25. Januar 2005 - Pauli Bekehrung
Apg. 22,1a 3-16
Festgottesdienst zum 60. Geburtstag von Sr. Maria Ignatia Langela


Liebe Festgemeinde!

Da geht ein Mensch seinen Weg - unbeirrbar, überzeugt, geradlinig. Er weiß, was richtig ist was falsch. Er kennt den Unterschied zwischen wahrem Glauben und Gotteslästerung. In seiner Unbeirrbarkeit und in seiner Überzeugtheit von seiner Mission hält er sich für einen „Eiferer Gottes“.

Das ist ja zunächst einmal ganz sympathisch: Mir begegnet ein Mensch, der eine Überzeugung in sich trägt und diese auch lebt. Die gibt ihm Kontur, macht ihn erkennbar, unterscheidbar, gibt ihm Profil. Solche Menschen brauchen wir – in unserer Gesellschaft, in der Kirche, in unserer Schule: Menschen mit Profil, unterscheidbare Menschen.
 
Da geht ein Mensch seinen Weg – und er geht ihn über Leichen: Andersdenkende, Andersgläubige werden zu Feinden erklärt, werden verfolgt, mundtot gemacht. Und auch hierbei hat er das stärkste Argument parat, das denkbar ist: Ich bin ein „Eiferer für Gott“, ich tue dies alles für Gott, für seine gute Sache. Lukas verwendet für das deutsche Wort „Eiferer“ an dieser Stelle den Begriff „Zelotes“, „Zelot“: Die Zeloten waren besonders militante Gotteskämpfer, die z.Zt. Jesu die römischen Besatzer mit mörderischer Gewalt bekämpften.
 
Mit welcher Art Glauben haben wir es bei Saulus zu tun – vor Damaskus? Ich denke, Saulus glaubt an einen begreiflichen Gott, an einen Gott, den es nicht gibt: Ein Gott der kleinen Gedanken, ein Gott der irdischen, auch der theologischen Sicherheit, ein sehr ehrwürdiger Götze. Er lässt sich einzwängen in ein theologisches Gedankenkorsett, ist bestimmbar, sein Wille benennbar. Saulus verrät, wes Geistes Kind er ist, wenn er sich selbst beschreibt als einen „Eiferer für Gott“: Das Wort enthält die ganze Selbstermächtigung und religiöse Anmaßung, aus der heraus er handelt. Und es enthält, ja es entlarvt geradezu Saulus als Gottesleugner, als Un-Gläubigen: Ist doch JHWH-Gott der Allein-Mächtige.
 
Jede Form menschlicher Selbstermächtigung, menschlichen Vollmachtsanspruchs – ein Ausdruck des Widergöttlichen, zu sein wie Gott – die Urversuchung des Menschen schlechthin. Ihr ist Saulus erlegen – in blindem Wahn hält er sich für den ergebendsten Diener Gottes.
 
Wie viel schon hat die Kirche gelitten und Schaden genommen an solchen Gläubigen; der Schaden, die Opfer wurden größer, je mehr Macht diese Saulusse besaßen. Sie sind mit Namen nennbar; sie haben Gottes Namen und das Evangelium verdunkelt, das Vertrauen vieler Gläubigen in die Botschaft Gottes erschüttert oder ganz zerstört.
 
Der Verfolger wandelt sich; wird ein demütiger Mensch. Aus Saulus wird ein Paulus. Was ist vor Damaskus passiert?
 
Lukas erzählt: „Es geschah, dass ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte.“ Licht vom Himmel – das hat Lukas auch von den Hirten auf dem Feld erzählt. Danach fanden diese das Kind, Jesus aus Nazaret. Es ist das erste Mal, dass Saulus eine wirkliche Gotteserfahrung macht, eine Gottesbegegnung erfährt: Vom himmlischen Licht umstrahlt sein – hier chiffriert Lukas, was kein menschliches Wort je wird begreiflich, analytisch korrekt aussagen können: Dass Gott sich selbst mitteilt, unmittelbar, ungeschützt, das volle Risiko ungesicherter Begegnung eingehend. Vor Damaskus hat sich der „Eiferer für Gott“ nicht selbstmächtig etwas über Gott ausgedacht, eine beeindruckende Theologie etwa, eine Lehre über Gott also, sondern: Hier vor Damaskus ist JHWH-Gott selbst der Lehrer, und Saulus wird endlich zum Schüler, der sich öffnet, der endlich hört – und aufhört, sich selbst zu verkünden!
 
Was hört er? „Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst.“ 
Jesus aus Nazaret – der schärfste Gegensatz zu Saulus; den sich Saulus zum persönlichen Feind Nr. 1 erklärt hatte. 
Jesus aus Nazaret – von dem Saulus spürte, dass niemand sich so von ihm unterschied wie dieser Prophet, dieser Mensch Gottes.

Warum war Jesus für Saulus der Feind schlechthin?
Aus zwei Gründen:
1. Nie wollte Jesus selbst Gott sein; nie wie Gott sein; nie wollte er Gott für seine Zwecke missbrauchen. Und genau deswegen konnte Gott in diesem Menschen als das unvernützbare Geheimnis gegenwärtig sein. Ob das Saulus schon lange spürte – ob er vielleicht in Jesus den schärfsten Konkurrenten, den schärfsten Widerspruch zu sich selbst empfand und ihn deswegen so militant bekämpfte? Jedenfalls wird er später in einem seiner Briefe schreiben: „Jesus war in allem uns gleich – außer der Sünde.“ Als Ur-Sünde aber gilt seit dem Buch Genesis: Sein zu wollen wie Gott.
 
2. Bis in die Ohnmacht und in die Verlassenheit seines Todesschreis hinein ist Jesus nichts als er selber – so kann in ihm Gott erscheinen: Der Gekreuzigte wird zum Bild, zur Ikone Gottes. Ob Saulus schon lange spürte, dass sein Mühen immer nur Krampf war, dass er sich selbst zum „Eiferer“ zwang, krampfhaft also wer sein wollte vor und für Gott, während der von ihm bekämpfte Jesus aus Nazaret nichts weiter war als ein „wahrer Mensch“? Jedenfalls wird Paulus später in einem anderen Brief schreiben: „Jesus Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes.“
 
Jesus war der einzige Mensch, der nicht sein wollte wie Gott, der vielmehr nichts als er selbst sein wollte und radikal Gott Gott sein ließ; gerade so konnte Gott in diesem „wahren Menschen“ als „wahrer Gott“ erscheinen! Saulus hat immer zu viel selbst gewollt, für sich, für seinen Gott. Voll von Plänen, Ideen, Idealen, Theologien; ausgeliefert seiner Selbstverblendung brauchte er das helle Licht vom Himmel, um zu sehen, wer er wirklich ist, und wer Jesus wirklich ist.
 
Wir feiern heute, dass ein Mensch Jesus aus Nazaret findet, einer, wie die Hirten damals in der Nacht, als es hell um sie wurde; nein, eigentlich feiern wir, dass Gott einen Menschen findet, der ihm ehedem Feind war. Wir feiern, dass Gottes Liebesmacht unser enges, rechthaberisches Herz weitet.
 
Die Begegnung mit dem wahren Gott ist für Saulus wie eine neue Geburt. Deswegen auch die Taufe, von der Lukas erzählt; deswegen auch der neue Name: Paulus.
 
Nach unserem christlichen Glauben werden wir immer zweimal geboren. Zunächst jeder von seiner Mutter. Auch diese Geburt feiern wir heute, freudig und heiter: Dass ein Mensch, Sr. Ignatia, ein Mensch mit dem wir leben und arbeiten, lachen und streiten, Pläne schmieden und schweigen, heute auf den Tag der zweiten Geburt des Paulus, seinen 60. Geburtstag mit uns feiert.
 
Wir werden immer zweimal geboren. Das zweite Mal, wenn uns Gott findet und unseren Widerstand überwindet; wenn er uns die Gnade schenkt, zu hören und seinem Wort zu vertrauen. Wenn er uns die Augen dafür öffnet, dass er in alles, in unser kleines, kurzes Leben auch, die Ewigkeit hineingelegt hat.
 
Gedenken wir dankbar und heiter der beiden Geburtstage, die sich heute unter uns ereignen. Und bitten wir, dass wir nicht nur einmal geboren werden in dieses vergängliche Leben, sondern eine zweite Geburt erleben, die uns teilhaben lässt an der Ewigkeit, schon vor unserm Tod.
 
Das sind Glaubenssachen, ist Geschenk, Gnade; es ist das Wunder, gerettet zu leben; es macht lebendig, fruchtbar. Ist Geheimnis eben, verborgene Gegenwart Gottes mitten unter uns Vergänglichen, wer fasst’s?

Amen.

Otmar Leibold