Weihnachten 2006
Lk 2,1-14
 
 
Sagt es leise weiter;
Sagt allen, die sich fürchten.
Sagt leise zu ihnen:
Fürchtet euch nicht,
habt keine Angst mehr,
Gott ist da.
Er kam in unsere Welt:
Einfach, arm, menschlich.
Sucht ihn, macht euch auf den Weg!
Sucht ihn nicht über den Sternen,
nicht in Palästen,
nicht hinter Schaufenstern.
Sucht ihn dort, wo ihr arm seid,
wo ihr traurig seid und Angst habt.
Da hat er sich verborgen.
Da werdet ihr ihn finden,
wie einen Lichtschein im dunklen Gestrüpp,
wie eine tröstende Hand,
wie eine Stimme. Die leise sagt:
Fürchte dich nicht.
(Agende 1.1 S.70)
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Jedes Jahr dieselbe Geschichte. Das Weihnachtsevangelium ist sicher eine der bekanntesten Geschichten der Welt. Und dennoch wird sie jedes Jahr neu erzählt. Und jedes Jahr ergreift sie die Menschen von Neuem. Schon als Kind habe ich immer auf diese Worte gewartet. Jedes Jahr dieselben Worte - und doch jedes Jahr neu.
 
Neu wohl auch, weil wir jedes Jahr Veränderte sind, die diese Worte hören. Vielleicht hat sich in diesem Jahr eine Hoffnung zerschlagen? Oder eine neue Liebe ist aufgetaucht. Mussten wir von einem Menschen Abschied nehmen? Oder haben wir eine neue Einsicht, ein neues Lebensgefühl, eine veränderte Glaubenssicht gewonnen?
 
Wir sind jedes Jahr Veränderte und die Welt ist eine veränderte Welt, in der wir diese Geschichte erzählen und uns ihre Bedeutung für unser Leben neu bewußt machen wollen.
 
Weihnachten: kein Fest, dass deshalb so unzerstörbar ist, weil es eine schöne Familiengeschichte erzählt. Es macht eine Hoffnung sichtbar, die der Welt ein Licht schenkt. Weihnachten macht eine Hoffnung sichtbar, die das Leben eines jeden Menschen ergreifen will.
 
Die Weihnachtsgeschichte nimmt ihren Anfang im Stall. Es ist tatsächlich nur ein Stall. Kein Palast, wie man es hätte erwarten können für den König der Könige, den Herrscher des Alls, für Gottes eingeborenen Sohn - all die Titel, die die Dogmatik und die Liturgie später über dieses Kind sagen werden.
 
Dieser Stall war nicht so sauber und gemütlich, wie die Ställe, die wir jedes Jahr liebevoll aufbauen - im hübschen Fachwerkstil oder bayrisch rustikal; aus hellem, freundlichem und ansprechendem Holz - gemütlich warm wie eine Kellerbar oder Sauna. Blitzsauber mit frischem Stroh und duftendem Heu, so daß es eine Lust wäre, sich hineinzuwerfen und dort zu übernachten.
 
Die alten orthodoxen Ikonen fangen eine andere Wirklichkeit ein. Da sieht man ein dunkles Loch. Eine Höhle, schmutzstarrend und stinkend, wie Ställe nun mal waren, bevor Technik und Hygienevorschriften in unsere Welt eingezogen sind. In Zwielicht und Jauche, auf Mist und Kot kommt Jesus zur Welt, den wir Gottes Sohn nennen.
 
Wir können uns nicht drastisch genug ausmalen, was Lukas uns mit der alten Geschichte erzählt und welch provozierendes Bild er malt. Vielleicht hat Weihnachten für viele seine religiöse Kraft auch deswegen verloren, weil Jesu Geburt so verniedlicht wird und zum freundlichen Familienfest umgedeutet worden ist.
 
Es ist ein Geheimnis, das uns hier begegnet. Und wenn man alles Unbehagliche und Fragwürdige austilgt, ist das nicht mehr zu erkennen und erst recht nicht mehr zu verstehen. Es verwundert und verstört uns nicht mehr, dass der Geburtsort Jesu kein Palast war.
 
Warum nur hat der unendlich große Gott ein kleines stinkendes Loch für die Menschwerdung ausgewählt. Das ist eine Frage, und sie beantwortet sich nicht mit Armutsromantik, wie es unsere Krippen versuchen. Armut kann man auch ohne Dreckstall haben.
 
Gott wird Mensch - in der Dunkelheit, in der Armut, im Elend. Die ersten Adressaten dieser Botschaft sind die Armen, buchstäblich die materiell Armen, die, denen das lebensnotwendige zum Leben fehlt. Nicht nur, dass die Hirten, die zu den Ausgestoßenen und Verachteten ihrer Zeit gehört haben, als erstes die Botschaft von der Geburt des Retters gehört haben. Das Kind, dessen Geburt sie entdecken und die wir heute feiern, gehört selber zu ihnen. Lukas, der Evangelist,  sagt uns: Gott  macht sich den Elenden gleich.
 
Ja, es steckt auch eine politische Bedeutung in dieser Weihnachtsbotschaft, die noch weiter zu entfalten sich lohnen würde.
 
Wir können sie aber auch sehr persönlich auf das Leben eines jeden einzelnen Menschen hören.
 
Die alte Theologie von der „Gottesgeburt im Menschen“ hilft uns weiter. Das Weihnachtsgeheimns wird darin auf das persönliche Leben hin gedeutet: Gott will immer neu zur Welt kommen - in jedem Menschen, um mit ihm ganz eins zu sein. Das bedeutet, dass wir heute Menschwerdung Gottes in unserem Leben feiern. In uns will Gott Wohnung nehmen.
 
Der Stall der Krippe heute ist das Herz der Menschen, ist unser Herz. Der Mystiker Angelus Silesius formuliert es so:
 
„Und wäre Christus tausendmal geboren, und nicht in dir, so wärst du doch verloren.“
 
Gottesgeburt im Menschen, Gottesgeburt in uns. Nichts anderes feiern wir doch an Weihnachten. Gott hat Heimat in der Welt gefunden. Gott ist bei uns.
 
Und wie ist dieser mögliche Geburtsort Gottes in uns beschaffen?
 
Jesus ist da ganz realistisch. Er sagt einmal: „Von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstähle, Morde, Ehebrüche, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifungen, Neid, Verleumdungen, Hochmut und Unvernunft.“ (Mk 7,21f.)
 
Das klingt nicht weihnachtlich sondern ärgerlich, verstörend.
 
Und: Um im Bild der Gottesgeburt im Menschen zu bleiben - bei einem solchen Hausgenossen einzuziehen ist nicht verlockend und gemütlich.
 
Aber kann man diese Wirklichkeit nicht immer wieder, auch heute an Weihnachten in unserer Welt erkennen? Friedlich geht es nicht zu. Nicht im Großen und oft genug auch nicht im Kleinen.  Man kann an unserer Welt erkennen, daß wir aus Angst, aus Egoismus, vielfach aus Hartherzigkeit ständig viel „Mist“ produzieren - um nicht ein noch drastischeres Wort zu gebrauchen! Ein Herz voll Zwielicht, ein dunkles Loch mit Jauche und Kot?!
 
Genau wie die Höhle in Bethlehem.
 
Sicher, man mistet diesen Stall von Zeit zu Zeit aus - mit Umkehr, mit Reue, mit Vorsätzen, mit eigenem Bemühen. Aber wer kann schon einen sauberen, hellen Palast sein eigen nennen? So schnell, zu schnell wird immer wieder neuer Unrat produziert. Der beste Vorsatz, die größte moralische Anstrengung schaffen es nicht, die Wohnung in uns hell und freundlich zu halten.
 
Deshalb beten wir zu recht vor jeder Kommunion: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.“
 
Wir sind es wirklich nicht! Einen Palast haben wir nicht zu bieten.
 
Vielleicht beginnt auf diesem Hintergrund die Weihnachtsbotschaft neu zu leuchten. Diese elende Höhle von Bethlehem versichert uns, dass Gott, der unendlich Heilige und Große, keine Berührungsängste hat. Er scheut sich nicht vor uns Menschen mit unserem Leben, mit all den Dunkelheiten.
 
Im Gegenteil! In diesen dunklen Herzenshöhlen will er geboren werden und auf Dauer bleiben.
 
Dann erst wird sich etwas verändern in unserem Leben und in unserem Verhalten. Seine Heiligkeit wird Licht schaffen in uns. Weil er sich mit uns Menschen verbindet, brauchen wir die Hoffnung nicht zu verlieren. Obwohl wir die Menschen kennen, obwohl wir uns kennen.
 
Es ist eine unbegreifliche Liebe, die in die Dunkelheit des Menschenlebens eintauchen will! Fassungslos, stumm vor Staunen müßte uns das machen.
 
Und dankbar, unendlich dankbar. Dann kann das Weihnachtsgeheimnis seine Kraft entfalten.
 
Gott sei Dank: es war kein Palast! Sondern nur ein elender, stinkender Stall.
 
Amen.
 
Harald Fischer