Ostersonntag 20. April 2003
Joh 20,1 – 18


Liebe Hörerinnen und Hörer!
Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Gemeinde!

Die Osterevangelien sind nicht einfach historische Berichte, die objektive Geschehnisse als Reportage schildern. Sie sind Erzählungen, die unzählig vielen Menschen zur Hilfe geworden sind, ihre eigenen Lebenserfahrungen zu deuten, so zu deuten, dass sie ihnen zu Glaubenserfahrungen werden können.
 
In dem Evangelium, das wir eben gehört haben, liegt uns eine der schönsten und ergreifendsten Ostererzählungen vor: die Begegnung zwischen Maria von Magdala und dem Auferstandenen.
 
Als Maria von Magdala zum Grab geht, hat sie kein Osterexultet auf den Lippen, wie wir heute Nacht in unserer Osterfeier. Sie hat sich nicht auf eine ausgefeilte Liturgie freuen können, hat keine Hoffnung im Herzen. Sie ist nicht auf einem Osterspaziergang, sondern macht einen Friedhofsbesuch: Einen Grabesgang in tiefster Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
 
Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt in der Begegnung mit Jesus von Nazaret, einem Mann, der sie fasziniert hatte, den sie geliebt hatte. Um seinetwillen hatte sie ihr bisheriges Leben aufgegeben und sich auf ganz neue Erfahrungen eingelassen. Sie hatte wohl in der Begegnung mit ihm keine große Theologie im Kopf gehabt. Da war einfach ein liebendes Herz einer Frau einem Mann gegenüber.
 
Sie hatte alles auf eine Karte gesetzt – und verloren. "Der am Pfahl hängt ist mir ein Verfluchter" (Dtn 21,23), so heißt es im Gesetzbuch Israels als Wort Gottes. Stärker als mit dem Kreuzestod konnte der Anspruch Jesu, im Namen Gottes zu sprechen, nicht widerlegt werden..
 
Maria von Magdala ist bei diesem Friedhofsbesuch am Nullpunkt ihrer menschlichen Möglichkeiten. Und sie setzt sich mit ihrer Trauer auseinander. Sie stellt sich ihrer zerstörten Hoffnung. Im Evangelium haben wir es eben gehört: Sie weint und beugt sich in die Grabkammer hinein.
 
Da begegnet uns, die wir unser Leben verstehen wollen, ein wichtiger Hinweis. Jeder erlebt wohl irgendwann in seinem Leben eine Erfahrung, wie Maria sie hier beklagt: dass wichtiges, sogar lebenswichtiges genommen und zerstört ist. Maria von Magdala beklagt und beweint diesen Verlust. Das Evangelium sagt uns: Der Schmerz muss erlitten und erfahren werden. Er braucht seine Zeit und seinen Ort. Nur so kann man dann auch den Weg zum neuen Leben finden.
 
Hier, an dem Punkt, wo Maria von Magdala nichts mehr zu erwarten hat, wo sie selber nichts mehr tun kann, ergeht an sie die Kunde vom Leben. Sie erlebt ein Wachsen in die Hoffnung, sie erlebt die Auferstehungserfahrung als Weg, sie erlebt ihn in verschiedenen Schritten.
 
"Warum weinst du?" Diese Frage, vom Boten Gottes gestellt, eröffnet ihr den Raum, über ihre Trauer zu sprechen. Sie kann sich umwenden vom Ort des Todes und eine Frage hören, die die personale Dimension der Trauer zuläßt:
 
"Wen suchst du?" Es geht in ihrem Erzählen nicht mehr nur um eine sachliche Information, sondern um Menschen, um den Menschen, den sie geliebt hat. Und in ihrem Erzählen, in ihrem Erinnern erfährt sie sich selber auf einmal angesprochen. Sie redet nicht mehr nur über jemanden, sie redet mit ihm. Sie erwacht aus ihrer Selbstverstricktheit, aus ihrer Verlorenheit und Einsamkeit. Und etwas ganz Neues und Unerhörtes tritt in ihr Leben.
 
Merkwürdig, wie Maria in diesem Evangelium Jesus anspricht. Sie nennt ihn nicht beim Namen sondern sagt: Rabbuni, d.h. mein lieber Meister.
 
Sie sagt "mein" – und drückt damit eine tiefe Verbundenheit und ihre fraglose Zugehörigkeit zu Jesus aus.
 
Sie sagt aber auch "Meister" und bewahrt damit einen Abstand. Sie gibt ihm, den sie so verzweifelt geliebt und gesucht hat, einen großen Raum von Achtung und Freiheit.
 
In der Spannung dieser beiden Worte zeigt Maria, wie sehr sie selber durch den Tod des Geliebten gereift ist. In dem tiefsten Schmerz ihres Lebens hat sie erfahren, dass sie nichts, nicht einmal sich selber festhalten kann. Der Tod reißt an sich, was uns zum Leben unentbehrlich erscheint – und das tut wahrhaftig nicht nur der leibliche Tod. Das tun auch die vielen Tode in uns und um uns, jeden Tag.
 
Mein Meister!
 
In diesen beiden Worten gibt Maria zu erkennen, dass zwischen Karfreitag und dem Ostermorgen auch in ihr etwas gestorben und jetzt zur Auferstehung bereit ist: Die Gestalt ihrer Liebe.
 
Das Miteinander zwischen Maria von Magdala und dem Auferstanden hat in diesem Moment eine neue Gestalt bekommen: "Halte mich nicht fest!" so beschreibt es der Evangelist. Er will damit wohl sagen: Diese Form der Gemeinschaft, die Maria zu erleben und zu verstehen beginnt, ist nicht an das "Haben" gebunden, nicht an das Festhalten. Es ist eine Weise der inneren Begegnung, die eine solche Tiefe, eine solche Wahrheit und auch Klarheit hat, dass Maria von ihr zu neuem Leben erwacht. Hier wird nicht nur eine äußere, historische, sondern viel mehr eine innere, eine Glaubenswahrheit erlebt.
 
Sie eilt voll Freude zu den Jüngern und erzählt: "Ich habe den Herrn gesehen!".
 
Wenn man diese Worte genau, wörtlich übersetzt heißt es: "Ich bin des Herrn ansichtig!" Da wird von einer Erfahrung gesprochen, die nicht nur einen Moment gedauert hat, aber jetzt leider schon Vergangenheit ist.
 
"Ich bin des Herrn ansichtig" ist eine präsentische, eine gegenwärtige Aussage. Es ist eine Glaubenserfahrung, die andauert. Sie hat erfahren, dass die Liebe stärker ist als der Tod.
 
Maria bekennt damit genau das, was wir hier feiern: Die Gegenwart des Auferstandenen in der feiernden Gemeinde und im Sakrament der Eucharistie.
 
"Ich bin des Herrn ansichtig" Mit diesen Worten drückt sie eine Glaubenserfahrung aus, die verstanden hat, dass die Liebe nicht vernichtet werden kann. Sie ist von Gott bestätigt worden: Die Liebe Gottes, die im Leben Jesu sichtbar geworden ist.
 
Von ihr leben wir heute noch. Sie feiern wir in dieser Stunde.

Amen.

Harald Fischer