26.12.2005, 2. Weihnachtstag
Apg 6, 8-10; 7, 54-60
Wenn man über Weihnachten spricht, liebe Gemeinde, meinen noch längst nicht alle dasselbe. Klar dürfte sein: Weihnachten ist im Jahresablauf schon etwas Besonderes, im Kirchenjahr wie im Geschäftsjahr sozusagen ein Hochfest. Etwas Einmaliges. Und um das zum Ausdruck zu bringen, hat jeder so seine Sprache und seine eigene Logik. In der Konsumlogik hört sich das zum Beispiel so an: „Weihnachten kaufen - Ostern bezahlen“, wie in einem Prospekt einer großen Kaufhauskette. Weihnachten soll nicht daran scheitern, dass ich jetzt nicht das Geld habe, um mich und meine Lieben glücklich zu machen - mit Mikro-Elektronik, DVDs und so weiter. Da wird Weihnachten geldtechnisch eben bis Ostern aufgepumpt. Oder hier: ein großes Versandhaus in Deutschland: „Spar-Chancen - Wir haben für Sie die Feiertage verlängert, Herr Verst. Unbedingt bis Dienstag (also bis morgen) öffnen“. Auch hier gibt es also eine Verlängerung. Einen 3. Weihnachtstag gewissermaßen. Damit ich eine zusätzliche Chance bekomme, Versäumtes nachzuholen. Wie großzügig!
Auch die Kirche kommt nicht mit einem Weihnachtsfeiertag aus. Wie an Ostern und Pfingsten auch braucht sie mindestens zwei. Und wenn man an die entsprechenden Zeiten im Kirchenjahr denkt, dann reicht die Osterzeit bis Pfingsten (50 Tage) und die Weihnachtszeit bis zum zweiten Januarsonntag („Taufe des Herrn“). Warum diese langen Festzeiten? Sollen auch hier Festtagsstimmungen genutzt werden, um nachträglich etwas zu erreichen, auf etwas aufmerksam zu machen?
Schauen wir auf die Texte der heutigen Lesungen. Das Überraschende ist: Es ist nichts mehr zu spüren vom Glanz der Weihnacht. Vom Jesuskind in der Krippe ist keine Rede mehr, Weihnachten nicht mal mehr Thema. Stattdessen geht es um Konflikte, Verfolgungen, Märtyrertum. Und im Evangelium heißt es: „… der Bruder wird den Bruder ans Messer liefern, und der Vater sein Kind“ (Mt 10, 21). Es scheint gerade so, als ob dies die falschen Texte zur Stimmung dieser Zeit sind. Dass sie also Weihnachten nicht verlängern, sondern es uns gründlich austreiben.
Die Kirche feiert heute das Fest des ersten Märtyrers, des heiligen Stephanus. Einen Tag nach dem Geburtsfest Jesu wird eines Heiligen gedacht, der für den Glauben an den Mensch gewordenen Gott gleich teuer bezahlen muss. Und es wird offenkundig, wovon schon gestern und vorgestern die Rede war: dass Weihnachten eben keine Idylle, keine Schnäppchenjagd der Rührungen ist. Keine Trockenübung für Rührselige.
Gott kommt nicht als unverbindliche Heilsempfehlung zur Welt oder als eine Art Wellness-Angebot; er wird tatsächlich geboren. Unter Schmerzen. Ganz echt. Und mit der Geburt des göttlichen Kindes beginnt - wie mit jedem Kind - eine neue Welt. So etwas hat seinen Preis. Dem fundamental Neuen, der Menschwerdung Gottes, kann man nicht gleichgültig, nicht teilnahmslos begegnen. Sie fordert heraus. Die das Kind sehen, berührt es in der Seele. Sie preisen Gott in der Höhe. Das ist in der Tat nicht in ein, zwei Tagen mal eben kurz abgehandelt. Und auch später drängt es Menschen immer wieder zur Stellungnahme, zum lebendigen Zeugnis. Wovon das Herz voll, davon fließt der Mund über. Das verdeutlicht die Stephanus-Geschichte: Der Glaube an diesen Gott kann in Situationen führen, wo es ums Ganze geht, wo sich der Glaube bewähren muss. „Da standen einige aus der so genannten Synagoge der Libertiner und der Kyrenäer und der Alexandriner auf … und stritten mit Stephanus. Sie konnten sich aber gegen die Weisheit und den Geist, mit dem er auftrat, nicht behaupten“ (Apg 6, 9-10).
Die Verfolgung des Stephanus fällt in die Zeit der ersten harten Prüfungen der frühen Christengemeinden. Der Diakon Stephanus ist ein Anhänger von Christus im Dienst einer solchen Gemeinde in Jerusalem. Die Apostelgeschichte schildert sehr ausführlich die Verteidigungsrede des Stephanus vor dem Hohen Rat. Die Ältesten und Schriftgelehrten ärgern sich über die Vorwürfe, die Stephanus ihnen macht: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr“ (Apg 7,51). Und dann sagt Stephanus: „Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (V. 56). Ein öffentliches Bekenntnis als Lobgesang auf Gott. Wie der der Engel an der Krippe in Bethlehem. Wer glaubt, bekommt etwas zu sehen geschenkt, was Andere womöglich nicht sehen. Glauben hat etwas mit genauem Hinsehen und Hinhören zu tun - und zwar nach innen, in die Tiefe, ins Herz als dem Sinnesorgan für die Kommunikation mit Gott.
Es ist kein Zufall, dass im zweiten Abschnitt der Lesung der Apostelgeschichte einem eine Reihe von Verben des Sehens begegnen - der ganze Inhalt ist von Visionen bestimmt. Umso erstaunlicher ist die Reaktion der Umherstehenden: „Sie schrieen aber laut und hielten sich ihre Ohren zu“ (V. 57). Auf das Sehen des Stephanus folgt das bewusste Nicht-Hinhören-Wollen des Volkes. Das, was Stephanus in seiner inneren Gottesschau erlebt, was er sieht, das kann von den Umherstehenden offenbar nicht gesehen werden. Nun gut, das kann man ja durchaus nachvollziehen. Das, was er sagt, ist aber allen zugänglich. Das Nicht-Sehen-Können darf man den Gegnern nicht zum Vorwurf machen, das Nicht-Hören-Wollen schon. Das bewusste Weghören geschieht absichtlich. Damit fallen zwei wichtige Sinne, die man zur Kommunikation mit Gott braucht, komplett aus: Hören und Sehen. In diesem Sinne blind und taub sind die Gegner für das Zeugnis des Stephanus unerreichbar. Sie sind für das, was ihnen durch Gott ans Herz gelegt werden soll, ganz und gar unempfänglich.
Ich finde es bemerkenswert, dass die Steinigung des Stephanus unmittelbar auf diese Sinnesverdunkelung folgt. Ohne offene Augen und Ohren für die Wirklichkeit Gottes verliert sich das Handeln schnell in Gewalt, in Rache und Unterdrückung. Darauf wollen die heutigen Lesungen hinweisen: Seid darauf gefasst, dass ihr euch mit eurem Gott nicht nur Freunde macht. Die Liebe, mit der Gott euch liebt, ist nicht von dieser Welt. Sie macht euch eher ohnmächtig für die Machtkämpfe, um die es hier auf Erden geht. In diesem weltlichen Sinne will Gott nicht allmächtig sein. Das Machtwort, das er spricht, ist Fleisch geworden und wohnt mitten unter uns. Seine Herrlichkeit strahlt auf - dort in der Krippe. Als armes Kind liegt Gott im Stall.
Ludger Verst, Diakon