15. Januar 2006, 2. Sonntag im Jahreskreis
Joh 1,35 - 42
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Wenn man den Dialog zu Beginn des heutigen Evangeliums ließt, könnte man meinen, das wären Zufallsworte, wie sie am Anfang eines Gespräches manchmal mehr aus Verlegenheit gesprochen werden, um ein Gespräch überhaupt in Gang zu bringen. Und doch entsteht aus diesem Beginn eine Begegnung, die prägt und Leben verändern wird. In den wenigen Sätzen werden die Themen, die einen Glaubensweg ausmachen, angesprochen.
 
Was wollt ihr? (Joh 1,38).
 
Tatsächlich: die Jünger sind losgegangen, auf ein Wort des Täufers Johannes hin. Er meinte, es wäre interessant, Jesus kennen zu lernen. Aber wenn sie selber eine Begegnung haben wollen, müssen sie sich klar werden darüber, was sie selber von ihm wollen, was sie bei ihm suchen. Nur so beginnt ein eigener Glaubensweg.
 
Was wollt ihr? Was willst du? Diese Frage begegnet uns heute morgen: Was wollen wir vom Glauben, was wollen wir von Jesus. Warum sind wir heute morgen hier im Gottesdienst? Was will ich eigentlich vom Glauben?
 
Vielleicht suche ich die handfeste Gewißheit der Fundamentalisten, die Sicherheit und Orientierung versprechen? Vielleicht suche ich eine Zielperspektive, für die es sich zu leben lohnt? Vielleicht ist es die Versicherung des Himmels in unsicherer Zeit?
 
Es ist wichtig, sich der eigenen Erwartungen an den Glauben bewußt zu werden. Oft genug sind falsche Erwartungen damit verbunden, die notwendigerweise enttäuscht werden müssen. Der Glaube setzt auf einen Weg, und oft genug vermittelt er mehr Fragen, die beunruhigen, als die handfeste Gewißheit der Fundamentalisten. Es ist nicht leicht, die Ungewißheit des Weges auszuhalten, den der Glaube bedeutet. Es gilt, die Balance zu finden zwischen einer falschen Gewißheit auf der einen Seite und der verzweifelten Ratlosigkeit auf der anderen.
 
Wo wohnst du? (Joh 1,38)
 
Man lernt viel von einem Menschen kennen, wenn man sieht, wo und wie er lebt, welchen Umgang er hat, welche Werte sein Leben bestimmen.
 
Wo hat Jesus Heimat in dieser Welt? Er ist ein Wanderprediger, der sich bei den Menschen aufhält, vor allem bei denen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Bei all den vielen Freundschaften, die er hat und den vielen Begegnungen, von denen erzählt wird, hat er offenbar doch keine verläßlichen, stabilen und durchtragenden menschlichen Beziehungen. Und doch hören wir oft von ihm - gerade im Johannesevangelium - wie er sagt: „Ich bin nicht allein!“. Seine Heimat, sein eigentlicher und letzter Halt ist der Gott, den er Vater nennt. 
 
Der christliche Glaube bietet keinen festen Standpunkt, auf dem man sicher stehen könnte und der die Fragen dieser Welt klar und verläßlich beantwortet. Im Gegenteil, der Glaube verweist immer über diese Welt hinaus und macht sichtbar, dass wir hier keine bleibende Heimat haben. Die Glaubenden sind eine Gemeinschaft auf dem Weg. Das II Vat. Konzil hat die Kirche deshalb das pilgernde Gottesvolk genannt. Das ist alles andere, als eine gemütliche Wohnzimmergemeinschaft von Menschen, die satt und zufrieden ist.
 
Kommt und seht! (Joh 1,39)
 
Jesus lädt ein zu einem Weg. Gefordert ist dazu die anfängliche Bereitschaft, sich   einzulassen, der anfängliche Mut zum Glauben, nicht die feste Lebensentscheidung. Die kann erst im Lauf eines Lebens wachsen mit all den ermutigenden Erfahrungen, aber auch mit all den Frustrationen und Enttäuschungen, die zu einem Glaubensweg dazu gehören.
 
Kommt und seht! Dieses Wort ist wie eine Einladung, jeden neuen Tag damit zu gestalten. Komm und sieh was du für eine Erfahrung machst, dich auf diesen Menschen einzulassen. Komm und sieh, was es bedeuten kann, diesen neuen, ungewohnten Gedanken nachzugehen. Komm und sieh was es heißen kann, diese Krise zu erleiden, die Krankheit anzunehmen, die Beschwernisse des Alters zu akzeptieren. Komm und sieh wohin es dich führt, wenn du dein Leben annimmst - und es aus der Nachfolge, aus der Gemeinschaft mit Jesus und seiner Botschaft verstehst.
 
Komm und sieh - diese Worte bedeuten eine Einladung, den Glaubensweg auszuprobieren. Man kann über den Glauben nachdenken, ihn innerlich erwägen und reflektieren. Aber das Entscheidende erweist sich erst dann, wenn ich ihn erfahre, wenn ich mich auf den Weg des Glaubens einlassen kann.
 
Vielleicht mache ich auf diesem Weg Erfahrungen, die ich nicht erwartet hatte, die mich enttäuschen und die mich ins Zweifeln bringen.
 
Dann kann ich mich wieder an den Anfang des Weges zurückgestellt sehen mit der Frage: „Was suchst du eigentlich?“ Suchst du mehr die Erfüllung deiner eigenen Wünsche und Vorstellungen oder bsit du bereit für die Offenbarung der Botschaft Gottes?
 
Vielleicht hilft mir ein Wegabschnitt der Enttäuschungen dann neu, mich auf die eigentliche Botschaft Jesu einzustellen und von neuem zu fragen: Meister, wo wohnst du? Was ist deine Botschaft, dein Wort, das du mir verkündest. Und es gilt neu zu entscheiden, ob ich mitgehe und bleibe oder einen eigenen, anderen Weg gehen will.
 
Von den Jüngern heißt es: „Und sie blieben an jenem Tag bei ihm!“ (1,39). Da wußten sie noch nicht, dass diese Begegnung ihr Leben ganz prägen und verändern  und sie für immer bei ihm bleiben würden.
 
Amen.
 
Harald Fischer