Weihnachten 2002
Das HEUTE Gottes (Joh 1)


Liebe Gemeinde!

Die Kerzen des Heiligen Abends sind verloschen und wir sind in das Licht des Weihnachtstages getreten.
 
Gestern Abend haben wir hier in unserer Kirche die vertraute Weihnachtsgeschichte gehört. Wir haben festlich Liturgie gefeiert. Wir haben uns mit Freunden und Familien getroffen, Geschenke verteilt, eben Weihnachten gefeiert.
 
Jetzt ist es hell geworden und wir sind in den Weihnachtstag eingetreten.
 
Was hat am Weihnachtsmorgen Bestand von dem, was wir in der Nacht gefeiert haben? Sind wir in den nüchternen Tag eingetreten, wo der Zauber der Nacht schon nicht mehr zu finden ist? Ist die Nacht nur ein Medium für die Weihnachtsstimmung?
 
Liebe Gemeinde!
 
Wir leben im "Heute Gottes". Dieses "Heute" kennt kein Gestern. Heute ist Weihnachten und das nicht nur liturgisch als fromme Feier Wir feiern Weihnachten nicht als Feier von Vergangenem. Heute ist die Geburt des Heilands. Das, was heute unsere Liturgie bestimmt, ereignet sich, indem wir es feiern. Es ereignet sich von neuem die Geburt des Menschensohnes, die Geburt Jesu Christi in unsere Welt, in unsere Gemeinde. Ja, es ereignet sich von neuem die Geburt Jesu Christi in mein Leben.
 
Wir feiern eben nicht nur eine alte Geschichte, an die wir uns erinnern. Diese Erinnerung setzt gegenwärtig was wir feiern. Und so stimmt es, dass uns heute, jetzt der Engel der Verkündigung zuruft: " Euch ist HEUTE der Heiland geboren."
 
Gestern abend haben wir dieses HEUTE in den Bildern unserer Welt gefeiert: Gott ist Mensch geworden mit allem, was zum Leben der Menschen dazu gehört: mit der Bedürftigkeit und Hilflosigkeit eines kleinen Kindes. Wir haben über den Mut Gottes gestaunt, sich in solch absoluter Bedürftigkeit dieser Welt auszusetzen Und wir haben uns erinnert, dass das Bedeutung hat für Menschen, die keine Bedeutung haben: für die Hirten, für die kleinen Leute, für die, die am Rand der Gesellschaft stehen. Wir haben uns nur deshalb erinnert, weil das auch heute wahr ist und heute Bedeutung hat.
 
Heute , am Tag, am Weihnachtstag hören wir, erinnern wir uns an die wunderbaren Worte, mit denen Johannes im Prolog seines Evangeliums die Wahrheit der Weihnachtsbotschaft ausdrückt:
 
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
 
Und: Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.
 
Wenn wir das hören und auch diese Worte der Weihnachtsverkündigung Bedeutung für das Heute hat stellt sich aber doch die Frage: Müsste denn dann die Welt nicht ganz anders aussehen?
 
"... das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet...". Wenn das so stimmt, wie Johannes es schreibt, wenn das wahre Licht wirklich jeden Menschen erleuchtet, müsste denn dann nicht all die Brutalität, der Haß, die Gier in unserer Welt vorbei sein? Müsste unsere Wirklichkeit dann nicht schon eine ganz andere sein? Eine, in der diese Wahrheit für jeden Menschen erkennbar wäre?
 
Diese Fragen, diese Not hat auch Johannes schon gekannt. Er schreibt weiter:
 
"Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfaßt..." (V.5).
 
So beurteilt er die Wirklichkeit Jahrzehnte nach dem Tod Jesu. 2000 Jahre später ist es immer noch nicht anders: die Finsternis hat dieses Licht nicht erfasst. So gibt es noch immer die Finsternis in dieser Welt.
 
Und doch ist es Wahrheit: Gott ist in diese Welt gekommen, in diese nüchterne, harte Welt. Er ist gekommen als ein Licht, das Halt und Orientierung gibt.
 
Und darum müssen wir Weihnachten feiern:
 
weil damit das Licht wieder sichtbar wird - für uns selber. Weil dadurch die Geburt Jesu wieder neue Wirklichkeit wird: für uns und auch durch uns.
 
Dass das Licht in die Welt kam ist nicht unser Verdienst. Aber dass es in Zukunft sichtbar wird - für uns und durch uns auch für andere -, das hängt auch von uns ab.
 
So wird in unserer Weihnachtsfeier Christus neu geboren, als Licht, das uns erleuchtet. Der Mystiker Angelus Silesius hat es vor Jahrhunderten so gesagt: "Wäre Jesus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest ewiglich verloren."
 
Weihnachten bekommt erst dadurch seine wirkliche Bedeutung, dass es sich für mich ereignet. Heute.

Amen. 

Harald Fischer