11. August 2002, 19. Sonntag im Jahreskreis
1 Kön 19,8b – 9a.11-13.a


Liebe Gemeinde!

Die Bibel, die heilige Schrift der Juden und der Christen, ist von der ersten bis zur letzten Seite voller Lebensgeschichten von Menschen. Es begegnen uns ganz normale Lebensgeschichten, wie sie sich über die Jahrtausende in allen Völkern immer wieder ereignet haben. Es sind tragische Lebensgeschichten und gelungene. Es sind Geschichten vom Gelingen und vom Scheitern, von Intrigen, Freude, Hoffnung, Glück, Elend. Es sind ganz normale Geschichten, wie sie eben das Leben schreibt. Sie sind so normal, dass es oft geradezu schockierend ist, was Menschen erlebt haben und was uns in der Heiligen Schrift überliefert wird.
 
Das einzig besondere an der Bibel und an den Lebensgeschichten, die dort aufgeschrieben sind, besteht darin, dass diese Menschen in ihrem normalen Leben immer wieder danach gesucht haben: worin begegnet mir in meinem Leben, inmitten dessen, was ich erlebe, Gott.
 
Für sie ist Gott nicht eine weit entrückte Wirklichkeit, irgendwo in abgegrenzten religiösen Zonen, wie wir es heute oft empfinden. Sie suchten Gott und seine Wirklichkeit im eigenen Alltag, im ganz konkreten Leben.
 
In diesem Suchen zeigt sich auch immer wieder, das Menschen lernen und erkennen: Gott sich oft so ganz anders, als man es sich eigentlich gedacht und oft auch erhofft hatte.
 
Und es zeigt sich immer wieder, dass Gott sich gerade in den Brüchen des Lebens zeigt, dass er den Menschen in den Momenten ihres Lebens begegnet, in denen ihnen buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht, so wie wir es heute im Evangelium von Petrus gehört haben.
 
Eine dieser bewegenden und zum Teil auch schockierenden Geschichten begegnet uns in dem Propheten Elia, von dem wir heute in der Lesung gehört haben.
 
Elia hatte im siebten Jahrhundert vor Christi Geburt gelebt. Der König seiner Zeit, König Ahab, ein Jude, hatte eine Ausländerin geheiratet. Das hat es ja immer schon gegeben, dass sich Könige in ausländische Frauen verliebt haben und sie natürlich dann zu sich an den Hof geholt haben. Isebel, so hieß diese Frau, hatte eine andere Religion, als die meisten Menschen in Israel. Sie war keine gläubige Jüdin. Sie war Heidin. Ihre Religion war geprägt von den Fruchtbarkeitskulten der Nachbarländer Israels. Sie hatte der Astarte und dem Baal gehuldigt.
 
Wenn prominente Personen eine Richtung vorgeben, dann finden sich bis heute auch immer Menschen, die sich davon anziehen und anstecken lassen. So hatte auch ihre Religiosität und ihre Spiritualität durchaus Zulauf in Israel gefunden. Der Baalskult, für gläubige, fromme Juden, ein Greuel, war durch die Königin Isebel in Israel verbreitet.
 
Für unsere aufgeklärte Zeit ist das nichts besonderes. In Deutschland gibt es selbstverständlich nicht nur Christen und erst recht nicht nur Katholiken. Wir haben viele andere Religionen und viele Sekten. Es gibt ein großes buntes Spektrum von weltanschaulichen und religiösen Ansichten und Traditionen. Das, was für uns selbstverständlich ist, war für Elia, der sich als rechtgläubiger Prophet Jahwes verstand, untragbar.
 
Es wäre spannend die ganze Geschichte des Elia in seiner Auseinandersetzung mit diesen Kulten und den Fremdreligionen zu erzählen. Manche von Ihnen kennen vielleicht das Elia-Oratorium von Mendelssohn – Bartholdy, in der sie in einer wunderbaren Weise vertont ist. Elia führt einen Entscheidung herbei zwischen den Baalspropheten und ihm, dem Vertreter des rechten Glaubens. Diese Auseinandersetzung findet auf dem Berg Karmel statt. Dort kommt es zu einem fürchterlichen Gemetzel, in dem Elia aus dem Selbstbewusstsein, der wahre Prophet Jahwes zu sein, 450 Baalspropheten umbringen lässt.
 
Für unsere Ohren hört sich das fürchterlich an. Worin unterscheidet sich so ein Mann von einem Tyrannen, wie wir ihn in Khomeini im Iran gehabt haben, der aus einer ähnlichen Haltung heraus Andersgläubige töten ließ? Bis heute sehen wir ja, wieviel Unheil die religiösen Fanatiker in unserer Welt anrichten.
 
Elia hatte gemeint mit seiner Haltung Jahwe einen Dienst zu erweisen. Aber unmittelbar nach diesen Ereignissen – so wird berichtet – bekommt er Angst denn Isebell droht, ihn zu töten. Er geht nach Beerscheba, einen Ort am Rand der Wüste Negev und zieht eine Tagesreise weit in die Wüste um dort zu sterben.
 
Wer von Ihnen schon einmal in der Wüste war, weiß, das das einem Selbstmordversuch gleicht. Eine Tagesreise weit ohne Wasser : das ist nicht zu überleben. So sagt Elia auch in seiner Verzweiflung: "Nimm mein Leben, Gott, denn ich bin nicht besser als meine Väter." Er legt sich unter den Ginsterstrauch, um zu sterben.
 
Da macht er eine Erfahrung, wie sie wohl für jeden von uns im Leben einmal aufgetaucht ist, oder hoffentlich auftaucht, wenn wir sie brauchen. In seiner tiefsten Depression und Verzweiflung und Angst tritt ihm ein Helfer zur Seite tritt. In der Bibel wird dann immer von einem "Engel" gesprochen, ein Bote Gottes, ein Mensch, der sich seiner annimmt, der ihm zu Essen und Trinken gibt, der ihm Mut zuspricht. Danach, so heißt es, geht er gestärkt durch diese Erfahrung 40 Tage und 40 Nächte durch die Wüste hin zum Gottesberg Horeb.
 
Der Gottesberg Horeb ist in der jüdischen Tradition der Berg der Begegnung mit Gott. Dort hat Mose in der Begegnung mit dem brennenden Dornbusch seine Gotteserfahrung gemacht, die seine Leben veränderte. Dort am Gottesberg Horeb hat Jahwe Mose die zehn Gebote gegeben, den Dekalog, das Wort an dem sich Israel bis Heute aufrichtet, das für uns bestimmend geblieben ist. Und dort, so hofft Elia, wird ihm von neuem Gott begegnen. Dort wird er in seiner Auseinandersetzung Orientierung und Wegweisung bekommen.
 
An dieser Stelle setzt die Lesung ein, die wir Heute gehört haben. Den ganzen Vorlauf muss man aber mithören um zu verstehen, was sich hier ereignet.
 
Elia kam zum Gottesberg Horeb. Er geht in eine Höhle, um darin zu übernachten und er erwartet Gott.
 
Wie erwartet er ihn? Gott, so war seine Vorstellung, ist ein gewaltiger Gott, ein solch gewaltiger Gott, der auch Gewalt an Menschen, die sich nicht auf ihn ausrichten, erlaubt und duldet. Und er ist ein Gott, der sich in den Naturerscheinungen der Welt zum Ausdruck bringt, im Erdbeben, im Feuer, im Sturm.
 
So heißt es in unserer Geschichte: Es kam ein starker heftiger Sturm, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach. Doch der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm kam ein Erdbeben. Doch der Herr war nicht im Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch der Herr war nicht im Feuer.
 
Was uns hier in diesen Worten gesagt wird, ist Ausdruck einer immens schwierigen Lernerfahrung Elias. Gott ist anders! Er ist nicht so wie er ihn sich gewünscht hätte. Er ist nicht so, dass man ihn so ohne weiteres in den großen, gewaltigen Ereignissen der Natur oder des eigenen Lebens wahrnehmen könnte. Gott entzieht sich der eigenen Vorstellung.
 
In der Elia – Erzählung heißt es dann weiter: Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Martin Buber, der große jüdische Religionsphilosoph, hat übersetzt: "Nach dem Sturm kam ein leises, verschwebendes Schweigen."
 
Elia macht hier am Horeb eine neue Lernerfahrung. Er lernt: Der Gott, den er lange so klar und sicher hatte, von dem er wusste, was er von ihm zu erwarten hatte, von dem er zu wissen meinte, was Gott von ihm wollte, wie er reagieren sollte, dieser Gott ist anders, ganz anders als er ursprünglich meinte. Er begegnet Gott nicht in dem lauten Getöse oder in dem zupackenden sicheren Griff, oder in der klaren Definition, die er anderen wie mit einer Keule an den Kopf schlagen könnte, nicht darin begegnet ihm der lebendige Gott, sondern in der Offenheit, die nicht festhalten kann, im Schweigen, in der Stille, in dem, was nicht zu halten ist.
 
Liebe Gemeinde! Diese Lernerfahrung des Elia zieht sich über einen langen Zeitraum seines Lebens hin. Sie beinhaltet Schlimmes und Irrtum, Suchen und Scheitern. Er lernt: Wenn ich wirklich mit Leidenschaft nach Gott suche, kann ich das immer nur mit offenen Händen und mit der Frage, wo mir Gott in diesem Abschnitt meines Lebens neu begegnet.
 
Gott zu suchen, das bedeutet in einen lebenslangen Veränderungsprozess zu bleiben. Gott zu suchen, das bedeutet immer wieder neu in der Offenheit zu leben, dass mir das, was vielleicht vorgestern sicher war, heute aus der Hand genommen ist, und sich morgen mir als neues erweist. In der Person Jesu haben wir ein "Bild" von Gott, an dem wir uns orientieren können. Aber was das für mein eigenes Leben bedeutet, ist immer wieder dem Prozess der Veränderung, des Horchens und der Suche unterworfen. Anders finden wir Gott nicht. Und doch begleitet uns immer wieder das Wort Jesu in dieser Suche: " Hab Vertrauen! Wenn du im Sturm meinst, du gehst unter: Auch dort begegnest du ihm!"

Amen.

Harald Fischer