15. April 2007, 2. Sonntag der Osterzeit
Joh 20,19 - 31
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Die Osterevangelien, die wir in diesen Wochen nach dem Osterfest hören, sind wahre Perlen, wunderbare, kostbarste Glaubensbilder, die Menschen „gemalt“ haben, um nachfolgenden Generationen, um uns von ihrem eigenen Glauben zu künden. Und die Osterevangelien wollen uns Hilfen geben, unser eigenes Leben so zu deuten, so zu verstehen, dass wir als heutige Menschen dem Auferstandenen begegnen und IHN erkennen, wenn er in unser Leben tritt.
 
Immer wieder denken wir ja darüber nach, dass die Osterevangelien keine „historischen Protokolle“ sind, die objektives Geschehen notiert hätten, ein Geschehen, das auch außerhalb des Glaubens zwingend als wahr erkannt werden könnte.
 
Die Osterevangelien sind wahr und sie erzählen von Wahrheit, aber auf einer anderen Ebene, als die eindimensionalen Wahrheiten, die wir in unserer fast ausschließlich rationalistisch geprägten Welt für „wahr“ halten. Das Leben ist vielschichtiger, es hat Tiefendimensionen, die es zu entdecken gilt, ohne die unser Leben entscheidendes versäumen würde. Von diesen Tiefendimensionen erzählen die Osterevangelien.
 
Heute begegnet uns Thomas, der Apostel, der uns jedes Jahr wieder hilft. Thomas steht dafür, dass der Glaube Zeit braucht und einen Weg gehen muß, um zu dem zu finden, was uns verheißen ist.
 
Der Glaube an den Auferstandenen ist nicht so banal, dass es immer klar wäre, was es heißt, ihm zu begegnen. Fragen sind erlaubt, die Glaubenssuche  ist sogar Voraussetzung, in einen Glaubensprozeß zu finden, der uns in die eigentliche Tiefendimension des Glaubens führt.
 
Ich möchte ein Beispiel unseres Alltagslebens benennen, das uns helfen kann, den Glaubensweg des Thomas zu verstehen.
 
Normalerweise leben wir Begegnungen vermittelt. Wir brauchen ein Mittel, durch das wir uns begegnen. Ich schreibe z.B. einem Freund einen Brief und teile mich in diesem Brief mit. Wenn der Freund mir antwortet, stehen wir in einem Briefkontakt. Wenn dieser Freund zu Besuch kommt, lasse ich die Briefe allerdings weg. Sie sind in diesem Moment überflüssig geworden. Wenn wir uns sehen und miteinander reden können, ist die Begegnung unmittelbarer, persönlicher, als sie je durch einen Brief gestaltet werden könnte. Jetzt ist die Begegnung vermittelt durch die Sprache, die Wörter, in denen wir uns mitteilen, was wir zu sagen haben. Bei Liebenden kann die Zeit kommen, in der auch die Worte zu viel sind. Es bleibt ein Blickkontakt - ebenfalls ein Mittel der Kommunikation; sie schauen sich nur an. Irgendwann wird sogar der Blick überflüssig sein. Das stille Beisammensein genügt. Die Herzen weiten sich, und sie finden noch näher beieinander als mit den vorher genannten Mitteln.
 
Diese verschiedenen Formen der Begegnung haben die Jünger Jesu in seiner Zeit mit ihm auch erfahren. Es gab die Zeit, in der sie ihn erlebt haben, in der sie seine Worte gehört haben, in der sie mit ihm körperlich zusammen waren.
 
Das war die Zeit, in der sie ihn buchstäblich „gehabt“ haben, die Zeit, in der Begegnungen, vermittelt durch Wort und Körper möglich waren. In seinem Tod sind ihnen alle diese „Mittel“, die sie vorher noch hatten, genommen worden.
 
Es war ihr Lernweg, nach seinem Tod zu erfahren, dass ER sie jetzt noch viel unmittelbarer berührte, ihnen noch viel näher war, als zu der Zeit, in der sie noch vermittelte Begegnungen mit ihm erlebten. In diesen Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt werden wir Zeugen dieses Lernprozesses.
 
Es ist die Zeit, in der die Jünger versuchen, zu verstehen, was geschieht und welche neue Form der Gemeinschaft ihnen da geschenkt ist. Sie brauchen Zeit, sie haben Zweifel, sie fragen nach, wie denn Gemeinschaft mit Jesus möglich sein kann, wenn sie ihn nicht mehr so leibhaft bei sich „haben“, wie vormals.
 
Von diesem Lernweg erzählen uns die Evangelien dieser Wochen.
 
Im Fest der Himmelfahrt Jesu Christi kommt zum Ausdruck, dass die Jünger verstanden haben: Wir brauchen ihn nicht mehr in seiner leibhaften Gegenwart, um Gemeinschaft mit ihm zu haben. Seine Gegenwart muß nicht mehr vermittelt sein durch Wort und Körper. Sie erfahren seine Gegenwart durch seinen Geist, der sie von innen überströmt und leitet. Jetzt brauchen sie nur noch nach innen zu hören, die geisterfüllte Gegenwart Jesu in dieser Welt, ja in sich selber wahrnehmen, um mit ihm leben zu können, um ihn erkennen, um an ihn glauben zu können. Er begegnet ihnen jetzt buchstäblich unmittelbarer als je zuvor. Das erkennt Thomas und deshalb kann er anbetend sagen: „Mein Herr und mein Gott“.
 
So entsteht Glaube. Es ist der Weg von außen nach innen.
 
Zunächst werden uns die Glaubensinhalte vermittelt durch Zeugen, durch Religionsunterricht, durch Predigten, durch Gespräche. Wir erleben den Glauben in der Gemeinschaft der Kirche, er wächst durch Gebet, durch religiöse Bücher, durch Werke der Barmherzigkeit, durch Lebenserfahrungen, durch Einsichten, die uns weiterführen. Das alles ist notwendig auf dem Weg des Glaubens und bringt uns Jesus Christus und Gott, dem Vater näher. Doch je mehr wir Gott in uns erkennen, umso unwichtiger werden die äußeren Erfahrungen und Erlebnisse und wir werden unabhängiger von diesen Mitteln.
 
Wir begegnen Gott direkter - in uns.
 
Dieser Weg der Annäherung vom Außen zum Innen leben wir übrigens in jeder Eucharistiefeier.
 
Zuerst feiern wir den Wortgottesdienst.
 
Die Worte, die Heilige Schrift, die Ansprache vermitteln Nähe zu Gott. In der Gabenbereitung bringen wir uns mit unserem Leben selber vor Gott und erneuern in den Gabengebeten unsere Hingabe an Gott. In der Wandlung feiern wir seinen Tod und erinnern uns, dass er nicht mehr körperlich unter uns ist.
 
Gleichzeitig wird uns in der Wandlung aber sichtbar vor Augen geführt, dass Jesus mit Leib und Blut selber gegenwärtig ist.
 
In der Kommunion verbinden wir uns ausdrücklich mit ihm und feiern die unmittelbare Gemeinschaft, die uns geschenkt ist. Nach der Kommunion folgt die Stille, die Zeit des persönlichen Gebetes, in der ich mir die geschenkte Einheit mit Gott bewußt mache. Es ist die Zeit, in der die Weise der Begegnung mit Jesus, die uns jetzt möglich ist, am dichtesten aufleuchtet. Viele Menschen beten hier mit wenigen Worten: „Du in mir und ich in dir!“. Oder sie beten mit den Worten des Apostel Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“. Oder sie schweigen und verkosten die Verbindung, die geschenkt ist. Die stille Begegnung mit Christus ist unmittelbarer als jedes gesprochene Wort.
 
Das hat Thomas in diesem Moment der Begegnung verstanden. Es ist der Moment der Begegnung in der Eucharistiefeier, die die Jünger am ersten Tag der Woche in ihrer Glaubensgemeinschaft gefeiert haben. Er hat geglaubt und erkannt, dass sein Herr bei ihm war - näher als je zuvor. In seiner Antwort hat er das unübertrefflich zum Ausdruck gebracht: „Mein Herr und mein Gott!“
 
Amen
 
Harald Fischer