12. August 2007, 19. Sonntag im Jahreskreis
Lk 12,32 - 48
 
  
Liebe Gemeinde!
 
„Wir leben am Morgen eines christlichen Zeitalters.“ Diese Worte habe ich in den vergangenen Tagen im Bonifatiusboten als Zitat eines christlichen Verlegers gelesen.
 
Und ich war sehr erstaunt darüber.
 
Ich habe mich gefragt: In was für einer Welt lebt dieser Mensch eigentlich? Oder auch: In was für einer Welt lebe ich?
 
Wenn ich um mich schaue, habe ich wahrlich nicht den Eindruck vom Beginn eines christlichen Zeitalters. In meinem Urlaub konnte ich ein paar Tage in Görlitz sein, der östlichen Grenzstadt zu Polen, die in den neuen Bundesländern liegt. Eine wunderbare, sehenswerte, schöne Stadt. 7 % Christen leben dort, sagte man mir. Evangelische und katholische Christen zusammengenommen. 93 % der Einwohner dieser deutschen Stadt sind ungetauft. In Dresden gibt es ca. 3 % Christen insgesamt! Der „Morgen eines christlichen Zeitalters“?
 
Wenn ich in mein Umfeld in unserer Stadt schaue: In verschiedenen Leserbriefen der letzten Wochen zu den letzten Verlautbarungen aus Rom war soviel an Häme, an Verachtung, an Haß sogar zu spüren! Ich meine damit nicht die sachliche Kritik und die berechtigten Äußerungen anderer Meinungen. Kirche hat zunächst erst mal keine gute Presse in unserer Zeit. Die öffentliche Meinung steht er gegen sie
 
In unseren Gemeinde können wir eine erschreckende Altersstruktur erkennen. Es gibt doch fast keine 20 - 50 jährigen mehr in unseren Gottesdiensten. Ich weiß, in unserer Gemeinde ist das anders. Gott sei Dank. Darüber bin ich auch sehr froh. Aber wir dürfen uns nicht darüber täuschen lassen, dass dies auf Stadtebene und darüber hinaus sehr anders aussieht.
 
Die sakramentalen Eheschließungen, kirchliche Trauungen also, sind fast auf Null gesunken. Wenn man früher wenigstens noch kirchlich heiraten wollte, weil das feierlicher scheint als nur auf dem Standesamt das Ja - Wort zu sprechen, hat das heute sehr an Wert verloren. Es gibt kaum mehr eine innere Bindung dazu.
 
Dementsprechend läßt sich absehen, dass die Weitergabe des Glaubens das große Problem der Zukunft sein wird. Eltern, die kein eigenes Glaubenswissen mehr haben und keine  Bindung an eine Gemeinde kennen, haben es sehr schwer, ihren Kindern die Grundlage des Glaubens zu vermitteln.
 
Die Taufe von Neugeborenen ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, nicht einmal die kirchliche Beerdigung, die früher manche Menschen gehindert hatte, aus der Kirche auszutreten. Heute legen nicht einmal mehr alle Kirchenmitglieder Wert darauf, dass an ihrem Grab ein Gebet gesprochen wird.
 
Wenn wir auf die Weltebene schauen, sehen wir: etwa 25% der Menschheit sind in irgendeiner christlichen Konfession getauft. Man wird nicht zu optimistisch sein, wenn man vermutet, dass höchstens ¼ davon eine bewußte Glaubenshaltung leben und sich mit ihrem Christsein so identifizieren, dass ihr Leben davon nachhaltig beeinflusst ist. Das bedeutet, dass es in der Welt etwa 5% Christen gibt. 95% der Weltbevölkerung denkt und glaubt anders als wir!
 
Sieht so der „Morgen eines christlichen Zeitalters“ aus?
 
Bernhard Meuser, Chef des Pattloch Verlags, der dieses Wort über die Zukunft der christlichen Bücher auf dem Markt gesprochen hat, kennt diese nackten soziologischen Fakten sicher auch. Was ist ein  „christliches Zeitalter“ eigentlich?
 
Es kann nicht eine Volkskirche alten Stils sein, in der Kirche und kirchliche Traditionen den Alltag bestimmten und sich der Einzelne den allgemeinen Erwartungen nicht entziehen konnte. Wir leben in einer Epoche, in der sich die derzeitig noch erahnbare alte  Sozialgestalt von Kirche endgültig verändert. Wir haben die Zeit der Territorialgemeinden erlebt, in der eine intensive Pfarrseelsorge betrieben wurde, mit dem Ideal der Versorgung aller Gläubigen. Dieses Ideal läßt sich so nicht mehr aufrecht erhalten.
 
Vieles von dem, was wir in den vergangenen Jahrzehnten in unseren Gemeinden gelebt haben, wird auch weiterhin wichtig bleiben. Es  gibt die zeitlosen Grundaufgaben der Kirche: die Sammlung um Gottes Wort, die Feier der Sakramente, die Sorge um die Kranken und um die Armen. Aber wie diese Aufgaben in der Zukunft bewältigt werden können, das wird sich erst in der näheren Zukunft zeigen. Wir werden nicht mehr alles tun können, was sinnvoll scheint. Vor allem wird nicht mehr alles durch die Hauptamtlichen, die Pfarrer etwa geleistet werden können. Die Glaubensentscheidungen der Einzelnen werden das Rückgrat der Gemeinden und der Kirche insgesamt sein.
 
Wir werden - hoffentlich - auch in Zukunft eine einladende Kirche sein, die ihren Scheffel nicht unter den Leuchter stellen wird. Aber wir werden mit Realitäten leben, die auch Jesus mit seinen Leuten schon erlebt hat: „Fürchte dich nicht du kleine Herde. Denn euer Vater hat  beschlossen, euch das Reich zu geben!“ (Lk 12,32)
 
In dieser Haltung liegt unsere Zuversicht begründet. Jesus hat seinen Nachfolgern nie die Mehrheit der 51% versprochen. Er hat ihnen nie zugesagt, dass sie im Meinungstrend ihrer Zeit liegen werden. Ganz im Gegenteil. Nachfolge ist meistens eher eine Minderheitensituation in der Kirchengeschichte gewesen. In Korinth, der großen Hafenstadt, haben etwa 200 000 Einwohner z.Zt. des Apostels Paulus gelebt. Davon waren vielleicht 150 - 200 Christen! Sie waren „Licht auf dem Leuchter, Salz der Erde“.
 
Fürchte dich nicht du kleine Herde. Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“. Wir leben aus der Gabe des Vaters, nicht aus unserem Verdienst. Deswegen hat das christliche Zeitalter tatsächlich begonnen und es wird nicht untergehen, welche Verluste an weltlicher Macht die Kirche auch immer erleiden wird. Ohne die Vision einer Kirche, die ihr Leben von der Gabe Gottes her motiviert, werden wir die vielen hoffnungsvollen Aufbrüche vom Reich Gottes in unserer Welt übersehen.
 
Lukas ermutigt seine Gemeinde und auch uns heute mit dem Wort Jesu: „Seid wie Menschen, die auf die Rückkehr ihres Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist, und die ihm öffnen, sobald er kommt und anklopft“ (Lk 12,36).
 
Amen
 
Harald Fischer