10. April 2005, 3. Sonntag der Osterzeit
Joh 21,1-14


Liebe Gemeinde!

Das Evangelium, das wir eben gehört haben, hat eine ganz eigene Atmosphäre. Sie hat etwas schwebendes, offenes, scheinbar widersprüchliches. 
Da ist von Erkennen und Nicht-Erkennen die Rede, von Essen, das erbeten wird und schließlich finden die Jünger Brot und Fisch fertig am Ufer vor. Alles scheint irgendwie undeutlich, fast unrealistisch zu sein.
Die Erzählung fängt an mit dem Wort: „Danach“. „Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal“ (V.1).
Danach - es ist die Situation der jungen Kirche, die schon verschiedene Glaubenserfahrungen gemacht hat. Zweimal wird ausdrücklich von den Auferstehungserfahrungen der Jünger gesprochen: einmal ohne und einmal mit Thomas, dem Zweifler. Ausdrücklich war in diesen Erzählungen die Rede davon, dass die Jünger „große Freude“ erlebten, als sie den Herrn sahen.
Und dennoch erleben wir hier wieder eine Situation, die eher von Fragen, Zweifeln, sogar von einer Sinnkrise geprägt ist. 
Es ist die Situation der jungen Gemeinde, die sich fragt: „Hat denn alles noch einen Sinn? Ist uns der Auferstandene noch nahe? Hier wird nicht so sehr die Erfahrung von einzelnen Menschen in diesem Evangelium berichtet. Es ist eine Reflexion auf die Gemeindesituation überhaupt. Und damit kommt uns das Evangelium ganz nahe, gerade, wenn Menschen für sich die Frage stellen, wie es mit ihrem Glauben weitergeht.
Jeder erlebt ja einmal die Zeit, in der - vielleicht nach der „Gnade des Anfangs“ im Glauben auch Trockenheit und Dürre zu erleben ist. Es ist die Zeit, wo der Glaube nicht einfach nach „mehr“ schmeckt und die Gemeinschaft der Glaubenden wie von allein trägt. Eine Zeit, in der man sich fragt, ob „das denn alles noch stimmt“, ob man sich nicht vielleicht etwas vorgemacht hat und den eigenen Wünschen mehr getraut hat als der Wirklichkeit des Lebens.
Die junge Gemeinde hat eine solche Zeit erlebt und musste sie aushalten. Wie ist so etwas möglich? Darauf versucht das Evangelium des heutigen Tages eine Antwort zu geben. Deshalb ist diese Perikope in einer symbolischen Sprache überliefert, die in Bildern Wirklichkeiten des (Glaubens-)Lebens erzählt.
Zunächst ist da die Anzahl der Jünger. Sieben werden genannt. Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit und der Fülle. Es geht also um die ganze Gemeinde, um ihr Erleben und ihre Erfahrungen.
Petrus ist genannt. Bei seiner letzten Begegnung mit Jesus hat er den Herrn verraten. Thomas ist genannt, der Zweifler. Er hat die Gegenwart des Herrn erfahren und trotzdem stellen sich ihm neu dieselben Fragen. Es ist aber auch Nathanael genannt. Und jeder, der das Evangelium des Johannes kennt, erinnert sich, dass von ihm schon einmal die Rede war, nämlich ganz am Anfang im ersten Kapitel, als er das erste große Glaubensbekenntnis abgelegt hat: „Du bist der Sohn Gottes, der König Israels!“ (1,49). Zur Gemeinde gehören immer schon Menschen sehr unterschiedlicher Glaubenssituationen.
Das Geschehen ereignet sich auf dem See. Der See ist immer schon in allen Kulturen auch Bild für die dämonischen Ungeheuer, die das Leben bedrohen und sich als alles verschlingende Bedrohung darstellen.
 
Die Nacht, in der die Jünger gearbeitet haben und an deren Ende sie stehen - erinnert sie an die Nacht des Verräters? Am letzten Abend im Leben Jesu, nachdem er den Seinen das Zeichen der Liebe in der Fußwaschung geschenkt hatte, nachdem er ihnen in den Zeichen von Brotund Wein seine bleibende Gegenwart auch über den leiblichen Tod hinaus versprochen hatte - danach, so heißt es im Evangelium, ging der Verräter hinaus „und es war Nacht“ (Joh 13,30). Ist es so, wenn man von Gott getrennt ist? Die Nacht des Glaubens, die Nacht des eigenen Lebens?
 
Die leeren Netze - Ausdruck für die Sinnlosigkeit. Jesus stellt die Frage: Habt ihr etwas zu essen?“ (V.5). Habt ihr etwas, von dem ihr leben könnt? Ihr habt doch die ganze Nacht gearbeitet. Könnt ihr davon leben?
 
Wie oft müssen wir im Blick nicht nur auf einen Tag sondern manchmal auf Zeitabschnitte, manchmal sogar auf unser ganzes Leben hin sagen: Nein! Nein, ich habe nichts! Mein Netz ist leer geblieben! Ich habe nichts vorzuweisen. Mir ist alles zwischen meinen Fingern zerronnen. Mir ist nichts geblieben.
 
Spürt man hinter dem schroffen „Nein“ der Jünger nicht die Not der Verzweiflung, die Tränen der Trauer: „Ich habe nichts! All meine Bemühungen und Anstrengungen führen nur ins Nichts!“
Mir scheint, das will das Evangelium aufdecken. Bis an diese Stelle treibt es die Selbsterkenntnis der Jünger und der Gemeinde Jesu Christi voran: Im Blick auf uns, von uns her gesehen bleibt NICHTS!
Wiederum erinnert dies an einen Moment am letzten Abend im Leben Jesu, als er seinen Jüngern im Abendmahlssaal sagt: „Getrennt von mir könnt ihr NICHTS vollbringen!“ (Joh 15,5). Ohne lebendigen Bezug auf Christus findet die christliche Gemeinde nicht den Sinn ihres Lebens. Ohne ihn bleibt alles leer und sinnlos.
Aber gleichzeitig ereignet sich an dieser Stelle auch die alles entscheidende Wende. Jesus stellt die Aufforderung: „Werft euer Netz auf der rechten Seite aus!“ (6). Die „rechte Seite“, das ist die Lichtseite, die, die von der Hoffnung her geprägt ist. Die Jünger tun jetzt eigentlich nichts anderes, als das, was sie auch vorher getan haben. Sie arbeiten das, was sie können. Und das ist so wichtig. Gerade in den Zeiten der Krise und der Unsicherheit gilt es, zunächst bei dem zu bleiben, was vertraut ist und nicht in der alles verschlingenden Depression zu versinken. Die Jünger bleiben handfest, erdverbunden, realistisch. 
Aber sie tun jetzt ihre Arbeit im Kontakt mit der Hoffnung und dem Leben, das ihnen zugesagt ist. Zunächst ist es nur zugesagt. Sie haben es noch nicht erlebt. Aber sie setzen auf diese Zusage, sogar gegen allen äußeren Anschein. Und aus diesem Kontakt mit Gott verändert sich alles.
Die 153 großen Fische, die sie gefangen haben, sind ein Zeichen. Man kann sich ja schlecht vorstellen, dass sich die Jünger in diesem Geschehen ans Ufer gesetzt haben und die Fische genau gezählt haben: 28, 29, 64, ... und vielleicht noch einmal von vorn, weil man sich in der Aufregung nicht mehr ganz sicher ist, ob man sich nicht vielleicht doch verzählt hat. Nein, die 153 bezeichnen exakt die Zahl der damals bekannten Völker. Der Evangelist wollte damit sagen: Die Erfahrung die ihr jetzt macht, hat eine Bedeutung für alle Völker der Erde.
Am Ufer finden sie bereits Brot und Fisch. Wiederum ein Zeichen: Das, was wir tun und schaffen ist nicht alles, aber es ist auch nicht Nichts. Unser Tun und Mühen sollen wir dem Zufügen, was Gott gibt. Wenn wir im Vertrauen auf Gottes Gegenwart und Liebe unsere Arbeit tun, wird er zur rechten Zeit das Seine dazu geben. Und so wird es genug - für uns und für alle. Unser Wirken und Gottes Gnade kommen zusammen und gehören zusammen.
Am Anfang des Evangeliums heißt es: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wußten nicht, dass es Jesus war“ (V.4). Am Ende heißt es dann wörtlich genauso: „Keiner von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wußten, dass es der Herr war“ (V12).
Zwischen dem „Nichtwissen“ und dem „Wissen“ lag genau diese Erfahrung der Fülle, indem die Jünger auf Sein Wort hörten.
So erfährt die Gemeinde in diesem Evangelium: Es gilt auszuhalten, standzuhalten, dranzubleiben. Auch und gerade dann, wenn man im Glauben unsicher wird.
Man muß sich - manchmal auch nach langer Zeit - wieder neu orientieren. Und es gilt - vielleicht auch in der Nacht der eigenen Unsicherheit - zu glauben: Jesus steht bereits am Ufer, auch wenn wir ihn noch nicht erkennen und er sagt uns zu, das Netz unseres Lebens „an der rechten Seite“ auszuwerfen.

Amen.

Harald Fischer