10. Oktober 2004 - 28. Sonntag im Jahreskreis
Lk 17,11 - 19
Liebe Gemeinde!
Im Evangelium heute wird uns von 10 Menschen erzählt. Es sind Menschen, die einmal mit ihrem Leben Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte verbunden haben, wie es eben zu Menschen gehört.
Aber die Hoffnungen dieser Menschen, von denen heute im Evangelium erzählt wird, sind eigentlich zerstört. Es sind Aussätzige, Menschen also, die sich von anderen fernhalten müssen. Sie leben mit einem Selbstgefühl, das ihnen sagt: „Ich bin für die Anderen nicht zumutbar. Ich muß mich von ihnen fernhalten, mich vor ihnen verstecken. Ich bin eine Gefahr für die Menschen.“ Dementsprechend sind sie von ihrem Gesetz her verpflichtet, sich selber auszugrenzen. Immer, wenn einer in ihre Nähe kommt, müssen sie laut schreien: „Unrein! Ich bin unrein!“
Kann man so leben? Schrecklich. Und doch ist es auch die Situation von vielen Menschen heute. Auch, wenn die Lepra heute nahezu ausgerottet ist: Aussätzig fühlen sich auch heute viele, allzu viele Menschen.
Im Evangelium wird erzählt, dass sich diese Menschen Jesus nähern. Und sie rufen ihm zu: „Hab erbarmen mit uns!“ Vielleicht spricht mehr die letzte Verzweiflung als eine reale Hoffnung aus diesem Ruf. Vielleicht ist es auch eine wirkliche Bitte, die sich hörbar macht.
Jesus selber jedenfalls bleibt merkwürdig distanziert. Es wird keine Berührung geschildert, wie sonst so oft. Es gibt kein Dialog, keine weitere Begegnung. Nur die Aufforderung: „Geht! Zeigt euch den Priestern!“
„Geht! Zeigt euch!“
Das ist kein leichter Auftrag, kein leichter Weg. Eher versteckt man sich mit dem, was unrein ist, was einen krank macht, als dass man es vor sich her trägt.
Geht, zeigt euch!
Die Kranken sind auf einen Weg geschickt. Auf einem Weg kann einem allerhand passieren.
Im Evangelium werden die Lebensgeschichten immer dicht gedrängt erzählt, so als währten sie nur wenige Augenblicke. Das Leben aber dauert lange. So ein Lebensweg dauert.
Der Weg, auf den Jesus die Kranken schickt, ist etwa 70 – 80 km lang. Schon daran wird sichtbar, dass sie mehrere Tage unterwegs sind, bis sie vom Grenzgebiet Judäa – Samarien nach Jerusalem zum Tempel gelangen, wo die Priester leben, die als die zuständigen Beamten über den Gesundheitszustand von Menschen zu entscheiden hatten, die einmal an ansteckenden Krankheiten litten.
Auch im Evangelium sind die Kranken also länger unterwegs und haben Zeit und Gelegenheit wahrzunehmen, was mit ihnen geschieht, wenn sie sich „zeigen“, anstatt vor sich zu warnen.
Auf diesem Weg geschieht etwas: sie erleben Heilung!
Wie, auf welche Weise – es wird nicht weiter gesagt.
Wenn wir diese Geschichte hören, liegen Ursache und Wirkung für uns eng beieinander. Wir binden den Auftrag Jesu und die Heilung zusammen. Uns ist zunächst klar, dass die Geschichte sagen will: Weil Jesus die Kranken zu den Priestern geschickt hat, weil sie gegangen sind, sind sie heil geworden. Jesus also hat die Kranken geheilt.
Ursache und Wirkung liegen also scheinbar klar zusammen. Und deshalb scheint es uns auch klar und erwartbar, dass der Dank die entsprechende Antwort auf diese Erfahrung ist.
Ursache und Wirkung liegen hier offenbar zusammen. In unserem Leben ist das vermutlich häufig nicht so deutlich.
Da erfüllen sich auch manchmal unsere Bitten. Vielleicht nehmen wir das dann eher als Selbstverständlichkeit, die uns zusteht. Vielleicht vergessen wir die Dankbarkeit durchaus auch dann, wenn sie von der Außenperspektive her angebracht und selbstverständlich zu sein scheint.
Dieses Evangelium will uns offensichtlich zeigen, dass man aus einer Haltung der Dankbarkeit das Leben noch tiefer verstehen und erleben kann, dem Leben gegenüber noch mehr gerecht werden kann, als wenn man die Dankbarkeit vergißt.
Man kann das Leben auch ohne Dankbarkeit gestalten. Ganz offensichtlich. Die anderen neun ehemalig Kranken bleiben ja offenbar gesund.
Und doch ist bei dem, der seine Erfahrung mit dem Dank verbindet, noch etwas mehr geschehen.
In der Tat: Gute Erfahrungen können uns zur Dankbarkeit führen.
Streng genommen ist so aber erst der Anfang für eine neue Lebenserfahrung gegeben. Es ist der Anfang für den Weg, Dankbarkeit nicht nur für bestimmte Dinge im Leben zu empfinden, sondern Dankbarkeit als Grundhaltung des Lebens zu erlernen.
Der Samariter lobt Gott. Vielleicht dankt er ihm für die Heilung, die er erfahren hat. Vielleicht dankt er, für die neuen Lebensmöglichkeiten, die sich ihm so eröffnet haben.
Aber er lobt Gott, weil er dessen Größe erkannt hat.
Er lobt Gott, weil er erkannt hat: Gott ist des Lobes würdig!
Die Tiefe seiner Erkenntnis wird sich erweisen, wie er reagiert, wenn er wieder einmal krank sein wird. Gottes Größe ist dann ja nicht erloschen. Und wenn der ehemals Kranke einmal zum Sterben kommen wird: Auch dann ist Gott ja noch groß und mächtig.
Erst, wenn wir erkennen, dass Gott des Lobes würdig ist – in den guten und in den schweren Dingen unseres Lebens, sind wir zu der Erkenntnis Gottes gekommen, aus der Jesus gelebt hat und die der Geheilte hier – zumindest ansatzweise – erfährt.
Im Evangelium wird uns ein Mensch vor Augen geführt, der in einer bestimmten Erfahrung seines Lebens erkannt hat, dass Gott wirklich ist in seinem Leben. Und das ist das eigentliche Wunder.
Er hat erkannt, dass es sein Leben heil macht, Gott zu loben.
So kann Jesus zu ihm sagen: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen!“
Amen.
Harald Fischer