24. April 2005, 5. Sonntag der Osterzeit
Joh 14,1-12
Zur Wahl von Papst Benedikt XVI. und zur Unfehlbarkeit des Papstes


Liebe Gemeinde!

Habemus papam!
Voller Freude erklang am vergangenen Dienstag dieser Ruf durch die Lande. Erstaunlich schnell hatten sich die Kardinäle im Konklave auf einen Nachfolger für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. geeinigt. Ein neuer Papst – und dann auch noch ein Deutscher!
Habemus papam!
Wann hat die Katholische Kirche je eine solch große Resonanz gefunden, wie in den vergangenen Woche. Und dann noch so positiv!
Den Höhepunkt hat sicher die BILD – Zeitung gegeben. Dort war am Mittwoch über zwei Drittel der Zeitung in fetten Lettern getitelt: WIR SIND PAPST.
Seitdem sind die Spekulationen überall zu hören: Ist er gut? Fortschrittlich? Erfüllt er unsere Erwartungen? Ist er konservativ? Fortschrittlich?
Wir werden die Zeit abwarten müssen und zu erfahren, wer Joseph Ratzinger als Papst ist. 
Zwei Dinge möchte ich aber jetzt schon sagen:
Beim Requiem des verstorbenen Papstes hat der damalige Kardinal Ratzinger vor den Augen aller Welt Roger Schutz, den Prior der evangelischen Ordensgemeinschaft von Taize die Kommunion gereicht. Unser jetziger Papst hat einem evangelischen Christen öffentlich die Eucharistie gespendet! Das ist erstaunlich und ein höchst bedeutungsvolles Zeichen für die Zukunft, an dem wir uns orientieren dürfen. Dieses Zeichen steht durchaus in einer klaren Kontinuität zum verstorbenen Papst. Viele glaubwürdige Zeugen haben immer wieder berichtet, dass auch Papst Johannes Paul II. nicht zögerte, glaubenden evangelischen Christen z.B. in seiner Privatkapelle im kleinen Kreis die Kommunion zu geben. Damit hat er genau das getan, was er auch in seiner Enzyklika „De Eucharistia“ zum Ausdruck gebracht hat. Dort hat er – sinngemäß – geschrieben: „Wenn auch leider die nichtkatholischen Christen noch nicht im Ganzen und allgemein zur Kommunion in der katholischen Kirche eingeladen werden können, so darf doch im Einzelfall einem nichtkatholischen Christen, der aus innerer Ehrfurcht und im geistlichen Verlangen die Eucharistie empfangen möchte, diese nicht verweigert werden.“
Papst Benedikt hat ja in seinen ersten Äußerungen sehr deutlich gesagt, dass ihm die sichtbare Einheit der Christen ein großes Anliegen in seinem Pontifikat ist. Wir dürfen gespannt sein, wohin uns die nächste Zukunft führen wird.
Und ein zweites: Im Jahr 1968 hat der damalige Theologieprofessor Josef Ratzinger ein bemerkenswertes Buch geschrieben, dass die Theologiestudenten mit Aufmerksamkeit studiert haben: Einführung in das Christentum. Wenn dieses Buch als theologische Grundsatzerklärung des neuen Papstes gesehen werden darf, dürfen wir voll Freude auf die Zukunft in unserer Kirche schauen. 
Welche Aufgaben hat ein Papst überhaupt? Er hat das „Leitungsamt“ für und in der Kirche inne.
Das Amt steht der glaubenden Gemeinde „gegenüber“. Es bringt zum Ausdruck, dass der Glaube nicht aus der Gemeinde kommt. Der Glaube entspringt nicht dem Nachdenken und der Diskussion von Menschen, sondern er ist Gabe Gottes, Geschenk seiner Gnade. Wir sind eine Offenbarungsreligion. Paulus schreibt es einmal an die Gemeinde so: „Der Glaube kommt vom Hören“. Das ist auch der Grund, warum die Kirche im Tiefsten nicht eine Demokratie sein kann. Wir können nicht darüber abstimmen, ob Jesus von den Toten auferstanden ist oder ob eine solche Aussage „nicht mehr in den Rahmen unserer Zeit“ passt und darum abgeschafft werden sollte. Das bedeutet aber nicht, dass die Strukturen in der Kirche nicht demokratisch gestaltet werden könnten (und auch sollten).
Das Amt steht der Gemeinde gegenüber und macht auf diese Weise sichtbar, dass der Glaube nicht aus uns kommt sondern Geschenk Gottes ist. Das Papst hat das oberste Leitungsamt inne.
Zunächst ist er Leiter der katholischen Weltkirche. Das bedeutet, dass er Verantwortung für z.Zt. über 1,1 Milliarden Menschen hat. Ihm ist aus seiner großen Verantwortung eine Fülle von Kompetenzen und Macht zugesprochen. Er hat das Recht, kirchliche Gesetze zu erlassen oder sie aufzuheben. Er kann Bischöfe und Kardinäle ernennen und absetzen. Er hat das Recht, Enzykliken und Lehrschreiben zu verfassen und zu bestimmten Themen Stellung zu nehmen.
Außerdem ist er Staatsoberhaupt des Vatikans. Er ist Bischof von Rom. Und er ist „Diener der Diener Christi“.
Viele Menschen stellen an das Papstamt große Fragen. Ich möchte diesen Tag als Gelegenheit nutzen, eine Frage anzusprechen, die vielen Menschen große Schwierigkeiten macht. Es ist die Frage nach der „Unfehlbarkeit“. Wie kann ein Mensch unfehlbar sein? Ist es nicht ein ungeheurer Hochmut, so etwas zu behaupten? Nicht wenige Vorbehalte gegen die katholische Kirche kommen aus dieser Frage.
Hier gilt es – wie so oft – genau hinzuschauen. Vielleicht verstehen die allermeisten Menschen - auch Katholiken, etwas ganz und gar falsches unter dem Begriff „Unfehlbarkeit des Papstes“.
Zunächst einmal: Päpste können irren. Und Päpste haben geirrt. Päpste haben ihre Meinung zu verschiedenen Themen, wie alle Menschen auch. Und zu vielen Themen kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein. So wurde vor ca. 100 Jahren die Frage heftig diskutiert, wer die ersten fünf Bücher Mose geschrieben hat. Der damalige Papst hat sehr deutlich die Auffassung vertreten, dass diese Bücher von Moses selber geschrieben wurden. Jeder, der eine theologische Grundbildung hat, weiß aber heute, dass diese Bücher von einem Redaktionsteam über einen längeren Zeitraum hin geschrieben wurden. Es gibt nicht einen einzelnen Verfasser der die ersten Bücher der Bibel alleine geschrieben hätte.
Päpste können verschiedene Meinungen haben. So z.B. zum Pflichtzölibat in der katholischen Kirche. Über 1000 Jahre hat es das nicht gegeben. Für die Päpste der ersten Jahrhunderte war es selbstverständlich, dass Priester und auch Bischöfe heiraten konnten, so wie es auch schon in der Bibel, im Neuen Testament steht. Die heutige Gesetzgebung und Zölibatsverpflichtung hat sich erst allmählich durchgesetzt. Der letzte Papst war der Auffassung, dass das nicht geändert werden sollte. Ein späterer Papst kann das anders sehen. Das ist möglich. Genauso kann man zu der Frage nach dem Priestertum der Frau sehr verschiedener Auffassung sein.
Päpste können irren. Und Päpste können gute aber auch schlechte Menschen sein. Das hat es alles schon in der Geschichte der katholischen Kirche gegeben. Wir können sehr dankbar sein, dass schon lange unsere Päpste wirklich Vorbilder der Menschlichkeit und des Glaubens sind. Das war aber nicht immer so.
Was ist aber mit dem Begriff der „Unfehlbarkeit“ gemeint?
Unfehlbar ist nicht zunächst der Papst als Mensch, sondern der christliche Glaube selber, der sich als Selbstmitteilung Gottes versteht. Und sofern der Papst (oder jemand anderes) diesen allgemeinen christlichen Glauben, den Glauben, der schon immer gemeinsamer Glauben der Christenheit war und ist, öffentlich (oder privat) ausspricht, dann ist die Wahrheit dessen was er sagt, nicht von der Zustimmung anderer abhängig. Also nicht jede Aussage des Papstes ist „unfehlbar“, sondern nur die Glaubensaussagen, die er „ex cathedra“ also „kraft seines Amtes“ öffentlich und ausdrücklich verkündet, sind mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit belegt. Unfehlbare Aussagen kann der Papst nur in Dingen des Glaubens und der Sitten, die den Glauben auslegen, treffen. 
Die Aussage z.B.: „In Jesus begegnen wir der Größe Gottes. Er ist der Sohn Gottes!“ ist eine Glaubensaussage, die nicht der Zustimmung einiger oder vieler Menschen bedarf, um wahr zu werden. Es ist die gemeinsame Glaubensaussage aller Christen. Der Papst hat die Aufgabe als Sprecher der (katholischen) Christen die allgemeinen Glaubensaussagen der Welt gegenüber auszusprechen.
Im übrigen ist die Unfehlbarkeit des Papstes die gleiche Unfehlbarkeit, die jedem glaubenden Christen zukommt, wenn er/sie den Glauben anderen verkündet. Wenn Eltern z.B. ihrem Kind sagen: „Gott hat dich lieb!“ oder „Jesus ist dein Freund. Er ist immer bei dir!“, dann ist das eine unfehlbare Glaubensaussage, die nicht erst dadurch wahr wird, dass jemand anders diese Aussage bestätigt.
Die Unfehlbarkeit des Papstes bringt zum Ausdruck, dass der Glaube aus sich heraus wahr ist und nicht der Zustimmung anderer bedarf. Der Papst hat die Aufgabe diesen unfehlbaren Glauben öffentlich auszusprechen. Und er kann nur das als „unfehlbaren Glauben“ aussagen, was schon immer allgemeiner Gegenstand des Glaubens aller Christen ist. 
Im übrigen hat es in der 2000 jährigen Geschichte des Christentums erst zwei mal einen Satz gegeben, der von einem Papst mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit als allgemein verbindlicher Glaubenssatz verkündet wurde. 
Das ist zum ersten die Aussage, „dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde“. Dieses Glaubensgeheimnis feiern wir an Mariä Himmelfahrt (15.August). Es besagt, was wir von jedem Menschen glauben. Alles, was von Maria ausgesagt wird, wird von jedem glaubenden Menschen gesagt. Maria ist „Urbild des Glaubens“, „Urbild der Kirche“. Der Glaube an die Aufnahme Mariens in den Himmel besagt, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass sie – und mit ihr alle glaubenden Menschen – über ihren Tod hinaus Gemeinschaft mit Gott haben. In diesem Satz wird also der allgemeine Glaube der Christen an die Auferstehung der Toten zum Ausdruck gebracht.
Der zweite verbindliche Glaubenssatz, der je in der Kirche von einem Papst in Berufung auf die Unfehlbarkeit ausgesprochen wurde, trifft wiederum Maria. Er besagt, dass Maria „im Hinblick auf die Verdienste Christi von Anbeginn ihrer Existenz von der Erbsünde frei“ gewesen ist. In diesem Satz kommt zum Ausdruck, was wir in der Taufe auf jeden Christen hin feiern, nämlich dass die Todverfallenheit des Menschen, die „Erbsünde“ nicht die Macht hat, den Menschen aus der Gemeinschaft mit Gott zu reißen.
Außer diesen beiden Glaubenssätzen wurde noch nie ein Satz von einem Papst mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit ausgesprochen. 
Im Evangelium des heutigen Sonntags haben wir gehört, wie Jesus zu den Seinen sagt: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen!“ (14,2). Auf ganz eigene Weise bringt hier der Evangelist seine Glaubensüberzeugung zum Ausdruck: Gott schenkt Weite. Gott führt in die Freiheit. Die Botschaft Jesu Christi öffnet den Lebensraum für uns Menschen. Wenn wir uns an Gott halten, gewinnen wir das Leben selber.
Die Aufgabe der Kirche besteht darin, diese Weite und die Liebe Gottes sichtbar zu machen und sie immer wieder ins Wort zu bringen.
Diesem Auftrag fühlt sich unser neuer Papst Benedikt verpflichtet. Beten wir für ihn und mit ihm, dass er die Kirche Jesu Christi in seinem Geist leiten kann.

Amen.

Harald Fischer