17. 07. 2005, 16. Sonntag im Jahreskreis
Mt 13,24 – 30


Liebe Gemeinde!

Woher kommt das Böse?

Diese Frage treibt die Menschen um und Philosophie und die Theologien aller Religionen versuchen, darauf eine Antwort zu finden.

Im heutigen Gleichnis über das Reich Gottes setzt Jesus sich mit dieser Frage auseinander.
Jesus ist der Überzeugung: Gott hat den guten Samen gesät! Gott will eine gute Schöpfung und so hat er sie ins Leben gerufen. „Er sah alles, was er gemacht hatte. Und siehe, es war sehr gut!“ so heißt es auf der ersten Seite der Bibel in dem großen Lied vom Anfang der Schöpfung (Gen 1). Israel hat immer wieder in seiner Geschichte die Erfahrung vom Heilswillen Gottes gemacht, so sehr, dass es die eigene Geschichte als Heilsgeschichte benannt hat.
Und doch gibt es die Erfahrung von Unheil.
„Das hat ein Feind von mir gemacht!“ heißt es im Gleichnis (13,28). Wer ist dieser „Feind“?
In der Geschichte ist er immer wieder mit dem „Teufel“ identifiziert worden. So haben Menschen versucht, das Vorhandensein des Bösen in der Welt zu erklären.
Der Teufel! Muß man an den „Teufel“ glauben um die Welt zu verstehen?
Ich kann das nicht. Und ich glaube auch, „man“ kann das nicht. Der Teufel ist doch nicht einfach ein selbstständiger Gegenspieler Gottes, der versucht, Salz in die Suppe zu schütten, um Gott seine gute Schöpfung „zu versalzen“!
Glauben – im religiösen Sinn kann ich dieses Wort mit dem Begriff des „Vertrauens“ übersetzen. An jemanden glauben heißt auch, ihm zu vertrauen. Wenn ich an Gott glaube, vertraue ich auf ihn. Ich vertraue darauf, in Gottes Macht und Gegenwart geborgen zu sein, mit allem, was mir in meinem Leben auch begegnen mag.
An den „Teufel“ kann ich doch nicht in diesem Sinn „glauben“.
„Das hat ein Feind von mir getan!“ Mit diesem Wort macht Jesus zunächst einmal deutlich: Ich muß damit rechnen, dass es die Gegnerschaft zum Reich Gottes gibt. Ich muß damit rechnen, dass es inmitten des Heilswillen Gottes auch die Kraft zum Unheil gibt.
Der Mensch selber ist immer wieder die Ursache für dieses Unheil. Der Mensch verdreht die Heilsgeschichte Gottes und schafft das Unheil, unter dem er dann auch selber zu leiden hat. Wir müssen und dürfen nicht ausweichen auf irgendwelche äußeren Ursachen oder auch Entschuldigungen, um das Böse in der Welt zu erkennen. Wir können unsere Freiheit zum Guten gebrauchen aber auch zum Bösen mißbrauchen. Das ist ein Aspekt der  Freiheit, die wesentlich zum Menschen gehört. 
Angesichts dieser Analyse ist es geradezu unglaublich, was Jesus als Therapie gegen das Unheil, gegen das Böse empfiehlt. Es wäre doch verständlich, vielleicht   sogar notwendig, sich mit aller Macht und Kraft gegen das Böse zu stellen und es mit Stumpf und Stiel auszurotten, wo immer es möglich wäre.
„Laßt beides wachsen!“ (13,30).
Welche Weite, welche Größe, welche Kraft zur Toleranz spricht aus diesen wenigen Worten.
„Laßt beides wachsen!“
Wir begegnen hier dem Vertrauen, der Gewissheit, die in Jesus lebendig ist: Das Leben hat die Kraft sich durchzusetzen. Gegen alles Unheil, gegen alles Dunkel, das die Welt immer wieder verdüstert, vertraut Jesus auf die Kraft des Lebens. Das ist kein billiger Zweckoptimismus nach dem Motto: „Take it easy! – Es wird schon alles nicht so schlimm!“ Jesus erzählt dieses Gleichnis ja in der Reihe seiner Gleichnisse über das Reich Gottes und seine Kraft. Die Geduld und der Glaube an das Gute gehört für ihn zum Wesen des Reiches Gottes, das bereits begonnen hat.
Hier kommt das Vertrauen Jesu auf den „guten Samen" zum Ausdruck. Gottes Kraft selber wird sich im Menschen zeigen.
Diese Haltung finden wir im Matthäusevangelium immer wieder. In der Bergpredigt heißt es: „Urteilt nicht!“. Später: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!“ Und: „7 x 70 mal sollt ihr vergeben!“
Ein Wort unserer Zeit aus diesem Geist lautet: „Wer verurteilt kann irren. Wer verzeiht nie!“
Es ist eine unglaubliche Weite, die aus diesen Worten spricht und jedem von uns fallen vermutlich sofort sehr viele Gegenargumente ein, die eine solche Haltung scheinbar unmöglich machen. Und doch hören wir aus dem Mund Jesu die Anordnung: „Laßt beides wachsen bis zur Ernte!“
Diese Haltung ist nicht Ausdruck von Kraftlosigkeit, Unentschiedenheit oder gar Gleichgültigkeit. Aber sie lenkt meinen den Blick weg von dem anderen hin auf mich selbst. Bei mir kann und soll ich dafür sorgen, dass der Samen des Wortes auf guten Boden fällt, aber ich muß mich nicht damit aufhalten, den anderen zu beurteilen oder gar zu verurteilen.
Es wird noch eine weitere Überzeugung aus diesem Gleichnis sichtbar: Gut und Böse kann man oft nicht deutlich voneinander unterscheiden. Sie scheinen oft sogar untrennbar miteinander verbunden zu sein. Will man das Böse vernichten, steht man in der Gefahr, auch gegen das Gute vorzugehen und es auszureißen.
Das trifft durchaus die Erfahrung, dass wir manchmal erst im nachhinein, sozusagen an der Frucht einer Handlung erkennen, was wirklich gut oder böse gewesen ist. Eindeutigkeit gibt es nicht immer.
Jesus behält dem Herrn der Ernte, Gott selber das Recht zur letzten Entscheidung vor.

Amen.

Harald Fischer