01. September 2002, 22. Sonntag im Jahreskreis
Mt 16, 21 - 27
Liebe Gemeinde!
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach!" (Mt 16,24).
"...der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach..."
Viele Generationen lang haben Menschen ihr Leben aus diesem Wort heraus gestaltet und dadurch Kraft gewonnen, bedrückende Wirklichkeiten und schwere Lebenssituationen zu ertragen. Sie haben das als Nachfolge Jesu Christi empfunden. Aus diesem Geist heraus wollten sie leben.
Aber nicht immer ist das auch wirklich zum Heil der Menschen erfolgt.
Kurt Marti, ein theologischer Dichter unsere Zeit, hat ein kleines Büchlein geschrieben mit dem Titel: "Leichenreden". Darin steht folgendes Gedicht:
"Aufstand"
Als sie mit 20 ein Kind erwartete,
wurde ihr Heirat befohlen.
Als sie geheiratet hatte,
wurde ihr Verzicht auf alle Studienpläne befohlen.
Als mit 30 noch Unternehmungslust zeigte,
wurde ihr Dienst im Hause befohlen.
Als sie mit 40 noch einmal zu Leben versuchte,
wurde ihr Anstand und Tugend befohlen.
Als sie mit 50 verbraucht und enttäuscht war,
zog ihr Mann zu einer jüngeren Frau.
Liebe Gemeinde!
Wir befehlen zu viel,
wir gehorchen zuviel,
wir leben zu wenig!"
Soweit Kurt Marti. So sieht er dieses Leben.
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach".
Zu oft wird manches erlebt und durchlitten, zu oft wird manches als "Kreuzesnachfolge" Jesu Christi dargestellt und eigentlich werden doch damit nur die eigenen Lebensängste heilig gesprochen.
Im Evangelium geht es um etwas ganz anderes.
Wenn Jesus sagt: "Wer mir nachfolgen will...", dann spricht er eine eigene, freie Lebensentscheidung an und er spricht zu Menschen, die eine Erfahrung gemacht habe, eine Erfahrung, mit ihm. Nicht zufällig steht dieses Evangelium erst im 16. Kapitel des Evangeliums. Die Menschen, zu denen er redet, sind schon eine ganze Zeit mit ihm gegangen. Sie haben ihn schon gehört. Sie kennen die Bergpredigt, sie haben ihn am am See Genezareth erlebt und versuchen, seine Lehre zu verstehen.
Sie haben erlebt, welche Wirkung die Begegnung Jesu mit Menschen gehabt hat . Sie haben eine eigene Erfahrung mit ihm. Sie haben eine Zeit, eine gute Zeit mit ihm gelebt.
Hier ist jetzt der Ort, wo eine neue Wirklichkeit benannt und eingebracht wird.
Bisher hat Jesus nur in Gallilea gelebt, am See Genezareth. Die Theologen nennen diese Zeit den galiläischen Frühling. Sie meinen damit die Zeit, in der Jesus Zustrom erlebt und Erfolg bei den Menschen gehabt hat. Er ist in einer guten Weise bei den Leuten "angekommen".
Aber jetzt macht sich eine neue Wirklichkeit sichtbar.
Jesus hat sich entschieden, in seinem Leben den Willen des Vaters zu tun. Er will ganz aus Gott zu leben. Das hat ihn oft in erfüllende Situationen gebracht. In den Begegnungen mit Menschen, die seine Hilfe, seine Zuwendung gebraucht haben, hat er ja selber auch Bestätigung erfahren. Ebenso in der Begegnung mit Menschen, die sein Wort hören wollten und die interessiert waren an der Begegnung mit ihm.
Aber er spürt zunehmend in seiner eigenen inneren Lebens- und Glaubensentwicklung, dass das nur eine Seite seines Lebens ist.
Der Weg nach Jerusalem, von dem er hier im Evangelium zum ersten mal spricht, steht für die andere Seite.
Er ahnt, dass das Hören auf Gottes Wille auch Konflikt, auch Auseinandersetzung, auch Streit mit sich bringt. Das bringt er hier zum Ausdruck. Er sagt das in einer Situation, in der er um sein eigenes Selbstverständnis ringt. Unmittelbar vorher fragte er ja: "Was meinen die Leute über mich? Was sagt ihr über mich?"
Das ist ein Niederschlag dessen, was wir alle erfahren: Im Kontakt mit anderen finden wir zu uns selber.
Jesus bringt hier seine Erkenntnis in seinem Ringen um das eigene Selbstverständnis zum Ausdruck: Diese andere Wirklichkeit, nämlich der Konflikt, die Auseinandersetzung, Leid, Kreuz gehören mit in sein Leben.
Dieses Kreuz ist nicht nur irgendeine Unannehmlichkeit und erst recht nicht die Legitimierung der eigenen Lebensangst. Es ist die Erkenntnis, dass es in der Nachfolge Jesu und um der Nachfolge Jesu willen diese Auseinandersetzung geben kann. Es bringt zum Ausdruck, dass es die Frucht der Auseinandersetzung um eine eigenen Lebensentscheidung sein kann. Jeder von uns erlebt das auf seine Weise.
Es kann in der eigenen Lebensentwicklung Momente geben, wo man sich entscheiden muss, welcher Weg weiterführt. Und da sind auch schmerzhafte Entscheidungen möglich.
Jesus sagt hier: Wenn einer mir nachfolgen will, muss er damit rechnen, dass ihn das in Konflikt bringt.
Paulus bringt das mit den Worten der heutigen Lesung aus dem Römerbrief zum Ausdruck:: "Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist (Röm 12,2). Das ist die Aufforderung, nicht nur einfach hinter der Masse herzulaufen. Er bringt ein kritisches Moment ein: Die Aufforderung, zu unterscheiden, sich unter Umständen auch abzusetzen.
"Wer mir nachfolgen will..." Das verlangt eine eigene, reife, freie Entscheidung. Aber damit fängt ein Glaubensweg nicht an. Er fängt an mit der Erfahrung einer Faszination, die die Jünger Jesu erst einmal erlebt haben. Und auch an dieser Stelle, an der Jesus von Kreuz spricht, verstehen sie noch nicht, worum es geht. Jesus fährt Petrus hart an: "Weg mit dir Satan! Du willst mich zu Fall bringen".
Es braucht eine Zeit in der eigenen Lebensentwicklung, bis man versteht, worum es in der Nachfolge Jesu geht. Und dann kann man natürlich auch die eigenen, individuellen Kreuzerfahrungen aus dieser Nachfolge heraus in einem anderen Licht sehen und deuten. Die wenigsten von uns werden in eine gesellschaftliche Situation kommen, wo wir in eine solche Distanz mit der Mehrheitsmeinung kommen, wie Jesus es erlebt hat oder wie an vielen Orten unserer Welt auch heute Christen noch eine solche Auseinandersetzung führen müssen.
Aber wenn wir den Weg der Nachfolge gehen, kann das durchaus bedeuten, die eigene, individuelle Schmerzerfahrung, das eigene Erleben von Scheitern und Enttäuschung anders zu erleben und zu verstehen, als wenn wir nicht aus diesem Weg, aus dieser Weggemeinschaft mit Christus leben würden.
Die Erfahrung von Krankheit, von Trauer, von Scheitern, von Schuld im Blick auf Christus deuten und bewältigen!
" Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach auf dem Weg zum Leben - in der Suche nach dem lebensstiftenden Willen Gottes.
Amen.
Harald Fischer