14. 09. 2003, 24. Sonntag im Jahreskreis - Kreuzerhöhung
Mk 8,27 – 35


Liebe Gemeinde!

Kreuzerhöhung – eigentlich ist das ein seltsames Fest und wenn man von der Bedeutung des Wortes allein ausgeht, sogar ein ärgerliches Fest: Leid und Schmerz ist etwas, was nicht sein sollte. Das Kreuz als Symbol für Leid dann sogar noch "erhöhen"!?
 
Ich erinnere mich gut an eine Frau aus dem Umfeld unserer Gemeinde, die mir in einem Gespräch ungefähr folgendes sagte: "Ich finde vieles von dem was ihr lebt und was in der Gemeinde geschieht gut und sympathisch. Aber ich verstehe nicht, dass ihr das Kreuz so in den Mittelpunkt stellt und es zum Symbol für eueren Glauben macht. Diese Ausrichtung auf das Kreuz ist mir fremd!"
 
Vielleicht ist es eine ganz ähnliche Skepsis und vielleicht sind es ähnliche Vorbehalte, die uns heute im Evangelium bei Petrus begegnen. Ich stell ihn mir vor als einen Mann in den besten Jahren: vital, kräftig – bereit, seinem Helden, den er sich nun mal erwählt hat, zu folgen und für ihn einzustehen, sogar für ihn zu kämpfen. Aber immer, wenn die Welt voller Hoffnung ist, wenn die Kranken geheilt, die Hungernden gespeist, die Trauernden getröstet werden, wenn es also scheint, alles wäre auf einem guten Weg – dann fängt Jesus an davon zu reden, er würde leiden, er würde verhaftet und sogar hingerichtet werden.
 
Wir hören in diesem Evangelium heute, wie Petrus ihn beiseite nimmt – vielleicht im Vollgefühl, der erste der Jünger zu sein. Was wird er ihm gesagt haben? Im Evangelium heißt es: "Er machte ihm Vorwürfe." Vielleicht wird er gesagt haben: "Hör mal Jesus! Ich bin Petrus, der Fels, auf den du deine Kirche baust. Du hast es selber gesagt. Und ich sage dir: Wenn du der Messias bist, der Christus, dann kann es nicht sein, dass du am Kreuz endest, am Kreuz "erhöht" wirst. Deine Rede vom Leiden ist ein Irrtum. Außerdem ist sie eines Messias ganz und gar unwürdig. Unser Retter ist ein König, der im Triumph in Jerusalem einziehen wird. Der sorgt für Gerechtigkeit und Frieden in unserem Land, in dem Milch und Honig fließen. So steht es schon in den Heiligen Schriften. Das ist deine Aufgabe, Jesus. Und gemeinsam mit den anderen schaffen wir das. Wir alle hier stehen an deiner Seite. Du kannst dich auf uns verlassen. So muß unsere Stoßrichtung doch aussehen. Mit dieser Rede vom Leiden irrst du dich!"
 
Aber daraus wird nichts. Petrus muß die Schlimmste aller Beschimpfungen hinnehmen: "Weg mit dir, Satan!" Das ist die schärfte Papstkritik der Kirchengeschichte, die überhaupt nur möglich ist – von Jesus selber ausgesprochen.
 
Und es ist nicht nur diese Situation, in der die beiden einander nicht verstehen.
 
Ähnliche Erfahrungen werden uns im Evangelium immer wieder erzählt. So ereignet sich schon ein paar Tage später auf dem Berg der Verklärung ein Moment, den die Jünger – Petrus, Jakobus, Johannes – festhalten wollen. So erfüllend und beglückend erleben sie ihn. Aber auch daraus wird nichts. Nicht einmal reden dürfen sie über das, was sie erlebt haben, "bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist". Diese Szene endet mit der Frage der Jünger, "was es heißt von den Toten auferstehen".
 
Bei der Fußwaschung wird Petrus von Jesus zurechtgewiesen, ebenso als Petrus voller Überzeugung ankündigt, Jesus bis in den Tod hinein zu folgen und Jesus ihm den Verrat ankündigt.
 
Es gibt eigentlich keinen Satz des Petrus, der von seinem Herrn unwidersprochen bleibt.
 
Vielleicht sind die Tränen des Petrus, die er nach seinem Verrat vergießt, Tränen darüber, dass er erkannt hat, er hatte die Wahrheit gesprochen als er schwor: "Ich kenne ihn nicht!"
 
Vielleicht hat er erkannt: "In der Tat - ich kenne ihn wirklich nicht. Ich weiß nicht, wer er ist. Ich weiß nicht, was er wirklich denkt und fühlt. Ich verstehe seinen inneren Antrieb, seine Ziele, seine Motive nicht. Wer ist dieser Mensch eigentlich?"
 
Es ist ein langer und schwerer Prozess, den Petrus mitmachen muß, bis er etwas von Jesus versteht. Und dazu gehört auch zu erkennen, dass das Leiden eine Wirklichkeit in dieser Welt ist. Dazu gehört auch zu erkennen, dass es Leiden gibt, das mit allem guten Willen und aller Anstrengung nicht aus dieser Welt geschaffen werden kann. Dazu gehört auch zu erkennen, dass das Leiden auch eine Wirklichkeit im Leben Jesu selbst ist und das Jesus Ja dazu sagt. Zu diesem Weg des Verstehens gehört auch zu erkennen, dass das Leiden selbst durch den Glauben an einen liebenden Gott und durch das Vertrauen auf ihn nicht immer weggenommen wird.
 
Kyrilla Spieker hat das einmal sehr treffend in dem Wort zusammengefasst: "Gott hat die Welt nicht im Yoga – Sitz sondern durch das Kreuz erlöst!"
 
Das ist so schwer zu verstehen. Wohl auch für uns. Wir können das liturgisch feiern und es im Glaubensbekenntnis bekennen – aber wenn es uns selber betrifft, sind wir dem Petrus in seiner Schwerfälligkeit, das zu verstehen doch vermutlich sehr ähnlich.
 
Wir begreifen doch auch nicht mehr als Petrus und fragen uns, was es heißt: "durch sein heiliges Kreuz hat er die Welt erlöst!" Oder wir fragen uns, wie Petrus, "was es heißt: von den Toten auferstehen"!
 
Wie Petrus werden wir unseren Herrn oft fremd finden und schwer verständlich. Wie er werden wir auch immer neu Zurechtgewiesene sein. Wie er werden wir manchmal sagen: "Ich kenne ihn nicht." Vielleicht werden wir – wie Petrus – manchmal sogar bittere Tränen vergießen, weil wir Ihn, weil wir den Glauben nicht mehr verstehen und wir denken, alles verloren oder verraten zu haben.
 
Aber – so sagt uns das Evangelium – das genügt. Es genügt, in der Auseinandersetzung, in der Beziehung mit Jesus zu bleiben. Auch, wenn wir uns dabei oft irren, wenn wir in Sackgassen gehen, Fehler machen. Der Versuch, ihn zu verstehen, der Versuch, auf einem Glaubensweg zu bleiben, genügt.
 
Am Ende des Markusevangeliums wird uns erzählt, dass die Frauen das Grab leer finden und Engel dabei, die sagen: "Geht und verkündet den Brüdern und besonders Petrus: Er lebt!"
 
So wird der Gescholtene der dennoch Ausgezeichnete!
 
Es genügt, auf dem Weg zu bleiben und zu versuchen, zu verstehen, was wir eben verstehen können!


Amen.

Harald Fischer
 
(nach einer Anregung von Christian Schuler, CIG 37)