26. März 2005, Osternacht
Mt  28,1-10


Liebe Gemeinde!

Ostern - wenn wir über dieses Fest nachdenken, betreten wir ein schwieriges Feld - solange wir nicht über Ostereier, Osterspaziergänge, Osterbräuche oder die Osterferien reden.
 
Ostern im christlichen Sinn übersteigt unsere Erfahrungs- und Vorstellungswelt.
 
Sicher, wir haben Bilder aus unserem Alltag, die uns an dieses Glaubensgeheimnis in einer guten Weise heranführen. Wir sprechen von „Auferstehung“, wenn z.B. Versöhnung gelingt, wenn irgendwo ein Neuanfang in einer verfahrenen Situation möglich ist, wenn Lösungswege gefunden werden können. Aber das sind Bilder für den Alltag. Die Auferstehung, die wir heute feiern, meint eben nicht, dass wir uns nur ein bisschen anstrengen müssten und dann geht alles irgendwie doch weiter.
 
Was wir Christen an Ostern feiern, übersteigt das alles noch einmal ganz radikal.
 
Ostern meint, dass jemand, dass Jesus von Nazareth lebt - und zwar nach dem Karfreitagsgeschehen, dass er lebt, über den Tod hinaus, gegen den Tod, trotz der eigenen Todeserfahrung.
 
Auferstanden von den Toten - da geht es um keine Verlängerung des irdischen Lebens. Dem Tod können wir nicht ausweichen und wir können ihn auch nicht ungeschehen machen. Jesus ist nicht einfach in sein irdisches Leben zurückgekehrt.
 
Die Auferstehung, von der unser christlicher Osterglaube redet, meint etwas anderes. Es geht um das Leben Gottes selbst, ein Leben, das unseren Sinnen nicht fassbar, unserem Denken nicht zugänglich ist.
 
Auferstehung ist radikal: Dort, wo Menschen nichts mehr können, wo der Tod das letzte Wort hat, dort erweist sich Gott als mächtiger und schenkt Leben. Über den Tod hinaus.
 
Das übersteigt unsere Erfahrungswelt und fordert den Glauben: Vertrauen - gegen den Anschein.
 
Hier, an diesem Fest, an Ostern, erweist sich, was christliche Gemeinde ist, was persönlicher Glaube heißt: Glauben, Vertrauen gegen den Schein der Endgültigkeit, die sich im Tod zeigen will. Glauben, Vertrauen - gegen den Anschein - als Einzelner, als Gemeinschaft, die sich in diesem Glauben stützt.
 
Wir sind nicht nur eine Gemeinschaft von Menschen, die Leben teilen und sich an dem freuen können, was sich daraus an Gemeinschaft, an Freundschaft, an Schönem ergibt. Wir sind hier als Gemeinschaft von Menschen die in dem Fest dieser Nacht dem Dunkel der Welt ein Dennoch entgegen rufen und eine Hoffnung lebendig halten, die aus dieser Welt betrachtet nur widersinnig und unvernünftig ist.
 
Die Bibel spricht in Bildern über diese Sicht der Welt und erzählt von Erfahrungen, die Menschen gemacht haben, die sich auf das Leben Jesu von Nazareth eingelassen haben und daraus diese neue Weltsicht gewonnen haben. Wir hören von diesen Erfahrungen in Bildern - in den wunderbaren Ostererzählungen der Evangelien.
 
Frauen kommen zum Grab - als der Sabbat vorbei war. Der Morgen danach. Aber wie war eigentlich der Tag nach dem Tod Jesu? Über diesen Sabbat wissen wir nichts. Wir können ihn nur erahnen, ihn uns vorstellen. Der Tag danach, der Tag, an dem ein tiefes, finsteres Loch entsteht. Jesus ist tot. Alle Hoffnung dahin, der geliebte Freund, der Mann, der ihnen Hoffnung gegeben hatte, wurde gekreuzigt wie ein Verbrecher. Der Tod scheint auch hier das Ende aller Hoffnungen. Wie haben die Frauen diesen Sabbat verbracht? Den Sabbat der Hoffnungslosigkeit.
 
Frauen haben eine ungeheure Energie. Stellen wir uns das vor! Einen Tag im tiefen Loch und am nächsten Tag nehmen sie ihre Pflicht wieder auf: Sie gehen ans Grab. Sie wollen die letzte Pflicht an diesem Mann, den sie alle auf ihre Weise geliebt haben, diesen letzten Dienst gegenüber einem Menschen, den sie lieben, den wollen sie erfüllen. Die Frauen am Grab Jesu haben das Dunkel durchwatet, und nun sind sie auf dem Weg am Morgen, sehr früh. Sie werden kaum geschlafen haben. Und die Sonne geht auf.
 
Plötzlich entstand ein gewaltiges Erdbeben - so wird uns im Evangelium erzählt.
 
Viele Menschen kennen ähnliches – wie das eigene Leben plötzlich durcheinandergeworfen wird. Unverhofftes Schicksal, Krankheit, Trennung oder sogar der Tod - man kann solche Erfahrungen durchaus als ein Erdbeben im Leben bezeichnen. In der Regel sind es Bewegungen in das Dunkel, gar in den Tod hinein.
 
Hier wird eine andere Bewegung erzählt: Hier ist die Rede von einer Erschütterung, die ausgelöst wird, weil das Leben in die Todeszone reicht.
 
Es ist seltsam: Die Wächter, die Männer, beginnen vor Angst zu zittern und „fallen wie tot zu Boden“. Die Frauen dagegen machen an derselben Stelle, am selben Ort, angesichts derselben Umstände eine Lebenserfahrung. Ein Engel verkündet die göttliche Botschaft - wie oft in der Bibel: Schon Maria hat das erfahren, als die Geburt eines Sohnes angekündigt wurde. Nein, Jesus ist nicht im Grab. „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; er ist auferstanden.“
 
Die Frauen erfahren das und sie begreifen das. Er ist nicht tot, er ist nicht am Ende. Ihn findet man nicht am Ort des Todes.
 
Die Welt ist nicht am Ende, weil Gottes Geschichte über das, was wir sehen und erfahren, hinausgeht.
 
Können wir uns die Situation der Frauen vorstellen? Plötzlich ist alles ganz anders als erwartet! „Wir haben ihn gesucht, aber er ist nicht hier. Wie ist das zu deuten, was wir sehen und was wir nicht sehen?“
 
Manchmal denke ich, die Frauen haben so treu zur Kirche gestanden durch all die Jahrhunderte hindurch, weil sie viel sensibler sind für das, was unser Sehen und Erfahren übersteigt. Die Wirklichkeit ist viel größer als das, was wir sehen und ertasten können. Die Wirklichkeit, sie wird bestimmt durch die Liebe. Und wer wollte die Liebe begrenzen? Oder die Hoffnung? Und diese Hoffnung haben die Frauen erlebt: „Er ist aufgerichtet. Er ist auferstanden“.
 
Frauen erfahren, Frauen glauben das. So erzählen die Osterevangelien. Und Frauen werden so zu Zeichen der Hoffnung. Solche Hoffnungszeichen sind Frauen oft durch die Jahrtausende gewesen, vielleicht, weil sie durch die Fähigkeit, Leben zu gebären, näher am Geheimnis des Lebens sind.
 
Die Frauen haben gespürt, dass am Grab etwas geschehen ist, was die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, übersteigt. Sie werden zu den Jüngern geschickt, dass sie erzählen von dem, was sie erfahren haben. Wer wollte da noch sagen, dass sie nicht in die Verkündigung, nicht zum Priesteramt geschickt sind? Wo ist das biblische Zeugnis, das dies bestreitet? Frauen sind in allen Evangelien die ersten Zeuginnen und die ersten Boten der Auferstehung. Sie sind die Ersten, die gesandt werden zu berichten, zu verkündigen. Das müssen wir in unserer Kirche noch deutlicher erkennen.
 
Es lag an dem Mut dieser Frauen, dass die Auferstehung zum Zeugnis wurde. Sie hatten den Mut, von ihrem Glauben zu reden – sonst wäre nach der Auferstehung die Geschichte abgebrochen. Sie hatten den Mut, davon zu sprechen, was sie geglaubt und gegen allen Anschein erfahren hatten. Sie haben die Jünger ermutigt, aufgefordert, dem zu trauen, was Jesus an Leben verheißen hat und sind so auch für die Jünger - im Namen Jesu - zu Wegbereitern und Wegweisern des Glaubens geworden.
 
Vielleicht, weil sie das Wort Jesu geprägt hat, das sie von ihm selber empfangen haben: „Fürchtet euch nicht. Geht - und verkündet...!“ Diese Botschaft wird uns heute zugesagt: Als Aufforderung und als Ermutigung. So werden wir Gemeinde Jesu Christi.

Amen.

Harald Fischer