25.12.2007, Weihnachten
 
 
Liebe Gemeinde!
 
„... und das Wort ist Fleisch geworden und hat mitten unter uns gewohnt“ (Joh 1,14).
 
Diese Worte aus dem Johannesevangelium bezeichnen das Festgeheimnis des heutigen Tages.
 
60 - 80 Jahre nach dem Tod Jesu und nachdem die ersten Menschen zum Glauben an die Auferstehung gekommen sind, hat der Evangelist diese Worte als Ergebnis einer tiefen theologischen Reflexion aufgeschrieben.
 
Er knüpft damit an die erste Seite der Bibel an. In der Schöpfungsgeschichte können wir lesen, wie die Welt durch Gottes Wort wird. „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht!“
 
Johannes beschreibt dieses Schöpfungsgeschehen in seinem Evangelium so: „... alles, was geworden ist, ist durch das Wort geworden. Ohne das Wort ist nichts geworden“ (Joh 1,1).
 
Heute, an Weihnachten, feiern wir die Vollendung der Schöpfung. Gott hat den Menschen nicht nur nach seinem Bild geschaffen, er ist in seinem Bild erschienen. Gott ist in der Welt! Und das nicht nur gedanklich oder irgendwie. Er ist auch nicht in der Welt als ein irgendwie geartetes „höchstes Wesen“, als reiner Geist oder als Idee. Nein. „Das Wort ist Fleisch  geworden“! Gott ist ganz konkret.
 
Heute Nacht haben wir die Weihnachtserzählung gehört. Sie beginnt mit den Worten: „In jener Zeit...“ Weihnachten ereignet sich also in unserer Weltzeit, mit all dem, was es in dieser Welt und in dieser Zeit gibt.
 
Da ist einmal die Rede vom Kaiser Augustus. Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die Macht über andere beansprucht haben und die diese Macht auch missbraucht haben. Ihr Zeichen ist das Militär, die Gewalt, die Unterdrückung. Zwar habe es damals die „Pax Romana“ gegeben, so heißt es,  aber dieser „römische Frieden“ ging auf Kosten der Freiheit. Roms Willen wurde durchgesetzt und erzwungen.
 
Dieser Kaiser Augustus hat die Menschen genötigt, sich in Steuerlisten eintragen zu lassen. Was es bedeutet, unter der Bürokratie zu stehen, von Ausländerbehörde und Einwohnermeldeamt abhängig zu sein, werden die wenigsten von uns ermessen können. Das trifft vor allem die Kleinen, die Rechtlosen, Menschen wie Joseph eben.
 
Er, Joseph, musste nach Bethlehem, mit seiner Maria. Bethlehem - ausgerechnet da. Kassel, Vellmar, Baunatal... unendlich viele Orte wären besser gewesen, um ein Kind in die Welt zu gebären - damals wie heute. Bethlehem war - und ist wieder - ein waffenstarrender, ungeborgener Ort, an dem die Menschen nicht friedlich und sicher beieinander wohnen können. Die Macht der Militärs, die Gewalt regiert dort: vor 2000 Jahren bei der Geburt Jesu genau so wie auch heute.
 
Es war keine idyllische, heile Welt, in die sich der konkrete Gott hinein begeben hat. Die Welt, die Menschen waren nicht gut vorbereitet.
 
Jemand sagte mir in diesen Tagen: „In diesem Jahr ist mir überhaupt nicht weihnachtlich zumute. Ich bin nicht eingestimmt, nicht offen, um zu dem Kind in der Krippe zu gehen.“ Vielleicht geht es manchen von Ihnen ähnlich, gerade, wenn Weihnachten zu Hause nicht so verlaufen ist, wie Sie es sich vielleicht gewünscht hätten oder wenn ein persönlicher Verlust, ein Schmerz Sie bedrängt und keine festliche Stimmung aufkommen will.
 
Weihnachten feiern wir genau in einer solche Wirklichkeit - auf der Ebene der Welt oder auch im Blick auf das eigene Leben! Weihnachten ist die Bewegung Gottes zu uns Menschen hin: „...und das Wort ist Fleisch geworden.“  Weihnachten ist nicht erst dann, wenn man sich darauf vorbereitet oder sich darauf eingestellt hätte. Die Aktivität der Heiligen Nacht geht von Gott aus, nicht von den Menschen.
 
Gott wartet mit Weihnachten nicht, bis wir ihm eine passende stimmige Umgebung bereitet haben oder bis wir mit unserem Leben passend, stimmig wären. Er startet seine Geschichte von sich aus.
 
Im Hebräerbrief haben wir es eben als Lesung mit den wunderschönen Worten gehört: „Viele male und auf vielerlei Weise hat Gott durch die Propheten gesprochen. In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ Hebr 1,1).
 
Ja, Gott hat zu den Menschen gesprochen - durch Abraham, Isaak und Jakob. Er hat zu den Menschen gesprochen, die z. Zt. des Amos gelebt haben und zu den Zeiten des Jesaja oder des Jeremia. Jetzt, in dieser Endzeit, wie es der Hebräerbrief nennt, wird Gottes Geschichte mit den Menschen sichtbar in dem Kind in der Krippe. Gott redet zu uns durch Jesus von Nazareth. Und diese Geschichte, die uns hier begegnet, ist eine ganz andere als die, die der Kaiser Augustus angezettelt hat. Mit ihm, mit Augustus hat es - scheinbar - heute Nacht angefangen. Aber dann ist er nur noch Staffage. Lukas erwähnt ihn einfach nicht mehr. Er ist Hintergrund - für das Kind in der Krippe, in dem Gottes Geschichte sichtbar wird.
 
Weihnachten ist eine Anders - Geschichte, eine Quergeschichte, die Gott in seine Welt setzt. In ihr gilt eine andere Sprache, als die, der  Kaiser und der Mächtigen. Seit heute Nacht gilt: „Selig, die keine Gewalt anwenden!“ „Liebt eure Feinde!“ „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“ - Wie anders hört sich diese Sprache Gottes an in unserer Welt.
 
Natürlich denken auch heute noch die „Kaiser Augustusse“, sie würden den Mittelpunkt der Welt darstellen. Natürlich haben sie Macht. Und sie missbrauchen diese Macht auch oft. Sonst würde unsere Welt heute anders aussehen.
 
Und doch gilt seit der Nacht der Geburt Jesu, die wir heute feiern, dass die Sprache Gottes in unsere Welt hinein gesprochen ist, unzerstörbar, unüberhörbar und endgültig.
 
Dieses Wort ist zu uns gesprochen, den Christen, die sich heute getroffen haben, um die Geburt des Kindes in der Krippe zu feiern. Es will durch uns von neuem Fleisch werden, konkret werden, lebendig und erfahrbar. Wir sind die „Quer - Geschichte“ Gottes in dieser Welt.
 
Das Wort, das Fleisch geworden ist und in der Krippe liegt, ist Zuspruch und Anspruch für uns in gleicher Weise.
 
Karl  Rahner hat es einmal in wunderschönen Worten so ausgedrückt: „Wenn wir sagen: Es ist Weihnacht, dann sagen wir: Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im fleischgewordenen Wort in die Welt hinein gesagt, ein Wort, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gottes endgültige Tat, weil es Gott selbst in der Welt ist. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt und du Mensch.
 
Amen
 
Harald Fischer