17. Oktober 2004 - 29. Sonntag im Jahreskreis
Lk 18, 1-8


Liebe Gemeinde!

Eine wunderbare Geschichte wird uns da von Jesus erzählt, in der eine benachteiligte Frau um ihr Recht kämpft.
 
Zur Zeit Jesu – in einer patriarchal geprägten Gesellschaft - galt eine Frau für sich allein genommen im öffentlichen Leben nichts. Sie war ihrem Mann zugeordnet. Sie war sein Eigentum und konnte sich nur durch ihn behaupten. Eine Witwe existierte eigentlich gar nicht. Sie war rechtlos. Sie war stimmlos. Sie war auf sich allein gestellt.
 
Dieser Frau wird im Gleichnis Jesu ein Richter gegenübergestellt. Eigentlich besteht seine Aufgabe darin, der Frau zu helfen und für sie Stimme zu sein. Aber Jesus konstruiert einen scharfen Konflikt zwischen den beiden Gestalten des Gleichnisses: der Richter wird als „ungerecht“ qualifiziert, der „Gott nicht fürchtet und auch keinen Menschen!“. Gegen diesen ungerechten Menschen hat die Frau eigentlich keine Chance. Und trotzdem setzt sie sich durch. Ganz und gar unwahrscheinlich. Und doch: Ein Sieg der Penetranz und der Geduld. Steter Tropfen höhlt den Stein!
 
Schön! Eine Aufforderung und eine Unterstützung für die, die Unrecht erleiden und in scheinbar aussichtslosen Situationen dagegen kämpfen. Eine Aufforderung zur Geduld, die auch scheinbar unmögliches erreicht.
 
Aber was will Jesus damit eigentlich sagen? Was will er auf Gott hin sagen? Denn darum geht es ihm doch in all seinen Erzählungen und Gleichnissen: Gott sichtbar zu machen und den Menschen auf ihrem Weg zu Gott zu helfen. Er ist der geistliche Lehrer, der in unser Leben hinein geistliche Weisung und Hilfe zusprechen will. Wo finden wir die in diesem Gleichnis?
 
Gott ist doch nicht der ungerechte Richter! Ihm gegenüber brauchen wir die Aufdringlichkeit nicht, um zu unserem Recht zu kommen. Im Gegenteil! Jesus fügt ja ausdrücklich hinzu: Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen! (Lk 18,7).
 
Wir erhalten unser Recht „unverzüglich“! Natürlich! Gott weiß, was wir brauchen und wir erhalten es, noch bevor wir ihn darum bitten. Die Gabe Gottes ist ER selber. Gott schenkt uns seine Gnade, seine Liebe, die Gemeinschaft mit ihm. Immer schon.
 
Warum sollen wir dann aber noch beten?
 
Und - Jesus nimmt die Aufdringlichkeit der Frau als Vorbild um seinen Jüngern - und um uns - zu sagen, daß wir „allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen“ (18,1).
 
Gebet - , damit sind wir bei dem Thema, um das es Jesus hier geht. Viele Menschen verstehen darunter zunächst: Meine Bitten vor Gott  tragen - und zwar in der Weise, daß wir Gott unsere Sorgen und Wünsche vortragen. Oft verbinden wir damit die Vorstellung, daß Gott erst auf das aufmerksam gemacht werden müßte, was uns fehlt und daß es an uns liegt, ihn darauf hinzuweisen, weil er sonst das Entscheidende übersehen würde. Wir stellen uns damit sozusagen über ihn und wären dann „Lehrmeister Gottes“.
 
Gleichzeitig erfahren aber viele Menschen auch, daß Gebet so nicht „funktioniert“. Wir können uns oft genug den Mund „fusselig beten“ und es geschieht doch nicht, was wir wollen. Viele ziehen sich dann enttäuscht und voller Zweifel zurück.
 
Aber: Hier liegt ein Mißverständnis von Gebet vor. Das Gebet verändert den Menschen - und nicht Gott! Gott ist immer der, der uns in Liebe zugewandt ist. Gottes Liebe zu uns ist unwandelbar.
 
Wenn Jesus uns zum andauernden Gebet auffordert, dann deshalb, dass wir uns verändern. Wir sollen zu Menschen werden, die ihr Leben immer mehr mit allem was zu uns gehört in eine andauernde Beziehung zu Gott bringen und damit alle Lebensbereiche mit der Gegenwart Gottes verbinden.
 
Im Bild unseres Evangeliums können wir so vielleicht beide beteiligten Personen - die Witwe und den hartherzigen, ungerechten Richter als Anteile unserer eigenen Seele verstehen und deuten. Da gibt es die Anteile in uns, die wissen, was eigentlich richtig ist. Das sind die Anteile, die bewußt mit Gott leben wollen und die sich auf ihn ausrichten. Aber gleichzeitig gibt es wohl in uns allen auch die Anteile, die sich davon nicht beeinflussen lassen, die als harte „ungerechte“ Anteile in unserem Leben sich von der Wirklichkeit Gottes nicht ergreifen lassen. Das sind die Anteile in uns, „die Gott und die Menschen nicht fürchten“.
 
Das andauernde, bleibende Gebet unseres bewußten Lebens würde dann diese manchmal auch unbewußten Anteile unseres Lebens in einen Veränderungsprozeß   einbeziehen, der uns als ganze Menschen betreffen würde. Und selbst wenn dieser Veränderungsprozeß so viel Widerstand erfahren würde, wie die Witwe von dem ungerechten Richter erfährt: das andauernde, permanente Bemühen ist stärker!
 
Gebet würde dann nicht so sehr bedeuten, etwas von Gott „haben“ zu wollen, sondern ihn selber zu suchen und mich als ganzen Menschen in seine Gegenwart zu stellen. Wir wären dann Menschen, die aus der Suche leben, Gott selber immer mehr als Wirklichkeit in unserem Leben zu entdecken und aus der Gemeinschaft mit ihm zu leben. Das Gebet würde uns zu Menschen verwandeln, die aus der Gemeinschaft mit Gott leben und das als den Wert ihres Lebens erkennen.
 
Aber können wir es als Wert erkennen, nicht etwas von Gott zu wollen, sondern ihn selber  zu wollen? Mir scheint, daß dies der Sinn der Frage Jesu ist, die er am Ende seines Gleichnisses stellt: „Wird aber der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben finden?“  Wird es Menschen geben, die diese Gemeinschaft mit Gott suchen, leidenschaftlich und ausdauernd suchen?
 
Beten muß man lernen. Beten braucht Geduld. Es ist wie beim Klavierspielen. Zuerst die Tonleiter, Chopin kommt später.
 
Wie kann man das Beten üben? Jeder muß hier den eigenen Weg finden. Es kann eine wunderbare Form sein, Gebete aufmerksam zu sprechen und den Gehalt und den Sinn der Gebete in sich aufzunehmen.
 
Es ist ebenfalls eine wunderbare Form, in freier Weise das vor Gott zu tragen, was mein Leben ausmacht, was mich freut, was mich bedrängt, was mir Sorgen macht.
 
Man kann ebenfalls die Worte des Evangeliums betrachten und versuchen, sich mit den Situationen oder Personen des Evangeliums innerlich in Berührung zu bringen z.B. Mit der Frage: Wo finde ich mich wieder? Wo bin ich angesprochen? Wie hätte ich geantwortet oder reagiert.
 
Oder ich kann mich schweigend vor Gott einfinden und - wie Therese von Avila es einmal formuliert hat - „schauen, wie er mich anschaut!“.
 
Immer geht es darum, für mich mehr das Geschenk zu verstehen, daß Gott uns gibt: in seiner Gegenwart zu leben und die Gemeinschaft mit Gott als Gabe seiner Liebe zu erfahren.

Amen.

Harald Fischer