27. März 2005,Ostersonntag
Joh 20, 1-18


Liebe Gemeinde!

Das Meinungsforschungsinstitut Emnid hat jüngst in einer repräsentativen Umfrage in Deutschland nach der Bedeutung von Ostern gefragt, und zwar 1002 Bundesbürger im Auftrag der Zeitschrift „Bildwoche“. Die Frage: Was geschah am Ostermorgen? - Vor gut einer Woche nun das Ergebnis. Es sieht nicht besonders gut aus. Knapp 40% wissen es nicht. 13 Prozent der Befragten glaubten zwar, die richtige Antwort zu kennen, lagen aber daneben. Jeder Vierte winkte sofort ab: „Keine Ahnung.“ Für immerhin knapp die Hälfte der Bewohner Hessens hat Ostern (noch) eine religiöse Bedeutung. Das liegt in der bundesweiten Platzierung im oberen Mittelfeld.
 
Im Vergleich zum Weihnachtsfest hat es Ostern ganz schön schwer. Es ist weniger stimmungsvoll, es gibt weniger Drumherum und von seinem religiösen Ursprung her lässt es sich viel schlechter vermarkten. Zu Weihnachten gibt’s das Jesuskind. Und was gibt es Ostern?
 
Wenn man genauer hinsieht, zum Beispiel in das Evangelium von heute, dann stellt man fest: Was da passiert, ist zunächst eher dürftig. Auf was wir stoßen, ist ein leeres Grab. Fehlanzeige. Wo ist der Heiland?
 
Die Frauen, die frühmorgens zum Grab eilen, suchen ja nicht den Auferstandenen, sie suchen den toten Jesus. Sie erwarten nicht, dass da noch irgendein Funken von Leben ist. Deshalb tun sie oder wollen sie etwas tun, was sich für ein anständiges Begräbnis gehört: sie wollen den Leichnam mit wohlriechenden Salben einbalsamieren.
 
Was sie aber dann finden, ist kein Leichnam, sondern nur ein leeres Grab. „Sie haben den Herrn aus dem Grab genommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“ (Joh 20, 2), bricht es aus Maria von Magdala heraus. Das leere Grab ist zunächst überhaupt kein Zeichen von Freude oder Hoffnung. Es löst Bestürzung aus. Das ist ein wesentliches Merkmal aller Ostergeschichten. Bevor Menschen dem auferstandenen Jesus begegnen, bevor er sich seinen Jüngern zeigt; müssen sich die Menschen mit dem leeren Grab auseinandersetzen. Und das leere Grab ist einfach ein Ausdruck für das Nichts. Frauen stehen beim Grab und blicken buchstäblich ins Leere. Nichts ist ihnen geblieben, nicht einmal der tote Jesus.
 
Wir dürfen nicht gleich weitergehen und auf die Botschaft der Engel hören, sondern zunächst einmal diesen Blick ins Leere aushalten. So ist der Tod. Es wird uns alles genommen. Es bleibt uns nichts. Was wir geliebt und verehrt haben, vergeht. Zurück bleibt eine große Leere, ein schwarzes Loch. Wir können nichts festhalten, nichts für die Ewigkeit aufbewahren. Alles Leben zerrinnt im Nichts.
 
Dieses Erschrecken der Frauen, diesen Blick ins leere Grab, den dürfen wir nicht zu schnell überspielen durch das, was darauf folgt. Im Evangelium von Markus sorgt - anders als bei Johannes - auch das, was der Engel sagt, für „Zittern und Entsetzen“. Die Frauen ergreifen die Flucht und erzählen niemandem davon: „Da verließen die Frauen die Grabkammer und flohen. Sie zitterten vor Entsetzen und sagten niemand ein Wort. Solche Angst hatten sie.“ (Mk 16,8). Und dann ist Schluss; das ist der letzte Satz des Evangeliums. Die „gute Nachricht“ von der Auferstehung Christi buchstäblich zum Davonlaufen.
 
Was die Frauen da sehen und hören, das ist offensichtlich kaum zum Aushalten. Und so haben sich frühe Kopisten des Markus-Textes - die besondere Bedeutung dieser Geschichte im Sinn - gesagt: Das kann doch nicht das letzte Wort sein. Hier muss etwas verloren gegangen sein. Und sie rekonstruieren einen guten Ausgang. Sie deuten das leere Grab aus der Glaubens-Perspektive. Der Leichnam Jesu ist nicht nur einfach nicht mehr da, gestohlen oder spitzfindig beiseite geschafft, sondern: Dieser Jesus ist der Christus. Er ist wirklich auferstanden. Deshalb ergänzen sie, was sie selbst nie gesehen haben und wovon sie doch überzeugt sind: Jesus lebt. Und so lassen sie Jesus als Auferstandenen auftreten: Er erschien zuerst Maria aus Magdala, dann „in einer anderen Gestalt“ den Emmaus-Jüngern, schließlich „den Elf, als sie bei Tisch waren“. Nachzulesen in den später hinzu geschriebenen Versen 9 - 20.
 
Ich finde: Dieser Umgang mit dem Text gibt zu denken. Im Grunde tun wir selber nichts anderes. Auch wir machen uns über das leere Grab so unsere Gedanken. Glaub ich das? - Das für uns Entscheidende können auch wir nur ergänzen. Jeder und jede für sich: Was schließe ich daraus, dass das Grab Jesu leer ist? Wie deute ich die Botschaft des Engels für mich? Was beim Evangelisten Markus zunächst in einer merkwürdigen Schwebe bleibt, wird im Johannes-Evangelium gleich ganz anders präsentiert. Für Petrus und Johannes ist klar: Das leere Grab ist die Bestätigung der Auferstehung Jesu. „Er (Petrus) sah die Leinenbinden und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger (…) hinein; er sah und glaubte“ (Joh 20, 6b-8).
 
Die Schlussfolgerung der beiden Jünger ist keine Beweisführung im strengen Sinn. Das leere Grab und die liegen gelassenen Tücher und Binden sind ihnen kein Beweis für die Auferstehung, sondern Anzeichen dafür, dass mit dem toten Jesus etwas Außergewöhnliches passiert sein muss. Das leere Grab ist in der Perspektive der Jünger kein ‘Beweisstück’, das bei genügendem Nachdenken zum Glauben führt - reine Kopfsache. Es ist vielmehr aus der niederen Ebene des Beweises herausgehoben und in die höhere Sphäre des Glaubens gestellt, also vor allem Herzenssache. So wird das leere Grab in einem viel höheren Maße, als es Beweise sein können, zu einer inneren Gewissheit, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern lebt.
 
Nicht zu sehen und doch zu glauben, das verlangt uns Ostern ab. Das ist sicher nicht einfach. Maria von Magdala steht vor derselben Situation. Sie hält das leere Grab aus. Sie hält ihre eigene Leere aus. Und macht die Erfahrung, dass sie gefüllt wird. Gott selbst ist es, der aus der Leere in uns, aus dem Nichts neues Leben schafft. Voll das Leben - ohne Ende.
 
Frohe Ostern!
 
Ludger Verst, Diakon