Predigt im Ökumenischen Bittgottesdienst am 20.März 2003 in St. Martin, Kassel, anläßlich des Kriegsausbruchs im Irak


"Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet,
dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, 
damit sie nicht in Torheit geraten." (Psalm 85,9) 

Könnten wir doch hören, liebe Schwestern und Brüder! Aber wir hören nichts als Kriegslärm und sehen die ersten Bilder eines neuen Krieges. Dieser Krieg ist fern von uns – und dennoch ist er sehr nahe und geht uns alle unmittelbar an.
 
"Gehofft, gekämpft, verloren" – so steht es oft über den Traueranzeigen in unseren Zeitungen. Diese Zeilen könnten auch als Zustandsbeschreibung über unserer Gefühlslage stehen. Der Frieden im Vorderen Orient ist jedenfalls einstweilen beerdigt.
 
Wir verspüren Ohnmacht und Ärger, aber auch Wut, dass es nicht gelang, diesen Angriffskrieg abzuwenden. Die Torheit scheint um sich gegriffen und sich der Mächtigen in den USA bemächtigt zu haben. Sie sind selbst Gefangene ihrer eigenen Planungen geworden, aus denen es anscheinend kein Zurück ohne Gesichtsverlust mehr gab.
 
Noch einmal: Die Machthaber im Irak führen kein Unschuldsregime, wahrlich nicht. Darauf haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder hingewiesen. Doch mit der gleichen Elle gemessen müssten jetzt viele weitere Staaten im Orient oder in Ostasien angegriffen werden. Es entsteht der Eindruck: Hier wird ein abgekartetes Spiel gespielt. Einflußbereiche, die vorher festgelegt worden sind, werden mit militärischen Mitteln gesichert.
 
Es mag sein, dass dieser Krieg nur kurz sein wird – obwohl Bush und Blair die Welt schon darauf vorzubereiten scheinen, dass der Waffengang länger und härter dauern könnte, als allgemein gehofft. Wer weiß schon, was wirklich noch alles auf uns zu kommen wird. Krieg läßt sich nicht kalkulieren. Und schon ist auch das böse Wort von den "Kollateralschäden" wieder zu hören. Dahinter verbergen sich unschuldige Menschen, vor allem Kinder, Frauen, Alte – Menschen, die schon unter dem Diktator Saddam Hussein übergenug zu leiden hatten und deren Leid durch diesen Krieg unerträglich vermehrt wird.
 
Es steht uns Deutschen gut an, diesmal nicht in vorderster Front dabei zu sein. Das wenigstens haben wir aus unserer eigenen jüngsten Vergangenheit gelernt.
 
Doch was ist jetzt für uns als Christen zu tun? Manche werden mutlos und enttäuscht sein. Haben all die Gebete der vergangenen Wochen nicht genützt? Vordergründig sieht es ja so aus. Das müssen wir eingestehen. Aber dennoch gilt für uns: Wir dürfen uns nicht von Gott abwenden. Wir müssen durch die lauten Töne des Krieges und den Lärm der Kriegsmaschinerie hindurchhören: Gottes Verheißung ist Frieden, und seine Zusage gilt den Friedfertigen. Die nennt Jesus "selig" – die, und nicht jene, die auf bloße Macht setzen.
 
Wir hören in diesen Tagen von beiden Kriegsseiten, dass sie sich auf Gott berufen. So, wie wir diesen Anspruch nach dem 11. September 2001 deutlich zurückgewiesen haben, sagen wir auch heute: Mit Gott läßt sich dieser Krieg nicht begründen. Das ist ein Missbrauch seines Namens! Wir widersprechen jedem, der sich in diesem Krieg auf Gott beruft. Wer sich auf Gott beruft, beruft sich auf den Frieden!
 
Kurzfristig mag es militärische Erfolge für die USA geben. Das zeigt sich schon an der so unterschiedlichen Ausstattung der Armeen. Langfristig aber wird es ohne einen Frieden in Gerechtigkeit keine Perspektiven für die Menschen im Vorderen Orient geben.
 
Öffnen wir darum unsere Ohren für die Botschaft Gottes vom Frieden!
Lassen wir nicht zu, dass die Torheit über alle Vernunft und alle Gefühle siegt.
Beten wir weiterhin und noch inständiger
für die, die Verantwortung über Krieg und Frieden tragen,
für die, über deren Schicksal entschieden wird,
für alle, die in Angst und Sorge um ihr Leben sind,
und für uns selbst, die wir uns nach Gottes Frieden sehnen!
Seien wir gewiß: Gott erhört uns!

Sein Friede, der höher ist als alles menschliche Begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

Bischof Dr. Martin Hein, Kassel