19. Dezember 2004, 4. Adventssonntag
Mt. 1,18 –24


Liebe Gemeinde!

Josef - ein Mann, der plötzlich sein Leben nicht mehr versteht. So geht das manchmal: alles war in einer bestimmten Weise geplant und erwartet und dann kommt alles auf einmal ganz anders.
 
Natürlich schaut Josef auf sein Leben auf seine  Lebensplanung, mit seinen eigenen Augen. Hätte ihn jemand gefragt: Josef, bist du bereit, mit deinem Leben Gott zu dienen? Bist du bereit, für ihn da zu sein, dich ihm zur Verfügung zu stellen? Vermutlich hätte er begeistert „Ja“ gesagt. Im Evangelium heißt es: Er war ein Gerechter. Das bedeutet, dass er ein Mensch war, der die Glaubenstradition seines Volkes ernst genommen hat; dass er, wie alle anderen, sein Leben nach den Geboten Gottes, nach Gott selber ausgerichtet hat; dass er ein frommer Jude war.
 
Sicher hätte er gedacht, dass er sich Gott gern zur Verfügung stellt. Aber es ist oft schwer, das, was man im Kopf vielleicht klar hat, auch praktisch und konkret werden zu lassen. Und es ist nicht einfach im eigenen Leben zu erkennen: Wie, womit könnte ich denn Gott dienen. Oft sind es dann natürlich unsere eigenen Vorstellungen, dass, was wir uns selber denken, was wir für richtig und wichtig halten.
 
Wenn dann etwas anders läuft, wie wir denken, sehen wir es oft nur als Katastrophe - und nicht als Chance. Wir sind an den Ereignissen unseres Lebens zu nahe dran, als dass wir erkennen könnten, welche verborgenen Chancen noch darin liegen könnten. Da braucht es dann Helfer, Boten, die Bibel nennt sie: Engel, die uns helfen, unser Leben so zu verstehen, unsere durchkreuzten Pläne so zu verstehen, dass sie uns als Weg zu Gott erkennbar werden. Ja, hier in unserer Erzählung geht es noch um mehr: dass sie uns als Weg Gottes zu uns erkennbar werden.
 
Denn darum geht es im Evangelium, wenn von der Jungfrauengeburt Mariens gesprochen wird: nicht um platte, billige Anatomie oder Biologie. Es geht darum zu erkennen: Gott kommt zu uns. Seine Botschaft, sein Heil ist uns geschenkt, ist sozusagen von ihm gezeugt. Das soll mit der „Jungfrau Maria“ ausgesagt werden und das ist es, was Josef - und auch wir mit ihm - verstehen muß. Gott schenkt sich uns. Wir „verdienen“ ihn nicht. Wir zeugen ihn nicht.
 
So vieles in unserer Welt ist Frucht unserer Mühe und Arbeit. Das ist auch gut so. Wir gestalten unser Leben. Aber das entscheidende ist uns geschenkt.
 
Unser Glaubensleben, unser Bemühen um den Glauben besteht in nichts anderem, als dieses Geschenk Gottes in unserem Leben zu entdecken, immer und immer wieder. In all den Verästelungen unseres Lebens hinein. Manchmal geschieht diese Entdeckung auch, indem unsere Pläne durchkreuzt werden - weil wir uns damit öffnen und nach einem neuen Verständnis unseres eigenen Lebens suchen müssen. Damit ist die Chance gegeben, dass wir bei dieser Suche Gott in den verborgenen Ecken unseres Lebens erkennen.
 
Das hat Josef getan. Darin ist er uns Vorbild. Er sucht einen Sinn in den Ereignissen und Enttäuschungen seines Lebens. Er sucht einen Sinn. Und diese Suche führt ihn schließlich über seine gewohnten Denkbahnen und vertrauten Traditionen hinaus.
 
In einer gewissen Weise sind wir alle Josef, oder richtiger: sind wir alle wie Josef. In der Trauer und der Enttäuschung über Mißlungenes und in der Offenheit, diese Erfahrungen neu zu deuten, können wir, wie er, dahin kommen die Gegenwart Gottes in unserem Leben zu erkennen, neu zu erkennen. Vielleicht können wir, wie er, sogar dahin kommen, gerade darin neu die Zusage Gottes zu erkennen und zu verstehen: Trotz allem und in allem -  Gott ist der Immanuel, der „Gott mit uns“.

Amen.

Harald Fischer