8. Juli 2007, 14. Sonntag im Jahreskreis
Lk 10, 1 - 12.17-20
 
 
Liebe Gemeinde!
 
„Geht! Ich sende euch...!“
 
So haben wir eben in der Aussendungsrede Jesu gehört. Zweiundsiebzig Jünger werden ausgesandt - zu zweit und zweit.
 
Ein Glück - könnte man sagen - dass wir nicht dabei gewesen sind. Wer will schon unter solchen Umständen geschickt sein? In alle Städte und Dörfer. Zu Fuß! Und dann unter diesen Bedingungen: Keine Schuhe! Keine Vorratstasche! Und nicht einmal die Scheckkarte!
 
Die Aufforderung, niemanden unterwegs zu grüßen, überschreitet doch die Grenzen der Unhöflichkeit bei weitem.
 
Gut, bei dieser Aussendung nicht dabei gewesen zu sein.
 
Aber natürlich kann man das Evangelium so nicht lesen -   als wäre es nur eine Erinnerung an vergangene - seltsame Zeiten und hätte mit uns nichts zu tun.
 
Jesus sendet zweiundsiebzig Jünger aus. Das ist eine symbolische Zahl. Zunächst hatte er zwölf Jünger in seinen engeren Kreis berufen, mit denen er gelebt, denen er gelehrt, die er unterwiesen hatte.
 
Zwölf - das ist die Anzahl der Söhne Jakobs, aus denen die Stämme Israels erwachsen sind. Wenn Jesus zwölf Jünger beruft, macht er damit deutlich: Ich spreche das ganze Volk Israel an. Auch wenn ich hier zunächst nur einen kleinen Kreis Menschen erreiche: Meine Botschaft hat Bedeutung für ganz Israel.
 
Im Evangelium heute sendet Jesus zweiundsiebzig Jünger aus. Das sind Sechs mal Zwölf. Zwölf mal Zwölf wäre die runde Zahl der Erfüllung. Sechs mal Zwölf, das macht deutlich: Diese Jünger haben einen Auftrag in das Volk Israel hinein. Aber es steht noch etwas aus.
 
Das, was noch aussteht, haben wir als Jünger Jesu weiterzutragen. Wie die Zweiundsiebzig damals sind wir heute ebenfalls Gesandte in Jesu Namen. Tatsächlich:  Uns gilt ebenfalls dieses Wort: „Geht! Ich sende euch...“
 
Mit den Konkretionen der Sendung, die Jesus hinzufügt, wird die Dringlichkeit sichtbar gemacht: “Wenn ihr geht und Gottes Wort in diese Welt tragt, habt ihr nichts anderes, worauf ihr euch stützen und zurückziehen könnt, als die Kraft eben dieses Wortes selber. Euer Geld, euer Ansehen, eure Kraft - das alles ist es nicht das, was zählt und worauf es ankommt. Natürlich könntet ihr das einbringen. Aber es würde die Botschaft verfälschen.“ Wenn wir im Namen Jesu unterwegs sind, sind wir seine Gesandte und nicht im eigenen Namen, nicht im  eigenem Auftrag, nicht einmal in eigener Kraft unterwegs. Wir leben und erfüllen  den Auftrag nur, wenn wir Gottes Wort weitertragen.
 
Es heißt im Evangelium „Grüßt niemand unterwegs!“ Das ist keineswegs die Aufforderung zur Sturheit oder Unfreundlichkeit. Wenn man im Orient unterwegs ist, ist ein Gruß nicht nur ein beiläufiges Wort der Wahrnehmung. Jesus fordert ja direkt auf, den Menschen das „Schalom“, den Friedenswunsch zuzusagen. Der Gruß, der vermieden werden soll, ist der „Kaffeeklatsch“, die Beiläufigkeit und die Ablenkung, die verhelfen würde, den eigentlichen Auftrag aus den Augen zu verlieren und sich im Alltag zu verlieren.
 
„Geht! Ich sende euch...!“ Für diejenigen, die sich auf diesen Auftrag einlassen, bedeutet es, sich ganz aus dem Namen Jesu, aus seiner Kraft zu verstehen.
 
Für die Wanderapostel um Jesus hat es die konkreten Folgen gehabt, auch unterwegs zu sein und in der angegebenen einfachen Weise zu leben.
 
Das muß heute in unsere Zeit übersetzt werden. Ich kann und muß mich davon angesprochen sehen, genau wie Sie. Auch, wenn wir alle heute abend vermutlich unseren Kopf auf unserem Kopfkissen im eigenen Bett zur Ruhe legen werden.
 
Diese Nachfolge kann und wird in der Regel in unserem Alltagsleben geschehen. Mir begegnen immer wieder sehr konkrete Beispiele dafür, was das heißen kann.
 
Gestern erzählte mir zum Beispiel eine alte Frau im Altenheim, die seit längerem bettlägerig ist, dass ein Mann aus unserer Gemeinde sie immer wieder besuchen würde. „Das ist so eine Freude für mich. Mit ihm kann ich so gut reden. Er bringt mir eine Ruhe und Kraft mit, die mich stärkt!“
 
„Geht! Ich sende euch...“ Wo diese Sendung gelebt wird, geschieht zunächst nichts anderes, als dass einer einen Menschen wahrnimmt, ihm Anerkennung schenkt. Das ist die Erfahrung vom Reich Gottes! Aus der Kraft Jesu! Wo immer Menschen einander auf diese Weise begegnen, wird dieser Wille Jesu erfüllt.
 
„Ich sende euch! Sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist nahe!“
 
Das ist der Auftrag, den Jesus seinen Jüngern gegeben hat. Das ist der Auftrag, den wir als Gemeinde Jesu zugesprochen bekommen.
 
Welche Freude und auch welche Ehre wird uns da zuteil. Auf der einen Seite sind wir die Menschen, denen diese Botschaft verkündet wird: „Das Reich Gottes ist nahe!“ Gegen alle gegenteiligen Erfahrungen, gegen allen anderen Anschein dürfen wir darauf vertrauen: „Gottes Reich ist nahe!“
 
Und wir sind beauftragt, diese Botschaft weiterzutragen, weiter zu leben, erfahrbar zu machen für andere: „Gottes Reich ist nahe!“
 
Wir dürfen auf die Kraft dieser Worte bauen und brauchen nichts, um diese Botschaft attraktiver zu machen, sie auszuschmücken, ihr etwas hinzuzufügen.
 
„Geht. Ich sende euch - sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist nahe!“
 
Amen.
 
Harald Fischer