26.12.2006, 2. Weihnachtstag, Hl. Stephanus
Apg 6,8 - 10; 7,54 - 60
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Sie haben gewusst, was Sie heute hier erwartet. Sie haben gewusst, dass heute bei uns nichts vom Christkind und von Engeln und Hirten vorgelesen wird. Sie haben gewusst, dass Sie - wie alle Jahre wieder - die Stephanusgeschichte vorgesetzt bekommen.
 
Warum müssen wir uns immer wieder dieser brutalen Wirklichkeit stellen? Dieser Welt, in und an der dieser junge Mann zu Tode gekommen ist? Die Liturgie fordert uns heraus zu begreifen, ganz tief zu begreifen und zu erleben, was Weihnachten ist und sein will: die Ermutigung, an die Nähe der Liebe Gottes in dieser konkreten und oft grausamen Welt zu glauben.
 
Weihnachten heißt: Gott verschenkt sich an uns, wird Mensch, um uns in allem nahe zu sein. Gott traut sich uns Menschen an. So verrückt ist Liebe, so Verrücktes tut die Liebe.
 
Liebe ist ansteckend. Das gehört dazu. Das ist geradezu ihr Wesen. Das feiern wir an Weihnachten, dass Gott Mensch geworden ist, der liebt und Nähe schenkt und Gemeinschaft stiftet, die wiederum liebt, Nähe schenkt und heilt - trotz allem Versagen und bis heute. Darum sind wir ja da.
 
Stephanus gehört zu den Allerersten, die sich von dieser Liebe haben anstecken lassen. Es ist uns nur eine kurze Spanne aus seinem jungen Leben bekannt. Es ist die Zeit der jungen Kirche, die Zeit, als die Jesusgemeinschaft sich als selbständige Gemeinschaft entwickelt hat.
 
Es ist auch eine Zeit, in der es eine Auseinandersetzung, einen Streit innerhalb der jungen Jesusgemeinschaft gegeben hat. Es gibt Unzufriedenheit, Ungerechtigkeit: Die Witwen der griechisch sprechenden Judenchristen fühlen sich bei der täglichen Versorgung übergangen. Diese Frauen ohne jede Versicherung und ohne Rechtsbeistand werden anders behandelt als ihre aramäisch sprechenden Schicksalsgenossinnen - und das, obwohl sie zur selben Gemeinde gehören, die beteuert, ganz auf Jesus hin und aus seiner Kraft leben zu wollen!
 
Die Verantwortlichen wischen die Klage nicht vom Tisch. Sie rufen die Jünger zusammen und finden eine Lösung: Sieben Männer „von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit“ sollen sich um die Diakonie unter den Griechen kümmern.
 
Dienst am bedürftigen Mitglied einer Gemeinde gehört also nicht nur nebenbei auch noch zur Kirche. An der konkreten Hilfe für Arme und Notleidende erweist sich ihre Echtheit. Tätige Nächstenliebe ist der Prüfstein der Kirche. Ohne sie gibt es keine Gemeinde Jesu Christi!
 
Stephanus ist einer dieser sieben Gewählten, ein Mann „voll Gnade und Kraft.“ Offensichtlich ist es Stephanus wirklich gelungen, die Gaben gerecht zu verteilen. Er konnte den Betroffenen helfen, dass sie aufatmen und sich als gleichwertige Mitglieder der Gemeinde fühlen konnten.
 
Ich glaube, hier liegt eine Herausforderung der Weihnachtsbotschaft des zweiten Feiertages, der wir uns als Gemeinde noch stärker stellen müssen. Wie gehen wir in unserer Gemeinde mit den brennenden sozialen Problemen unserer Zeit um? Vielleicht gelingt es uns im kommenden Jahr hier neue Schritte zu entwickeln.
 
Für Stephanus ist schon schnell, nachdem der soziale Konflikt innerhalb der Gemeinde bereinigt werden konnte, ein anderer gefährlicher Streit aufgetaucht. Er wird wegen seines Glaubens angegriffen. Der passt nicht in die alte Tradition. Die junge Kirche, die am entstehen ist, bedroht eine alte Ordnung.  Dieser Konflikt endet für Stephanus tödlich. Er wird in einem Prozess, der zur Lynchjustiz wird, umgebracht.
 
Warum mutet es uns die Kirche zu, direkt am zweiten Festtag in Lesung und Evangelium so harte, unweihnachtliche Texte zu hören? Alles in der Lesung gehörte würden wir an Weihnachten gern großräumig umgehen: wütendes Geschrei, Nachrichten von Gewaltakten, von tödlichen Steinen, gewaltbereitem religiösen Wahn. Der Tod des Stephanus ist doch wirklich das Letzte, wonach uns jetzt  zumute ist.
 
Diese Unterbrechung geschieht nicht, weil Gott und die „Frohe Weihnacht“, die wir uns in diesen Tagen immer wieder gegenseitig wünschen, nicht gönnt oder uns wie ein Spielverderber stört.
 
Diese Unterbrechung macht uns deutlich, was die Feier des gestrigen Tages für Konsequenzen hat: nämlich die Bereitschaft in WORT und TAT für die Botschaft, die dieses Kind in die Welt bringen wird, einzutreten. Die Nachhaltigkeit von Weihnachten, unsere Glaubwürdigkeit mißt sich nicht daran, wie feierlich oder gemütlich es gestern oder heute bei uns zugegangen ist. Sie mißt sich daran, was sich im Laufe des Jahres an WORT und TAT in unserem Leben zeigen wird und sich auf die Botschaft von Weihnachten zurückführen läßt.
 
Gott setzt im Kind von Bethlehem einen neuen Anfang. Gott wird Mensch in keiner anderen Welt als in der, die Stephanus erlebt und erleidet.  Und er braucht über dieses Kind hinaus Zeugen, die diesen Anfang leben.
 
Stephanus lebt diesen Anfang. Er setzt den Anfang all derer, die mit diesem Glauben ernst machen und er steht für diesen Anfang ein - mit seiner ganz Person, ja sogar mit seinem ganzen Leben.
 
Stephanus redet nicht nur von der Liebe Gottes, er lebt sie und in der eigenen Bedrohung und Gefahr traut er ihr. Indem er sich fallen läßt, spürt er die Kraft Gottes in sich, sieht er die Herrlichkeit Gottes über sich.
 
Im Wort und im Dienst hat Stephanus die Nähe Gottes für andere erlebbar gemacht. Jetzt erfüllt sie ihn ganz.
 
Für ihn ist Weihnachten wahr geworden. Gottes Gegenwart ist sein Halt. Bei ihm stimmt das alte Sprichwort: Wofür es sich zu leben lohnt, dafür lohnt es sich auch zu sterben.
 
Amen.
 
Harald Fischer