19. Juni, 12. Sonntag im Jahreskreis
Mt 10,26 - 33


Liebe Gemeinde!

Wenn man unsere Welt anschaut - kann man da nicht wirklich mit Recht sagen: Das ist eine gott - lose Welt! Mit all dem Schlimmen, was geschieht. Mit all den Katastrophen, den Unmenschlichkeiten, den Greueln. Eine Welt, von der man sagen muß, daß Gott in ihr nicht vorkommt! Bei dieser Welt, da kann es doch keinen Gott geben!
Das ist ein Einwand - oft gehört, den viele Menschen als bedrängend empfinden und dem man sich immer wieder stellen muß mit dem Versuch, darauf eine Antwort zu finden.
In welcher Beziehung steht Gott zu dieser Welt? Können wir ihn in unserem Lebensumfeld erleben und erfahren? Wie? Auf welche Weise?
Im Evangelium haben wir es eben gehört: „Kein Spatz fällt zur Erde, ohne den Willen eures Vaters im Himmel!“
Das heißt doch: Nichts passiert ohne den Willen Gottes. Aber - so muß dann doch mit Recht fragen können: Warum um Himmels willen - will er das dann alles? Warum gibt es dann so etwas wie die schreckliche Flutkatastrophe in Südostasien, die Hunderttausende getötet und Millionen Menschen Obdachlos gemacht hat?  Warum hat es dann den 11. September 2001 gegeben? Warum gibt es die Erdbeben, die Hungersnöte, die Kriege und Krankheiten? Warum gibt es dann all das viele persönliche Leid unter dem so viele Menschen zu leiden haben?
Wenn nichts geschieht - nicht einmal der Tod von ein paar Spatzen - ohne den Willen Gottes: Warum will er das alles?
Liebe Gemeinde! Das sind verständliche Fragen - aber sie beruhen auf einem Mißverständnis. Sie haben ein falsches Denken über Gott zur Voraussetzung, das in diese Schwierigkeiten führt.
Die Grundlage dieses falschen Denkens sind alte heidnische Götterbilder, die bis heute wirksam sind. Vermutlich auch in vielen von uns hier. Es ist die Vorstellung einer Wechselbeziehung zwischen den Göttern und der Welt, die besagt: Ich kann die Götter beeinflussen. Durch Opfer, durch mein Verhalten kann ich sie entweder besänftigen oder erzürnen. Und dementsprechend verläuft mein Leben.  Nach dieser Vorstellung greifen die „Götter“ in mein Leben, in diese Welt ein - oder sie lassen es, ganz wie sie es wollen. Wir unterliegen ihrer Willkür. Die alten griechischen und römischen Mythologien und Göttergeschichten erzählen ja ausgiebig von diesen Vorstellungen.
Und so stellen sich Menschen bis heute noch Gott vor. Dabei machen sich diese alten heidnischen Bilder bemerkbar.
Jesus redet anders, ganz anders von Gott. Viel radikaler. Nicht das eine oder andere ist von Gott herbeigeführt oder von ihm bewirkt und das andere nicht, sondern alles ist in Gott, nichts geschieht ohne ihn.
Nach dem christlichen Gottesverständnis ist z.B. eine Krankheit nicht von Gott herbeigeführt, um jemanden zu „bestrafen“ oder um ihn zu „erziehen“ und jemand anders würde mit Gesundheit „belohnt“ werden. Nein, ob jemand krank ist oder gesund hängt nicht von einem willkürlichen Eingreifen Gottes ab. Das ist einzig und allein Resultat von den verschiedenen Einflüssen, denen wir in unserer Welt ausgesetzt sind, nämlich von der Umwelt, den Genen, der Psyche usw. Oder ob Menschen bei einem Erdbeben ums Leben kommen oder nicht ist nicht Resultat von Gottes „unerforschlichem Ratschluß“. Das hängt einzig und allein davon ab, ob Menschen in einer seismologisch sensiblen Gegend erdbebensichere Häuser bauen oder eben nicht.
Aber: Ob jemand krank ist oder gesund, ob es jemand gut geht oder schlecht - so und genau so ist er in Gott und so ist er mit Gott. Es gilt nicht: Die eine Situation ist von Gott gewollt, die andere nicht. Sondern: Alles ist mit Gott. Oder auch: Nichts ist ohne Gott.
Diese Aussage ist für Jesus so radikal, so bedeutungsvoll, daß er sagen kann: Und weil das so ist, braucht ihr euch nicht zu fürchten. Ihr müsst euch nicht einmal fürchten, wenn die Bedrängnisse in eurem Leben so stark werden, dass sie euch sogar das Leben kosten könnten. 
Mit dieser Aussage macht Jesus ja sogar selber sehr deutlich, dass es auch für den Glaubenden und guten Menschen Bedrängnisse und Schwierigkeiten geben kann. Aber die Wahrheit der Gegenwart Gottes, die Wirklichkeit, dass er mit uns ist, die ist so bedeutungsvoll, dass sie sogar diese Infragestellung des eigenen Lebens übertrifft. 
Und so kann er in diesem kurzen Abschnitt seiner Aussendungsrede zu den Jüngern sagen: „Fürchtet euch nicht vor den Menschen, die den Leib töten, aber der Seele nichts anhaben können.“
Fürchtet euch nicht! Das einzige, was ihr fürchten müßtet, ist, dieses Vertrauen zu verlieren -   das Vertrauen in die Gegenwart Gottes bei allem, was dir im Leben begegnet. Wenn du dieses Vertrauen verlieren würdest, das wäre wirklich die Hölle, weil du dich dann allein, gottlos und verloren wähnen müsstest..
Wir haben  im Evangelium die Übersetzung gehört in der es heißt: „Kein Spatz fällt vom Himmel ohne den Willen eures Vaters im Himmel“ . Wir denken mit unserem europäischen Verstand dann fast automatisch an eine mögliche Willkür Gottes, der das eine wollen könnte und das andere eben nicht. Im hebräischen Denken und Verständnis ist das ganz anders gemeint. Vielleicht könnte man richtiger und deutlicher sagen (wie es auch in der wörtlichen Übersetzung heißt): Kein Spatz fällt vom Himmel ohne euren Vater im Himmel.
In der Tat: In allem was uns begegnet ist Gott mit uns.

Amen.

Harald Fischer