Gründonnerstag 2007
 

Liebe Gemeinde!
 
Bei Lukas lesen wir über den heutigen Abend: „Als die Stunde gekommen war, begab Jesus sich mit den Aposteln zu Tisch. Und er sagte zu ihnen: Ich habe mich sehr danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen...“.  (22,14 f.).
 
Das feiern wir heute!
 
Das Paschamahl: ein Gedenken an das Geschehen vor 2000 Jahren und noch darüber hinaus.
 
Das Paschamahl: die Erinnerung der gläubigen Juden an die Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens.
 
Den Jüngern ist dieses Mahl gegeben als ein Zeichen, das ihnen geholfen hat, die Schrecken der nächsten Tage zu überstehen.
 
Ob sie zusammen geblieben wären, hätten sie dieses Zeichen von Brot und Wein, das Zeichen seiner Gegenwart nicht gehabt?
 
Ob sie geahnt haben, was in den Stunden nach diesem Mahl auf sie zukommen würde? Ob sie sich vorstellen konnten, dass sie nur wenig später fliehen würden, dass Petrus ihn verraten würde, dem er jetzt noch schwört, dass er ihm überall hin nachfolgt, sogar sein Leben wollte er für ihn geben. Ob sie sich die Stunde im Garten Getsemane, die Einsamkeit Jesu im Kerker des Hohenpriesters vorstellen konnten, jetzt in dieser Stunde der Gemeinschaft?
 
Die Zeichen dieser Stunde, Brot und Wein und seine Worte haben ihnen später geholfen, sich zu erinnern, zu bewahren, was sie mit ihm erfahren hatten. In diesen Zeichen haben sie IHN selbst erkannt, seine Weise, Menschen anzusprechen, zusammenzuführen, zu achten, zu lieben.
 
Diese Zeichen haben ihnen Mut gemacht zu glauben, dass sie selber gemeint waren mit seiner Liebe, trotz ihrer Angst. Sie haben glauben können, dass sie selber gemeint waren, trotz Flucht, trotz Verrat, trotz Unglaube.
 
Seit diesem Abend versammeln sich Menschen und feiern dieses Zeichen, sie wiederholen es - um sich an Jesus zu erinnern und seine Gegenwart zu feiern.
 
Sie wissen sich eingeladen, angesprochen, trotz der eigenen Zweifel, des Unglaubens.
 
Sieger Köder hat seine Sicht dieses Mahles in einem Bild zum Ausdruck gebracht.


 
Wir sehen acht Menschen am Tisch. Sieben sieht man. Drei sind Frauen, vier Männer. Der achte ist auch da. Aber man sieht nur seine Hände. In der rechten liegt ein Stück Brot. Zwischen den Händen steht das Glas, halbvoll mit Wein. Von diesem, dessen Antlitz man nicht sieht, von diesem Verborgenen und doch Nahen geht ein Licht aus. Sein Widerschein fällt auf die Gesichter der Tischgäste. Jeder bekommt ein paar Strahlen dieses Lichtes ab. Auch die, die im dunklen Hintergrund des Zimmers sitzen.
 
Das Zimmer ist nicht abgeschlossen. Der Blick geht hinaus auf eine Landschaft. Auch auf den Häusern des Dorfes liegt das Licht.
 
Die Tischgäste - einige sind eindeutig zu identifizieren: Links der Jude mit dem zusammengerollten Gebetsmantel um die Schultern. Sein Gesicht erinnert an die Gesichter, die man von den Bildern aus den Konzentrationslagern kennt. Im Hintergrund der Harlekin, der Clown, ein alter Mann, das Gesicht voller Schwermut, mit dunklen Augen. Auf seine Brust fällt der Schatten der roten Blume auf dem Tisch. Der Schatten kommt vom Licht, das von der anderen Seite des Tischs ausgeht. Der mit der Brille sieht aus wie einer von Heute, aus unserer Zeit. Ein Zweifler? Ganz rechts der Neger, mit blutbeflecktem Kittel und verbundenem Arm. Es ist ein Gesicht aus den Gettos der Schwarzen geschunden, gequält.
 
Die Frauen: Zwei Schöne mit roten Kleidern. Die eine vielleicht eine Dirne, eine Sünderin, wie die Bibel sagt? Die andere vielleicht eine Reiche, die doch nicht genug hat an ihrem Geld? Eindeutig ist die alte Frau mit dem verhärmten Gesicht, von Armut und Trauer gezeichnet, von schwarzem Tuch umhüllt, die Hände auf den Tisch übereinandergelegt, den Kopf gebeugt.
 
Der Tischherr kann mit diesen Gästen „keinen Staat machen“. Doch offensichtlich war es seine Entscheidung, gerade diese einzuladen. Er bevorzugt die im Dunkeln, die man sonst übersieht, ausbeutet, schändet, verlacht.
 
An diesem Tisch sitzt keiner, der satt und zufrieden aussieht. Dieses Mahl ist nichts für Menschen, die schon am Ziel sind, die keine Unruhe, keine Sehnsucht mehr in sich spüren. Die Etablierten und Anständigen sind auf diesem Bild nicht zu sehen.
 
Es ist ein Mahl für Kämpfende, für Menschen, die noch unterwegs sind. Hier können sie ausruhen, so wie sie sind, ohne Gefahr zu laufen, abgelehnt zu werden oder Vorurteilen zu begegnen. Hier können sie neue Kraft schöpfen für den Weg, der vor ihnen liegt, für das Leben.
 
Von den Händen im Vordergrund geht eine Geborgenheit aus, die Ruhe schenkt und Gemeinschaft bildet.
 
Es ist ein Abendmahl. Und die Stunde dieses Mahls ist unsere Stunde heute. Nachher im Hochgebet werden wir es wieder hören: „Am Abend an dem er ausgeliefert wurde und sich aus freien Willen unterwarf - das ist heute - nahm er Brot und Wein...“ Das ist heute!
 
Was hier geschieht, ist Eucharistie, Danksagung für einen, der sich geschenkt hat für die anderen: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19) - Hingabe!
 
Zum Gründonnerstag gehört ein zweites Zeichen, das der Fußwaschung. Der Evangelist Johannes erzählt in seinem Evangelium nichts von dem Mahl, das wir jeden Sonntag feiern. Er setzt es voraus. Für ihn wird in der Fußwaschung dasselbe sichtbar, was in dem Mahl gefeiert wird: Die Hinwendung Jesu zu den Menschen.
 
Wir sind hier im Gottesdienst heute die Menschen, die sich um den Tisch versammelt haben, im Gedenken an Jesus, in Gemeinschaft mit ihm. Wir sind eingeladen, dass Zeichen seiner Zuwendung zu erfahren: in der Eucharistie - und heute am Gründonnerstag in der Fußwaschung. Wir dürfen uns berühren lassen, von seiner Zuwendung, seiner Hingabe, seiner Liebe.
 
In der Fußwaschung wird sichtbar, an uns sichtbar, was S. Köder in seinem Bild ausdrückt. Die Schwäche der Jünger zeigt sich ja noch nicht im Mahl. Sie wird erst in der Stunde der Bewährung offenbar. Aber sie ist auch jetzt schon Teil ihres Lebens. Und in vollem Bewußtsein dessen, was noch kommt, auch im Bewußtsein dessen, was von seinen Jüngern noch an Feigheit, Verrat und Versagen kommt, wäscht Jesus ihnen die Füße.
 
Wir sind eingeladen, dieses Symbol an uns vollziehen zu lassen und so zu erfahren, was uns im eucharistischen Mahl geschenkt ist: Wir haben Gemeinschaft mit dem, der uns einlädt.
 
In unserer Gemeinde sprechen wir nie vorher ab, wer zur Fußwaschung geht. Jeder ist eingeladen, sich dieses Zeichen schenken zu lassen. So lade ich Sie jetzt ein, nach vorn zu kommen, sich auf die bereitgestellten Stühle zu setzen, vielleicht unvorbereitet, vielleicht überrascht. Genauso erging es den Freunden Jesu damals - Männern und Frauen. Wie sie dürfen wir uns berühren lassen, von seiner Hingabe, von seiner Zuwendung, von seiner Liebe.
 
Amen.
 
Harald Fischer