8. Februar 2004, 5. Sonntag im Jahreskreis
Lesung: Es. 6,1-2a.3-8
Evangelium: Lk 5, 1–11


Liebe Gemeinde!

Manchmal sind wir in unserer Zeit vielleicht in der Gefahr, uns einen Gott nach eigenem Bild zurecht zu machen. Er soll in unsere Vorstellungen passen, dem gemäß, was wir von ihm erwarten. Wir machen ihn uns dann verfügbar, klein, handlich, zum persönlichen Gebrauch geeignet. Die Rede vom "lieben Gott", die ja durchaus auch richtiges und wichtiges zum Ausdruck bringt, ist dann u.U. auch geeignet, das Bild eines harmlosen alten Mannes zu verfestigen, der "allen wohl und niemand weh" will.
 
Wenn demgegenüber in der Bibel, vor allem in der ersten, im Alten Testament von der rechten Beziehung zu Gott die Rede ist, taucht oft der Begriff der "Gottesfurcht" auf. Das meint nicht, dass die Menschen zunächst Angst vor Gott haben sollten, wie wir vielleicht assoziieren, wenn wir diesen Begriff hören. Nicht wenige Menschen sind ja mit einem Gottesbild aufgewachsen, der diese Vorstellung beinhaltet: Gott als unberechenbarer Diktator, vor dem man sich ängstigen muß. Nein, der biblische Begriff "Gottesfurcht" meint, etwas von der Hoheit, der Macht, der Heiligkeit Gottes wahrzunehmen.
 
Der Prophet Jesaja, von dem heute in der Lesung die Rede war, hört in seiner Berufungsvision den Schrei der Seraphim: "Heilig, heilig, heilig..."
 
Heinrich Kahlefeld, ein Theologe des letzten Jahrhunderts, schreibt zur Berufung des Jesaja: "Nur so kann man Gott begegnen, in höchster Liebe, hingerissen und sich selbst preisgebend. Anbetung ist der höchste Akt, zu dem ein Mensch fähig ist"
 
Die Theologie hat dieses Moment das "tremendum et faszinosum" angesichts der Gegenwart Gottes genannt: das tiefe innere Erschrecken und gleichzeitig das fasziniert sein von der Heiligkeit und Unbegreiflichkeit Gottes.
 
Jesaja kommt aus der Tradition der Sinaierfahrung. Er weiß, das Mose vor dem Sinai gehört hat: Du kannst Gott nicht schauen, sonst stirbst du! Jesaja weiß, dass die Erfahrung Gottes immer verbunden war mit einem "vernichtenden Feuer" oder einem "unerträglichen Lichtglanz". In den Psalmen heißt es, dass vor Gott "die Berge schmelzen". Gott gegenüber ist der Mensch "wie Gras, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird (Ps 103).
 
Wer in der Gottesfurcht lebt, hört auf, Gott zu seinem Hausdiener machen zu wollen oder zur Beschwerdestelle der eigenen unerfüllten Wünsche.
 
Im Ps 8 heißt es:
 "Was ist der Mensch,
dass du seiner gedenkst,
des Menschen Kind,
dass du dich seiner annimmst!"
 
Auf diese Frage wird nicht wirklich eine Antwort erwartet. Es ist ein staunender Anruf Gottes, dass er sich tatsächlich des Menschen angenommen hat.
 
Diese Erfahrung, eine Ahnung der Größe Gottes, liegt dem zugrunde, was Simon – noch heißt er nicht Petrus – was Simon im heutigen Evangelium erlebt.
 
Das Evangelium erzählt aus seiner Anfangszeit mit Jesus. Er hört ihn predigen. Immer wieder. Das Wort spricht ihn an und tut seine Wirkung. Und es braucht – im Horizont dieser Worte eine Erfahrung, die ihn in seinem Inneren ergreift, eine Erfahrung, durch die die Tiefe und die Bedeutung dieser gehörten Worte in ihm aufleuchtet.
 
Diese Erfahrung wird im heutigen Evangelium erzählt. Sie wird in einem Bild ausgedrückt: die ganze Nacht hat er beim Fischen nichts gefangen. Dieses "Nichts" bezeichnet mehr als nur ein paar Stunden vergebliche Mühen. Es ist das Nichts des Lebens, das hier anklingt: die Angst, alles, was ich schaffe, ist überflüssig, wertlos, unbedeutend. Diese Angst ist sicher eine der größten Fesseln unseres Lebens. Gerade in Zeiten, wo man zurückschaut und sich im Blick auf das eigene Leben fragt, was geblieben ist von all dem, was man wollte und mal vorhatte, gerade in Zeiten wo Menschen eine Art Bilanz ziehen, kann dieses "Nichts" eine unendliche Bedrohung darstellen.
 
Von diesem Nichts erzählt das Evangelium. Simon kennt es.
 
Dem Nichts gegenüber steht die Fülle. Diese Fülle wird geschenkt. Sie ist nicht machbar, schon gar nicht aus unserer Anstrengung heraus. Es ist eine Fülle, die geschenkt wird – aus der Begegnung mit Jesus heraus, aus der Begegnung mit seinem Wort. Es ist die Fülle Gottes selber. Im heutigen Evangelium wird sie symbolisiert, erfährt sie Simon in dem überfließenden reichen Fischfang.
 
Der erschrockene Ausruf von ihm: "Geh weg von mir, ich bin ein Sünder!" meint nicht, dass Simon in diesem Augenblick eine Erinnerung an irgend eine moralische Verfehlung gehabt hätte. Es ist die gleiche Erfahrung, wie Jesaja sie in seiner Berufungserfahrung gemacht hat. Es ist Ausdruck des tiefen inneren Erschreckens angesichts der Größe Gottes. Es ist Ausdruck des "faszinosum et tremendum", angesichts der Heiligkeit Gottes, die er in dieser Begegnung mit Jesus erlebt.
 
Und dieser von der Größe Gottes, von echter Gottesfurcht gepackte Mensch, hört das Wort: "Fürchte dich nicht, Simon. Von nun an sollst du Menschenfischer sein!"
 
Wenn das keine gute Nachricht ist!

Harald Fischer