Ps 127, Apg 2,1-13 (Pfingsten)

Liebe Festgemeinde!
Natürlich will der Beter des Psalms nicht wörtlich verstanden sein: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut.“ Es drückt jedenfalls kein grundsätzliches Misstrauen aus gegenüber Architekten und Handwerkern! Vielmehr: Es mahnt eine spirituelle Haltung an, und die scheint mir für unsere Einweihungsfeier heute von Bedeutung!

Ich glaube, die Pfingsterzählung, die wir eben von Schwester Elisabeth gehört haben, kann uns helfen zu verstehen, was das Psalmwort uns heute sagen könnte.

Die Szene: Ein Haus in Jerusalem. Menschen darin; Menschen in Angst; sie haben eine Katastrophenerfahrung hinter sich; einen Zusammenbruch erlebt, eine Verlusterfahrung; in ihrer eigenen Feigheit auch eine Erfahrung von Schuld und Versagen; niemand trägt eine öffnende, befreiende Vision vor; keine Leben tragende Perspektive. Nach dem Zusammenbruch des Karfreitags: Geistlosigkeit.

Dann ein völlig unerwartetes, unerhörtes Geschehen, auch ambivalent in seiner Bewertung, der Text gibt dies am Ende zu erkennen: „Feuerzungen vom Himmel, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder; alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt.“

Was ist der Geist Gottes? Was kann, was will er bewirken? Und: Woran könnten Menschen erkennen, dass wir Lernende und Lehrende in unserer Engelsburg im Geist Gottes leben und handeln?

Drei kurze Gedanken:
1.    „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden“, erzählt die Apg. Natürlich liegt hier das Modell eines idealen kommunikativen Geschehens vor; die Skizze einer Modellgemeinde; eine Skizze mit einem offenkundig werbenden Bild. Diesen exegetischen Befund einmal außer Acht lassend: Von welcher geistlichen Haltung ist hier die Rede? Einmal: Ich öffne mich für die mir fremde Sprache des andern, ich bringe dem Anderssein des Andern gegenüber Achtung und Respekt entgegen. Und dann enthält diese Skizze die Vision eines gelingenden Miteinanders trotz fundamentaler Verschiedenheiten. „Jeder hörte sie in seiner Sprache reden“ bringt eine bestimmte Form von Miteinander-in-Beziehung-Sein ins Bild: Gemeinschaft ist möglich, warum? Weil das Miteinander-in-Beziehung-Sein getragen ist vom Geist des Verstehenwollens, vom Geist des wahrhaftigen und authentischen Sprechens, des nicht wertenden Zuhörens. Dieser gute Gottesgeist, der im Bild der Feuerzungen im Haus in Jerusalem einkehrt, dieser Geist macht weit; er befreit mich aus der Enge meiner kleinen Vorstellungswelt; er befreit mich zum aufrechten Gang; will mich nicht kleinmütig halten, sondern mutig und beherzt leben lassen.

2.    Wenn wir heute unsere neuen Räume festlich einweihen, dann liegt doch für uns als Menschen in einer christlichen Schule – oder ist es nicht wahrer zu sagen: für uns als Getaufte, Gefirmte, Konfirmierte, also für uns mit dem Gottesgeist Beschenkte – die Frage nahe: Welcher Geist soll in diesen neuen Räumen eigentlich wehen?
„Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.“ Für mich ist dies auch ein Bild für Berufung. Die Apg erzählt nämlich, im Anschluss an diese Pfingsterfahrung seien die Jüngerinnen und Jünger nach draußen gegangen und hätten frei und in innerer Festigkeit die Botschaft vom Reich Gottes verkündet. Sie hätten bezeugt: Ja, Jesus ist am Kreuz umgebracht worden; ja, das Gute kommt in dieser Welt ach so schnell unter die Räder, die Henker lachen über ihre Opfer; ja, der Zyniker, der Sarkastische, der wird durch den Geschichtsverlauf immer wieder bestätigt. Aber sie hätten zugleich auch bezeugt: Die Diktatur dieser Fakten gilt nicht absolut; die Barbarei, die Menschenverachtung, der Frevler, wie die Bibel immer wieder sagt, die haben nicht das letzte Wort! Wenn die Aufklärung auch gescheitert scheint, der Sozialismus ratlos, die Kirchen spätestens seit dem letzten Jahr kompromittiert, der Mensch zum Krebsgeschwür der Erde geworden ist – die Jünger hätten entgegen den vermeintlichen Besserwissern bezeugt: Ostern! Es hat Ostern gegeben! Und das will sagen: Gott schenkt uns seinen Geist; Kurt Marti nennt ihn: den „Wider-Geist“; der ermutigt zum Widerspruch, zum Widerstand gegen alles, was Leben klein hält; was einschüchtert und Angst macht; der die Herrschaft von Menschen über Menschen bricht; der heilig verrückt den Liebenden, den Gewaltlosen die Erde verspricht; der den Glauben anzettelt, dass Geben seliger macht als Nehmen; der verspricht, dass Letzte Erste sein werden und Erste Letzte; der die Menschen stark machen will, lieber ein Unrecht zu erleiden als eines zu begehen; und schließlich: der möchte, dass wir Menschen ungezwungen, aus freiem Herzen lieben.

3.    Alle Arbeit, Sorge, Vorsorge bleibt vergeblich, wenn nicht Gott selbst das Haus baut, schützt, segnet. Vergeblich das eigene Sorgen, Rackern von früh bis spät. Arbeit, Leistung? Aber ja und selbstverständlich, auch hier bei uns! Doch stellt der Psalmspruch unsere Leistung an den ihr zukommenden Ort, verweist sie damit auch in ihre Schranken! Aus ihm lässt sich jedenfalls keine schrankenlose Leistungs- und Machbarkeitsideologie, wohl aber deren Kritik ableiten. Der Glaube an Gottes unentbehrlichen Segen zerbricht jede Leistungshybris. Gott, er allein, ist der Geber aller Gaben: „Was er gibt, gibt er seinen Freunden im Schlaf.“ Wenn wir unsere gläubigen Augen öffneten, könnten wir einsehen: lange nicht alles ist machbar, ist planbar. Und wir könnten sehen: Der Segen des guten Schöpfergottes ist längst da, wir brauchen ihn nur wirken lassen, an uns und durch uns.


Segnen ist eine Geste, die den Menschen seit alters her vertraut ist. Immer schon wissen wir, dass wir zum Leben mehr brauchen als nur das Brot für den Alltag und den Wein für das Fest. Dass wir zu allererst vom Wohlwollen leben, von der Erfahrung: der andere meint es gut mit mir. So können wir uns zu Hause fühlen und sicher. Dass das auch hier in unserer Schule erfahrbar sein möge, dazu bitten wir nun Gott um seinen Segen über die ganze Schule: Über uns, das Haus, die Räume darin.
Amen.
Otmar Leibold