht es um Gottes Wirken, das sich in Jesus und an ihm zeigt.
 
"Fürchtet euch nicht!
 
Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“
 
Wunderbar, diese Worte, die der Engel zu uns sagt.  Es sind Worte, die uns sagen, was wir in Jesus finden.
 
Sie machen uns deutlich: seine Botschaft vom Reich Gottes, seine Liebe zu den Menschen, seine Art, sich den Menschen zuzuwenden, seine Zukunft für jeden einzelnen Menschen, das alles ist nicht totzukriegen.
 
Es ist nicht totzukriegen! Aber nicht nur seine Botschaft hat Bestand sondern - und daran hängt alles - ER ist nicht totzukriegen.
 
Auferstehung ist nicht nur eine Bildrede über Jesus und seine Botschaft, sondern die Rede davon bezeugt, dass wir mit unserer Nachfolge zu einem Lebenden gehören.
 
„Er ist nicht hier!", sagt der Engel.
 
Die Frage, „Wo ist er denn?“ drängt sich unweigerlich auf. Auch das ist schwer in Worte, in Formeln zu fassen. Auch hier geht es um Erfahrung.
 
Der Engel sagt den Frauen etwas, aber sie müssen es selber erleben, sie müssen Ihn selber erleben.
 
Durch die Worte der Boten werden sie offen für eine Erfahrung, die ihren eigenen persönlichen Lebenshorizont übersteigt. Und insofern brauchen sie diese Worte, diese Hinweise. Aber sie sind noch nicht die Begegnung, die Erfahrung selber.
 
Wie die Frauen hören wir heute Nacht etwas - aber wir müssen das, wovon diese Worte sprechen, in unserem Leben selber als Wahrheit erfahren.
 
Der Weg vom Grab führt in die bewusste Alltagserfahrung des Glaubens.
 
Der zweite Teil des Evangelium zeigt uns die Offenbarung des auferstanden Christus, der sich von den Frauen „be-greifen“ lässt: „Sie gingen auf Ihn zu, warfen sich vor ihm nieder und umfassten seine Füße.“
 
Es ist die Stimme des Auferstandenen, die den ersten Zeuginnen den Weg nach Galiläa weist. Dort soll der Ort der Gottesbegegnung mit dem Auferstandenen sein. Und Galiläa steht für den Lebensalltag der Jünger. Dort hat sich ihr Leben abgespielt.
 
Vielleicht begegnen uns in unserem Alltag, wie damals den Frauen und den Jüngern, Menschen, die uns Hinweise geben können, die uns helfen.
 
Vielleicht sind es Menschen, die eine Ausstrahlung haben. Aber wir müssen eine eigene Erfahrung machen, um wirklich zum Glauben kommen zu können.
 
Wo können wir das? Vielleicht hier, vielleicht in dieser Nacht. Vielleicht geht uns in dieser Stunde etwas von dem auf, was Jesus gemeint hat, als er zu den Seinen gesagt hat: Wo zwei oder drei - oder mehr - in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
 
Vielleicht erfahren wir in dieser Nacht neu etwas von der Bedeutung seiner Worte beim Letzten Abendmahl: "Da, mein Leib! Da, mein Blut! Ich für Euch!"
 
Vielleicht erlebe ich etwas von Ihm: in meiner Gemeinde, oder in der Begegnung mit einem Menschen, der mir lieb und wichtig ist, oder in mir selber.
 
Vielleicht ist es mir geschenkt, auf eine dieser Weisen oder noch ganz anders zu der Erfahrung zu kommen: "Jesus lebt!"
 
Es ist ein Wagnis des Vertrauens und es ist durchaus verständlich, wenn so manch einer angesichts eines solchen Glaubensbekenntnis wie die Jünger sagt: "Geschwätz!"
 
Und doch gibt es auch heute, auch hier bei uns, auch im alltäglichen Leben unserer Gemeinde nicht wenige, die bezeugen können: "Ich habe ihn gesehen. Er lebt!".
 
Amen
 
Harald Fischer