9. September 2007, 23. Sonntag im Jahreskreis
Lk 14,25 -33
  
 
Liebe Gemeinde!
 
Was für ein Schlusssatz im heutigen Evangelium: „Darum kann keiner mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet!“
 
Wer von uns müsste dann nicht offen sagen: „Dann, lieber Jesus, so leid es mir tut, kann ich nicht dein Jünger sein!“ Denn wer von uns wollte oder könnte auf seinen ganzen Besitz verzichten? Wie sollte das denn möglich sein? Auch morgen muss die Miete gezahlt werden. Auch morgen muss etwas für den Lebensunterhalt auf den Tisch. Auch morgen möchte ich mir etwas leisten dürfen. Ja, einen einfachen Lebensstil einzufordern, das wäre ja noch zu verstehen. Aber nicht jeder ist berufen, ein Franziskus zu sein. Nicht jeder hat die Gabe, die Armut so zu lieben, wie Franziskus es getan hat.
 
Aber ist das Wort Jesu tatsächlich so zu verstehen? Meint er wirklich, ich sollte auf mein Gehalt verzichten und mein Bankkonto radikal auf "Null“ stellen?
 
Am vergangenen Mittwoch war der 10. Todestag von Mutter Theresa. Wohl fast alle von uns kannten diese Frau noch, zumindest vom Fernsehen oder von den verschiedenen Veröffentlichungen, die es zu ihren Lebzeiten ja sehr zahlreich gegeben hat. Wie sehr hat sie die Welt beeindruckt durch ihre große Liebe zu den Armen. Sie hat die Sterbenden auf der Straße Kalkuttas aufgelesen und dafür gesorgt, dass sie menschenwürdig untergebracht wurden. Die Ordensgemeinschaft der „Missionarinnen der Nächstenliebe“, die Mutter Theresa gegründet hat, sind bis heute ein Zeichen großzügig geschenkter Liebe. Mutter Theresa galt als das menschgewordene Angesicht der Barmherzigkeit für die Armen und Ärmsten unserer Gesellschaft. Sie war die „Vorzeige - Christin“ schlechthin. Schon 3 Jahre nach ihrem Tod wurde sie selig gesprochen, auch von Nichtchristen und einer atheistischen Umwelt verehrt und anerkannt. Der Prozess, sie „Heilig“ zu sprechen, steht kurz vor seinem Abschluss.
 
Und von dieser großen Frau wurde gerade zu ihrem 10. Todestag bekannt, dass sie über lange Jahre in ihrem Leben an großen Glaubenszweifeln gelitten hat. Sie war gar nicht die unverrückbar Glaubende, für die Gott der selbstverständliche Lebensbegleiter war. Sie hatte sich immer wieder von Gott verlassen gefühlt. So steht es in ihren Briefen geschrieben, die großes Aufsehen erregt haben. Sie wusste nicht mehr, ob Gott wirklich da war, ob er für sie da war. Und sie hat über viele Jahre in einer schrecklichen Ungewissheit des Glaubens gelebt und unter einer großen inneren Leere zu leiden gehabt.
 
Es ist erschütternd, was die Öffentlichkeit durch dieses Buch, das über 40 bisher unveröffentlichte Briefe von ihr enthält, von dieser großen Frau erfährt.
 
Aber neben dem Mitgefühl, das man empfinden muss, sind auch viele Menschen in ihrem eigenen Glauben verunsichert. Wenn schon diese große Frau so schlimme Glaubenszweifel aushalten musste, wie kann ich dann meines eigenen Glaubens gewiss sein? Stimmt das denn alles, was ich mich immer wieder bemühe zu glauben? Zeigt das Beispiel von Mutter Theresa nicht, dass der Glaube nicht trägt? Sie nicht - und warum sollte er dann mich tragen?
 
Liebe Gemeinde! An dieser Stelle, mit dieser Frage konfrontiert, stoßen wir auf eine der entscheidenden Grundfragen des Selbstverständnisses des Glaubens. Viele Menschen glauben, damit es ihnen gut geht. Sie sehen den Glauben als Mittel, im eigenen Leben zurecht zu kommen. Damit ich mit den eigenen Ängsten umgehen kann, damit es ein Fundament im Leben gibt, das mich trägt, damit ich weiß, wofür ich lebe, deshalb glaube ich oder will es zumindest.
 
Ein solches Glaubensverständnis ist sehr verstehbar und sehr nahe liegend. Zumindest für den Anfang eines Glaubensweges werden wohl die meisten Menschen das ähnlich erleben. Aber irgendwann im Leben werden wir wohl - hoffentlich - auch weiter geführt. Denn so, in dieser Sicht wird der Glaube verzweckt. Er ist für mich da. Der glaube steht in meinen Diensten. Er ist wie eine Pille, die ich schlucke, damit eine bestimmte Wirkung für mich erzielt wird.
 
Das ist verständlich und vermutlich erleben die meisten oder sogar alle von uns das - zumindest immer wieder mal - im Leben.
 
Aber das ist nicht der eigentliche, wahre Grund des Glaubens. Im Glauben suche ich nach Gott. Und es geht im Glauben darum, der Wahrheit die Ehre zu geben, Gott die Ehre zu geben. Im Glauben dreht es sich um ihn und nicht um mich. Das ist etwas ganz anderes,  als das der Glaube in meinem Dienst stehen würde.
 
Sich auf den Glaubensweg machen, bedeutet, zu erkennen, dass ich Gott nicht einfach haben kann. Gott ist mir nicht verfügbar, wie mir die Welt und die Gegenstände der Welt verfügbar sind. Gott kann ich immer nur in der Weise des Suchens „haben“.
 
Jesus hat das einmal schön so ausgedrückt: „Sucht und ihr werdet finden“ (Lk 11,  ). Hier ist ein existentielles Suchen gemeint, das mich mit meinem ganzen Leben in den Dienst nimmt. Gott ist mir nicht verfügbar. Und die geistliche Tradition hat immer gewusst, dass dieses Suchen auch schmerzhaft sein kann, das es mit der Erfahrung einer großen Leere verbunden sein kann. Gerade die „Großen“ im Glauben, die geistlichen Lehrer unserer Tradition haben diese Erfahrung immer wieder gemacht. Und sie lehren uns auf diese Weise, dass sie ihren Glaubensweg gegangen sind, auch in die „Nacht des Glaubens“ hinein. Sie haben an Gott festgehalten, auch da, wo es für sie keine Freude mehr war, wo sie dadurch nichts mehr erhalten haben, wo der Glaube nicht mehr „geschmeckt“ hat. . Es ist der Weg in den „nackten Glauben“ hinein, der nicht mehr gefüttert wird, durch schöne Gefühle, nicht einmal durch Glaubenserfahrungen oder die Glaubensgewissheit. Johannes vom Kreuz ist der große Lehrmeister dieses Weges, den er die „Nacht des Glaubens“ genannt hat und in erschütternden Bildern zum Ausdruck gebracht hat. Und diese Erfahrung hat auch Mutter Theresa gemacht -und sie hat trotzdem an Gott und am Glauben festgehalten. Das macht sie zur Zeugin des Glaubens, nicht, dass sie keine Glaubenszweifel kannte.
 
Diesen Weg zeigt Jesus seinen Jüngern im heutigen Evangelium auf. Er sagt ihnen: „Wenn ihr euch auf den Weg mit mir zu Gott einlasst, dann müsst ihr wissen, das das kein einfacher Weg ist. Er ist nicht nur so nebenbei zu gehen, sondern es ist ein Weg, der euch mit eurer ganzen Existenz einfordert!“
 
Jesus selber hat diese Nacht erlebt. Im Hebräerbrief wird erzählt, dass er geweint und geschrieen hat vor seelischen Schmerzen, aus seinen Glaubensängsten heraus. Wir hören bei den Evangelisten von seiner Nacht im Garten Getsemane und der Angst, die er dort durchlitten hat. Und wir hören von der Stunde auf Golgotha, wo er im verzweifelten Schrei zu Gott gerufen  hat: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“. Der Glaube ist nicht immer schön. Und er hat erst recht nicht das Ziel, uns schöne Gefühle zu verschaffen. Im Glauben erweisen wir Gott die Ehre und suchen nach seiner Wahrheit.
 
Ich glaube, hier stoßen wir auf den eigentlichen Wahrheitsgehalt des Wortes Jesu: „Darum kann keiner mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet!“ Damit ist nicht zuerst das Bankkonto gemeint. Das Leben lehrt uns, dass wir die Sicherheiten unseres Lebens aus der Hand geben müssen, dass wir loslassen müssen, auch wenn es uns weh tut. Und Jesus bereitet seine Jünger und uns darauf vor, damit wir gerade dann festhalten an ihm und an Gott.
 
Amen
 
Harald Fischer