12.2.2006, 2. Fastensonntag
Mk 9, 2-10: Verklärung Jesu
Liebe Gemeinde auf dem Verklärungsberg!
Ich möchte die Betrachtung unseres heutigen Evangeliums mit einer Frage beginnen: Wie können wir ernsthaft an einen Gott glauben, der von Menschenhand am Kreuz stirbt? Was erwarten und erhoffen Sie von einem Gott, dessen Macht durch die Gewalt von Menschen an ihr Ende kommt und - mehr noch - dessen Leben an sein Ende kommt, durch Menschenhand?
Gott unter uns? Ja: unter uns Räuber gefallen!
Gott unter uns? Ja: und zugleich gescheitert durch das gewagteste und gefährlichste aller seiner Geschöpfe, uns Menschen!
Das heutige Evangelium führt uns zu eben diesen Fragen. Sie sind nicht intellektueller Natur, keine theologische Spielerei; sie fragen danach, was wir wirklich glauben können; ob wir Gott, diesem Gott, wirklich glauben wollen.
Gehen wir für einen Moment im Text zurück und betrachten wir die Szenen, die Markus vor dem Evangelium der Verklärung Jesu erzählt.
Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem; da fragt er sie ganz unvermittelt, für wen ihn seine Zeitgenossen halten; wir kennen die Antwort des Petrus: „Man hält dich für Johannes, andere auch für Elia; andere meinen, du seist einer der anderen großen Propheten Israels. Aber all das bist du nicht. Du bist der Messias!“ Du bist der Messias - wie naiv diese Antwort von Petrus doch ist. Er hatte bis dato immer noch geglaubt, in Jesus den großen politischen und religiösen Reformator sehen zu können, denjenigen, der bald, unmittelbar bei der Ankunft in Jerusalem, seine ganze Macht entfalten würde, das religiöse und politische Etablishment stürzen und seine Herrschaft über Israel, ein politisch befreites und religiös reformiertes, errichten würde.
Jesus verbietet ihm energisch, mit irgendjemand über ihn zu sprechen. Das tut er, weil er sich von Petrus völlig missverstanden sieht. Menschlich gesehen ist diese Erfahrung Jesu mit seinen Freunden sehr schmerzhaft: Wie lange war er mit ihnen unterwegs gewesen, hatten ihm zugehört, seine Art kennengelernt, von und mit Gott zu sprechen, seinen Glauben gespürt und dessen Auswirkung auf die Menschen - und noch immer haben sie nicht gemerkt, wer er wirklich ist, wie er wirklich ist, dieser Gott, an den er glaubt und für den er lebt.
In der nächsten kleinen Episode, die Mk erzählt und in den Bibelausgaben die Überschrift „Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung“ erhalten hat, enthüllt Jesus seinen Freunden, was in Jerusalem wirklich geschehen wird; was Gott mit seinem Geschick in Wirklichkeit zeigen will. Und Petrus? „Er nahm Jesus beiseite und machte ihm Vorwürfe“, heißt es. Petrus: Der exemplarische Mensch, der exemplarische Gläubige. Dessen Glaube heißt: „Die Sache mit Gott muss doch Erfolg haben! Wir müssen doch mit Gott erfolgreich sein! Du darfst doch nicht sterben, ein Opfer werden der Willkür von Menschen! Und wenn: Das bringt doch alles nichts! Sonst ist doch auch mein Glaube wertlos! Gott muss doch siegen! Wenn Gott siegt in dieser Welt, über die Welt und die Menschen, dann lohnt sich auch der Glaube!“ So denkt Petrus. In Jerusalem kann man nur siegen wollen, den Feind ein für alle Mal besiegen wollen: Die Römer zuerst, diese Heiden und Fremden, dann die aus dem eigenen Lager, die Dogmatiker und Rechthaber, die religiös Festgefahrenen und Verbohrten, dann die Kapitalisten und Ausbeuter, die Profiteure, schließlich die Unreinen, die moralisch Abnormen - und dann haben wir das Reich Gottes, wir sind unter uns, wir, die Aufrechten, die richtig Glaubenden, die Engagierten, die Treuen. So also kommt das Reich Gottes: der Messias räumt auf, macht das Haus Israel sauber und... „Weg von mir Satan, geh mir aus den Augen!“, unterbricht Jesus schroff.
Die Unterbrechung dieser Vorstellung vom erolgreichen Messias, mit dem man in der Welt gut angeben und gut ankommen kann und dessen Macht noch effektiver ist als alle Macht von Menschen, die Unterbrechung dieser Vorstellung findet ihre Fortsetzung und ihren dichtesten Ausdruck im heutigen Geschehnis auf dem Berg. Bewusst nimmt Jesus seine drei engsten Vertrauten mit, die zugleich diejenigen sind, die ihn am gründlichsten falsch verstehen, weil sie immerzu von ihrem Glauben und ihrem Gottesbild ausgehen, ihren Glauben träumen statt sich auf den ihres Meisters einzulassen.
Markus erzählt, Jesus wird vor den Augen der Freunde verwandelt: „Dieser ist mein geliebter Sohn!“, vernehmen sie die Stimme Gottes.
Es ist so, dass sich Jesus, dass sich Gott hier in dieser Szene auf dem Berg bis zum Äußersten offenbart und aussetzt: Jesus erscheint den Jüngern so, wie und wer er in Wirklichkeit ist, zudem spricht er mit den beiden größten und bedeutendsten Propheten Israels und Gott selbst spricht zu den Jüngern erklärend, dass Jesus als der Dritte von ihnen ungleich mehr ist, nämlich Gott selbst. Für einen Augenblick wird an Jesus seine ganze göttliche Herrlichkeit, sein unverstehbares Gottsein sichtbar und hörbar. Und Petrus? Wieder handelt er so, wie wir ihn kennen: „So sollst du bleiben, Jesus, so triumphal und glänzend und schön und gelungen; wir sind hier ganz unter uns, alles ist gut, keine Menschen in der Nähe, keine Konflikte, das wirkliche Leben weit weg, zum Glück, aller Ärger vergessen; Jesus, du bist der Größte, bleib so, so kann ich an dich glauben; du machst das schon, hier machen wirs uns gemütlich, und später zeigen wirs den andern, die werden schon sehen, hier oben, was du wirklich kannst, dass du ein ganz Großer bist, der Größte von allen; Angst werden die kriegen vor dir, und Respekt, und dann wird unsere Sache Erfolg haben, du musst nur so bleiben, verstehst du, du musst nur so bleiben!“ Und plötzlich zerplatzt dieser Traum des Petrus, und als würde Jesus sagen: „Kommt, wir müssen wieder nach unten, ich muss nach Jerusalem, mein Weg ist ein Kreuzweg, mein Platz auf der Erde ist dort auf dem Berg Golgatha und nicht hier oben auf diesem Berg!“, geht Jesus wieder nach unten.
Markus hat im Rahmen der theologischen Konzeption seines Evangeliums in der Figur des Petrus den Gläubigen seiner Gemeinde einen Spiegel vorgehalten. Sie sollten in seinem Glauben und in seiner Gottesvorstellung ihr eigenes triumphales Gottesbild, ihren machtbesessenen Gottglauben wiedererkennen und zerbrechen lassen auf dem Weg nach Golgatha, vor allem dann unter dem Kreuz. Die Verklärung Jesu auf dem Berg stellt uns Heutige auf dem Weg nach Jerusalem, also in der Fastenzeit vor die Frage, um die es auch damals in der Gemeinde des Markus schon ging: An welchen Gott glaube ich? Will und kann ich mich wirklich einlassen, will und kann ich mich wirklich verlassen auf einen Gott, dessen Macht durch die Gewalt von Menschen an ihr Ende kommt und - mehr noch - dessen Leben an sein Ende kommt, durch Menschenhand?
Auf dem Berg heute und in wenigen Tagen auf dem Berg Golgatha wird in einer äußersten Spannung ahnbar, was das Geheimnis dieses Jesus ist: Dass er als Gott wirklich und ganz Mensch ist, ganz der Welt gehört; und zugleich ein Schicksal erleidet, das ein ganz menschliches ist, und das heißt: ein skandalhaftes. Denn immer schon war der Mensch Opfer des Menschen, wurde der Gerechte verfolgt, die Liebe verlacht, der Schwache gequält und der Rechtlose ein Spielball der Mächtigen. Diesen Weg geht auch Jesus. Er zeigt sich in seiner ganzen Schwachheit, zeigt, wie schwach und machtlos und schutzlos Liebe ist, wie schwach Gott ist.
Petrus und mit ihm viele andere scheitern in diesen Tagen an Jesus und an Gott. Petrus steht nicht unter dem Kreuz. Er kann diesen Weg Jesu nicht mitgehen, kann den Gott Jesu nicht glauben, der seinen Sohn nicht rettet.
Petrus wird in der Nacht, in der man Jesus foltert und nach einem äußerst fragwürdigen Gerichtsverfahren zum Tod veruteilt, mehrfach sagen: „Ich kenne diesen Menschen nicht!“ Bei Markus ist dieser Satz übrigens die zentrale Mitte seiner Passionserzählung, nicht die Kreuzigung, womit man eigentlich rechnet.
Kennen wir Jesus noch am Karfreitag? Heute, oben auf dem Berg, umgeben von der Wolke und der Stimme Gottes, da kennen wir ihn, möchte ich behaupten. Ja, so lieben wir ihn! So ist er uns recht. Und in den nächsten Tagen? Ist uns Jesus dann auch noch recht? Petrus sagt: „Ich kenne einen solchen Gott nicht, ich will mir einen solchen Gott nicht vorstellen, an einen solchen Gott nicht glauben. Weil von ihm nichts zu erwarten ist fürs Leben.“
Ja, die Herrlichkeit Jesu zeigt sich am Kreuz. Das mag quer liegen zu all unseren Vorstellungen vom Messias, vom Gottessohn, von Gott selbst. So kommt uns Gott in die Quere. Er durchquert, durchkreuzt unseren Glauben.
Amen.
Otmar Leibold