11. März 2007, 3. Fastensonntag
Lk 13, 1- 9
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Wie kann Gott das zulassen?
 
Das ist eine Frage, die immer wieder auftaucht und Menschen in ihrem Glauben bedrängt. Wenn eine schwere Krankheit auf einmal das Leben plötzlich von Grund auf verändert, wenn ein Unglück ein Leben von einem Moment auf den anderen vernichtet, erst recht wenn eine Katastrophe ganze Bevölkerungsgruppen auslöscht: Wie kann Gott das zulassen?
 
Das ist keine moderne Frage, die sich erst den Menschen unserer Zeit stellen würde.
 
Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage liegt dem heutigen Evangelium zugrunde, das zunächst sperrig ist und schwer verständlich erscheint.
 
Die orientalischen Menschen der Antike haben noch mehr wie heute alles in Kausalzusammenhängen gesehen und verstanden.  In früheren Zeiten hat man bei Blitz und Donner schnell an erzürnte Götter gedacht. Schlechte Ernten oder Umweltkatastrophen wurden als Ausdruck schlechter Laune der Götter gedeutet, die durch Opfer besänftigt werden mußten. Oder die Götter straften auf diese Weise Menschen für deren Vergehen.
 
Genau dieses Denken, dass Unglück Strafe ist, bildet den Hintergrund für unser heutiges Evangelium. In dieser Kultur wurden Krankheit, Not und persönliches Unglück als Strafe für begangene Schuld angesehen. Dahinter steckte ein dämonisches Götterbild. So wurden vor allem die alten griechischen und römischen Götter gesehen, vor deren Willkür niemand wirklich sicher war.
 
Die Jünger hatten Katastrophen ihrer Zeit benannt. Sie erzählten von Galiläern, die offenbar von Pilatus getötet worden waren. Und sie erzählten von einem Unglück, bei dem ein einstürzender Turm insgesamt 18 Menschen getötet hat. Schreckliche Vorkommnisse, aber im Wandel der Welt im Grunde auch Alltäglichkeiten. Bis heute hat sich daran nichts wirkliches geändert. Sie fragen: „Wie kann Gott das zulassen? Ist das alles Ausdruck von Schuld der betroffenen Menschen?“
 
Gegen diese Auffassung richtet sich Jesus: „Meint ihr, dass nur die Sünder waren, die Pilatus hat töten lassen oder nur die, die vom Turm erschlagen wurden, alle anderen aber nicht? Nein, ihr werdet alle genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt!“
 
Das ist orientalische Sprache. Jesus wollte nicht sagen, dass seine Jünger oder gar wir heute von einem Pilatus oder einem umstürzenden Turm erschlagen würden. Wie sollte das auch sein. Nein; er wendet den Blick von den durch die Unglücke Betroffenen auf die Fragenden. Es geht nicht um die Schuld der Getöteten, es geht um euer Leben!
 
Er befriedigt nicht eine Neugier oder gar Sensationslust. Er rückt den Fragenden ganz nahe und sagt ihnen: „Es geht um euch, um euer Leben. Ihr seid betroffen. Morgen schon könnt ihr tot sein, wie die, nach denen ihr fragt. Ihr seht doch, wie schnell das gehen kann. Ihr wißt doch, wie bedroht das Leben ist. Wenn ihr nicht umkehrt, trifft euch der Tod genauso überraschend, unvorbereitet wie die, über die ihr euch jetzt Gedanken macht.“
 
Jesus antwortet nicht auf die Frage nach dem „Woher“ und dem „Warum“ der Katastrophen. Da muß man die Statiker des Turms fragen, der eingestürzt ist oder Pilatus, nach seinen Beweggründen für den Mord an den Menschen. Jesus nimmt die Frage als Anlaß, die Menschen zur Umkehr zu drängen.
 
Umkehr - das ist das Wort, das über diesem ganzen Evangelium steht.
 
Nach Jahren, die besonders die Älteren noch stark erlebt haben, in denen die Angst vor Gott häufig im Mittelpunkt der Verkündigung und der Predigt stand, haben wir in den letzten Jahren die Rede vom bedingungslos liebenden Gott gehört. Und das ist auch gut so. Aber vielleicht haben wir angesichts der Rede vom „lieben Gott“ manchmal die Herausforderung übersehen, die auch mit dem Evangelium verbunden ist.
 
Bischof Franz Kamphaus hat das einmal sehr schön so gesagt: „Die Frömmigkeit, die vom Bild des unerbittlichen Richters mit dem Schwert in der Hand geprägt wurde, ist oft genug, nach den verständlichen Gesetzen des seelischen Gegenschlags, in eine Religion des „lieben Gottes“ umgesprungen. Der ist dann nur die göttliche Bestätigung für alles und jedes, niemals Herausforderung, Widerstand oder Zorn gegen das, was ich gerade zu tun beliebe. Der oberste Gutmütige hilft schließlich, die Feigheit vor dem Leben, die Scheu vor harten Bewährungen ewig zu machen. Beliebigkeit und Verkümmerung sind zum Prinzip erhoben. - So nicht! Jesus ist alles andere als harmlos. Wer wollte angesichts des Kreuzes von Harmlosigkeit sprechen?“ (Auf den Punkt gebracht. Biblische Anstöße, Verlag Herder, Freiburg, 1994, S. 187).
 
Mit dem Glauben, mit dem christlichen Glauben läßt sich eben nicht alles rechtfertigen. Es gibt richtig und falsch, gut und böse. Wer wollte das übersehen angesichts dieser Welt?
 
Und natürlich gibt es das auch in meinem Leben: richtig und falsch, gut und böse. Das muß ich mir angesichts meines Lebens eingestehen. Wenn ich davor weglaufe, davor die Augen verschließe, mache ich mir selber etwas vor, belüge ich mich. Wenn ich das aber sehen kann, kann ich mich auch der Forderung stellen, die mir hier im Evangelium begegnet: Umkehr leben!
 
Hier, im heutigen Evangelium begegnet uns ein Anfang des Umgangs mit den Sündern. Der Feigenbaum nimmt in einem Weinberg den umstehenden Reben viel von deren Nahrung und deren Kraft. Nach dem Gesetz der Wirtschaftlichkeit müßte er umgehauen werden. Selbstverständlich. Was soll ein unfruchtbarer Baum den anderen die Nahrung wegnehmen. Aber gerade er erhält besonders viel Zuwendung, er erfährt Geduld und die werbende Zuwendung des Gärtners. So geht Gott mit den Sündern um: werbend, mit besonderer Zuwendung, Hilfe gebend. Aber die zuwendung ist nicht beliebig und harmlos. Sie ist auch eine Herausforderung und verbunden mit der Aussage, dass die Geduld Frucht bringen soll, „wenn nicht, hau ihn um!“
 
Paulus drückt das in dem Brief an die Römer einmal so aus: Merkt ihr nicht, dass Gottes Güte uns zur Umkehr treibt!“
 
Amen
 
Harald Fischer