20. Mai 2007, 7. Sonntag der Osterzeit
Joh 14, 23 - 29
 
 
Liebe österliche Gemeinde!
 
Bevor wir das Evangelium miteinander betrachten, möchte ich zunächst kurz zeigen, welchen Ort Johannes diesem Jesuswort im Kontext seines gesamten Evangeliums zugewiesen hat.
 
Unser heutiger Evangeliumstext ist dem Kapitel 14 entnommen. Die Kapitel 13-17 enthalten die Herzmitte des Johannesevangeliums: Jesus feiert mit seinen Jüngern den Paschaabend, an dem er jedem einzelnen von ihnen die Füße wäscht; danach setzt er zu einer langen Rede an, die sich bis Kapitel 16 erstreckt; diesen Monolog, der nur vereinzelt von Fragen der Jünger unterbrochen ist, nennen wir in der Exegese „Abschiedsrede“. Im Kapitel 17 wendet sich Jesus in einem langen Gebet seinem Vater zu. Ab Kapitel 18 erzählt Johannes die Passion Jesu, deren theologischer Betrachtung er lediglich 3 Kapitel einräumt.
 
Was an diesem theologischen Gestaltungskonzept auffällt, ist: Johannes widmet dem Abschied Jesu einen ungleich breiteren Raum als der nachfolgenden Passion. Was Jesus uns vor seinem Tod noch zu sagen hat, das Erbe, das er uns hinterlässt und uns anvertraut, scheint Johannes viel bedeutender zu sein als eine breite Beschäftigung mit dem Leiden und Sterben Jesu. Was also hinterlässt uns Jesus?
 
Um dies zu verstehen, sei noch einmal an den Gründonnerstag, den Paschaabend  erinnert, also an Jesu Zeichenhandlung der Fußwaschung. Diese Erzählung beginnt mit den Worten: „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung.“ Das ist gleichsam die große Überschrift über die Abschiedsrede und eigentlich über das Leben Jesu insgesamt, ohne dieses Wort ist weder die lange Rede zu verstehen noch das Leben Jesu; und ebenso wenig das heutige Wort: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten.“
 
Manchmal wird das Leben so ernst, so eigentlich, dass sein Gelingen und sein Glück einzig noch von einem Wort abhängt. Ja es gibt Menschen, auch heute hier unter uns, die ihre gesamte Existenz an ein Wort nur gebunden haben: Das Wort „Ja“. Ich denke an die Eheleute unter uns oder an die Ordensfrauen, ich denke an die Mütter und Väter mit ihrem „Ja“ zu ihren Kindern, oder ich denke an die vielen unter uns mit ihrem „Ja“, das eine Freundschaft trägt über viele Klippen hinweg, auch in rauer Zeit. Was gibt mir den Mut und das Vertrauen, an einem Wort festzuhalten? Welcher Art muss dieses Wort sein? Es muss ein Wort sein, das nicht verletzt; das mich umhüllt und sicher leben lässt, das ich als Gewissheit in mir trage wie einen Schatz, von dem ich lebe, auch und vor allem in schwieriger Zeit. Es ist ja so, dass das Wort, das mir hilft, ich mir nicht selber sagen kann: Wenn ich auch ohne Brot nicht leben kann, so doch erst recht nicht ohne das Wort, das ein anderer mir zuspricht. Dahinter verbirgt sich eine tiefe Mystik: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“, beten wir, bevor wir nachher das Brot miteinander essen. Zunächst und zuerst also immer das Wort, das die Seele nährt und am Leben hält, dann das Brot; dieses Brot ist das sichtbar und erkennbar gemachte Wort Gottes, das ich mir förmlich auf der Zunge zergehen lassen kann, das ich in der Gemeinschaft mit den anderen hier genießen kann und darf! Brot des Lebens - oder wie Johannes sagt: „Wort ewigen Lebens“ - für Johannes ist das dasselbe.
 
Weil wir immer wieder von Worten leben und sich unsere Seele, mehr noch: unser ganzes geistliches Leben vom Wort ernährt, beginnt Johannes sein Evangelium entschieden und kühn mit diesem Satz: „Am Anfang war das Wort.“
 
Aber welches Wort? Welches Gotteswort nährt uns wie Brot? Die deutsche Dichterin Rose Ausländer hat ihr Gedicht „Wort an Wort“ auf folgende Weise gedichtet:

Wir wohnen
Wort an Wort
Sag mir
dein liebstes
Freund
meines heißt
DU
 
Wie muss dieses Wort „Du“ klingen, damit es bei mir „ankommt“? Damit ich mich wieder dem Leben und den Menschen öffnen kann? Damit meine Seele gesund wird? In diesem ausgesprochenen „DU“ müsste das ganze Zutrauen desjenigen hörbar und empfindbar sein, der dieses Wort spricht; es dürfte nicht der leiseste Anspruch, nicht die leiseste Aufforderung oder Erwartung darin liegen, sondern einfache, absichtslose, freilassende Zuneigung - und maßlose Liebe. Zuweilen vielleicht auch eine strenge Zurechtweisung, aber niemals verurteilend ausgesprochen, sondern gütig, in spürbarer Zuneigung.
 
Wie wäre es, wenn wir uns vorstellten, der Beginn des Johannesevangeliums würde um dieses Wort „DU“ ergänzt, und wenn wir in diesem „DU“ wahrnehmen könnten, dass mit diesem „DU“ jeder einzelne von uns hier gemeint und angesprochen wäre: „Am Anfang war das Wort - „DU“. Das wäre wirklich ein „Wort ewigen Lebens“, das mich über Klippen trüge und Abgründe, ja über den Tod hinweg und hinaus!
 
„Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten.“ Die Übersetzung „festhalten“ gibt an dieser Stelle nicht den eigentlichen Wortsinn wieder, von dem hier die Rede ist: Im Griechischen heißt es vielmehr wörtlich: „Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort bewachen“, oder: „...wird er mein Wort behüten.“ Ich „bewache“ also ein Wort; ich bewache das Wort „DU“ - d.h. ich gebe acht, dass es nicht verschwindet, dass es hörbar bleibt in dieser lauten und hektischen Welt; ich gebe auch acht, dass es nicht in einem falschen Sinn ausgesprochen wird; ich bin der Hüter dieses Wortes „DU“, auch darin zeigt sich auch meine Liebe. Damit schütze ich auch den, der es ausspricht: Gott selbst.
 
Und warum sollte ich dies tun? Weil ich doch nur behüte und auf das acht gebe, was mir kostbar ist und teuer, was ich eben liebe. Was mir eine Freude ist und was mir und meinem Leben Sinn gibt. „Wenn einer mich liebt, wird er mein Wort DU behüten.“
 
Das ist das Vermächtnis Jesu an seinem Abschiedsabend damals an seine Jünger und heute und hier an uns. Mit diesem Wort lässt er uns zurück, aber nicht allein. Das Wort „DU“ kann uns tragen, im Leben und im Sterben. Jesus selbst geht an diesem Abend mit nichts als mit diesem Wort „DU“ seinen letzten Weg. Es hat ihn getragen, im Tod, über den Tod hinaus - das glauben wir mit unserem kleinen Glauben. Diesen Glauben feiern wir in der Eucharistie: Dass das Wort „DU“, das von Anfang an war, Jesus nicht im Tod enden lässt; Auferstehung also, Ostern, Himmelfahrt. Das ist ein Fest wert, immer wieder. Lasst es uns nun voll Freude feiern!
 
Amen.
 
Otmar Leibold