09. 10. 2005, 28. Sonntag im Jahreskreis
Mt 22,1 - 14


Liebe Gemeinde!

Was soll das für eine „Frohe Botschaft“ sein? Ein Mann, der gefesselt und rausgeschmissen wird - nur weil er sich nicht an die Kleiderordnung gehalten hat? Wie hätte er das denn tun können? Eingeladen - von der Strasse weg - unvorbereitet - zunächst freundlich - und dann diese Folge?
Oder was soll das für ein Gleichnis sein? Eine fertige Hochzeitstafel - und dann werden die Reiter los geschickt um die Gäste zu holen? Nach den Absagen reiten sie noch mal los und dann führt der Gastgeber erst einmal Krieg bevor das Hochzeitsmahl losgeht? Das Essen wäre dann nicht nur längst kalt geworden sondern auch ganz und gar vergammelt.
Und wie soll dieses merkwürdige Gleichnis zu dem Geist Jesu passen? Wie zu den freundlichen, einladenden Geschichten, die wir sonst von ihm kennen? Merkwürdig ist das alles!

Liebe Gemeinde!
Dieses Gleichnis ist eine wunderbare Gelegenheit, etwas von dem zu lernen, wie die Evangelien entstanden sind und wie sie konkret in die Geschichte ihrer Zeit hinein eine Aussage machen wollen. 
Die Bibelausleger sind überzeugt, dass das Gleichnis, so wie wir es bei Matthäus hören, von Jesus nicht erzählt worden ist. Matthäus hat eine überlieferte Geschichte genommen und sie bearbeitet, um seiner Gemeinde, für die er geschrieben hat, etwas wichtiges zu sagen. Wir müssen uns die Mühe machen, zu verstehen, was der Evangelist sagen wollte. Erst dann können wir auch die Botschaft in unsere Zeit hinein richtig verstehen.
Das Gleichnis, wie es Jesus erzählt hat, kann man sich vielleicht so vorstellen:
Jesus wandert mit seinen Freunden durch Galiläa und hat Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Er redet mit ihnen, erklärt, was es mit Gott und der Welt auf sich hat, wie sie es sich vorzustellen haben, wenn Gottes Reich anbricht. Wie wird es sein, wenn die Posaune erschallt? Wie und wo werden die Menschen dann ihren Platz haben? Jesus erzählte Geschichten, Vergleiche, wie man sich Gott und seine Herrschaft vorstellen kann.
So hat er auch ein Gleichnis erzählt, in dem Gott als Königsvater seinem Sohn die Hochzeit ausrichtet und die geladenen Gäste bittet zu kommen. Diese denken nicht daran, die Einladung anzunehmen. Sie gehen weiter ihren Dingen nach. Beim zweiten Versuch der Einladung töten sie sogar die Diener des Königs. Da nimmt der König einen dritten Anlauf und lädt die von den Hecken und Zäunen ein, die auch gerne einmal eingeladen werden möchten. Diese kommen, und das Fest findet statt. 
So ähnlich hat Jesus das erzählt, um seinen Zuhörern deutlich zu machen: Gottes Fest kommt, ob die zuerst eingeladenen kommen oder nicht. Wenn die, die es eigentlich wissen müßten, wie herrlich das Leben in Gottes Festsaal ist, nicht kommen, dann ergeht die Einladung an die anderen, die nicht mehr damit gerechnet hatten, daß jemand sie noch will, geschweige denn zu einer Hochzeit einlädt. So hat Jesus erzählt. 
Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem wunderbaren Festmahl, zu dem man bereits hier und jetzt eingeladen ist und an dem jeder, der sich einladen läßt, teilhaben darf.
Inzwischen sind 50 Jahre vergangen. Nach der Auferstehung sind christliche Gemeinden entstanden, und Matthäus erlebt wahrscheinlich eine Gemeinde, die meint: Hauptsache am Tisch sitzen, Hauptsache getauft, denn Gott ist grenzenlos gütig, ethische Verpflichtungen erwachsen daraus nicht. Wer getauft ist, muß sich um christliche Lebensführung keine Gedanken mehr machen.
So verschärft Matthäus das Gleichnis vom einladenden König und rückt damit den laxen Christen auf den Pelz. 
Diese Gedanken sind uns heute vermutlich gar nicht so fremd. Es geht ja auch uns immer wieder so, dass wir uns erinnern müssen, wie wir unseren Glauben verstehen, wie wir ihn auch im Alltag leben können. Die Gefahr, an der wunderbaren Einladung Gottes vorbei zu gehen und sich selber damit um etwas Kostbares zu betrügen wird vielen Menschen nicht fremd sein.
„Sie aber kümmerten sich nicht darum!“ Das wird in den meisten Fällen vermutlich gar keine boshafte Entscheidung sein, sondern einfach auch die Erfahrung, von den Anforderungen des Alltags abgelenkt zu sein. Aber eigentlich ist es undenkbar, daß man die Einladung an die königliche Hochzeitstafel einfach ignoriert. Gründe, warum die Menschen nicht kommen wollen, werden keine genannt. Vielleicht dachten sie nur: Meine Termine sind jetzt wichtiger. Zu der Einladung ist später noch Zeit. Wenn ich Rentner bin... 
Aber für Matthäus ist es undenkbar, die Einladung ins Himmelreich abzuschlagen. 
Es ist eigentlich auch undenkbar, daß beliebiges, unvorbereitetes Straßenvolk an die festliche königliche Tafel geholt wird. Aber es ist die einzige Chance für Gott und die Menschen zu dem Hochzeitsfest - dem Fest des Lebens - zu kommen. Offensichtlich geht Matthäus davon aus, daß das Fest stattfindet, ob die zuerst eingeladenen kommen oder nicht, dann eben mit anderen, die sich freuen, daß sie auch am Lebensfest teilhaben dürfen. 
Vielleicht findet sich hier mancher von uns angesprochen: mit der Erfahrung, dass mich die Einladung wieder ganz unmittelbar erreicht, daß ich sie neu höre, vielleicht an Punkten meines Lebens, an denen ich mich gerade an „Hecken und Zäunen“ befinde und gerade kein „hochzeitlich Gewand“ anhabe, mit keiner Silbe an die königliche Hochzeit denke, an die Festtafel, die auch für mich bereitet ist, an Punkten meines Lebens, an denen mir nicht gerade festlich zumute ist.
Aber das ist auch die Hoffnung, die Matthäus mit diesem Gleichnis weitergeben will, daß der Ruf zum Fest des Lebens jeden an jedem Ort erreichen kann. 
Es ist für Matthäus undenkbar und zur Rettung der Festfreude unabdingbar, daß einer, der sich hat rufen lassen, der mit an der Festtafel sitzt, der getauft ist, der das Tor zum Fest durchschritten hat, kein angemessenes Hochzeitskleid trägt. 
Für wieviele weit geringere Anlässe wie diese königliche Hochzeit betreibt man oft einen Aufwand, um angemessen zu erscheinen - etwa Theater, Konzert, Ausflug..., Matthäus jedenfalls hat kein Verständnis, wenn jemand sich keine Gedanken macht, wie er an Gottes Tafel sitzen will. Alte Lumpen passen nicht an die Hochzeitstafel. 
Übertragen heißt das: Was zieht ein Christ an, damit er als Christ zu erkennen ist und auch mit seiner christlichen Identität übereinstimmt? Im Epheserbrief heißt es: Zieht den neuen Menschen an, Und im Brief an die Gemeinde in Kolossä heißt es: So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, ...herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Geduld, Sanftmut....Über alles aber zieht die Lieb an, die das Band der Vollkommenheit ist. 
So sitzen die Eingeladenen - wir - an der Festtafel. Matthäus wendet sich gegen ein „Mini-Chistentum“ nach dem Motto: „Der liebe Gott wirds schon durchgehen lassen“ und „wir kommen alle, alle in den Himmel“.
Matthäus sagt: Eine halbe Bekleidung ist nicht angemessen, ein halbes Christsein wird bald ganz entgleiten. Unser Verhalten, die Art, wie wir unser Christ - sein leben, ist ganz und gar nicht unwichtig. 
Matthäus fordert die christliche Gemeinde heraus. Dass uns Gottes Kleidern zu Gottes Kindern machen, zu seinen Erwählten, darauf dürfen wir im Glauben vertrauen und müssen es gleichzeitig auch erbitten.

Amen.

Harald Fischer