03. 03. 2002, 3. Fastensonntag
Joh 4,5 – 42


Liebe Gemeinde!

Im Evangelium haben wir eben eine Begegnungsgeschichte gehört: Jesus begegnet einer Frau an einem Brunnen und unterhät sich mit ihr. Solche Begegnungen an Brunnen werden in der Bibel immer wieder erzählt. Und es sind meist wichtige Begegnungen, bei denen sich Entscheidendes für die Beteiligten ereignet hat. Wenn solche Geschichten in die Heilige Schrift aufgenommen wurden, heißt das, das sie Bedeutung haben auch für andere Menschen, das sie Bedeutung haben auch für uns heute.
 
Wir haben in unserer Kirche heute eine einmalige Gelegenheit. Die Frau, von der das Evangelium erzählt, ist hier bei uns. Sie erzählt uns jetzt an dem Brunnen, der hier vor unserem Altar steht, von dieser Begegnung, die so wichtig für sie geworden ist.
 
DIE SAMARITERIN  (verkörpert durch Melitta Baytaroglou) ERZÄHLT:
 
Vor einiger Zeit ist mir etwas Merkwürdiges passiert: Ich habe hier am Brunnen einen Mann getroffen. Einen Rabbi! Er sagte: Gib mir zu trinken. Gib mir zu trinken, sagte er - zu mir!
 
Ich will versuchen, Ihnen zu erklären, warum dieser Satz mich so sehr angerührt hat. Seit unserer Urväter Zeiten beginnen mit diesem Satz am Brunnen Beziehungsgeschichten, Liebesgeschichten. Aber er war ein Rabbi! Ein Jude! Juden haben mit unserem Volk keine Berührungen. Wir machen sie "unrein", was immer das heißt.
 
Und nicht genug, dass er mit mir, einer Frau, überhaupt redet, nein, er will etwas zu trinken von mir.
 
Ein Jude, eine Rabbi, möchte mit einer Frau aus Samarien in eine Beziehung treten. Jede anständige Frau hätte sich umdrehen und gehen müssen.
 
Ich bin geblieben. Etwas hat mich gehalten.
 
Gib mir zu trinken! Er gab mir das Gefühl: Ich bin ganz persönlich angesprochen. Wenn ich ihm nicht "das Wasser reiche", muss er verdursten.
 
Das Wasser reichen! Es bedeutete für mich soviel wie: Erstmal zuhören, was er erzählt. Und das war zunächst einmal einen Menge unverständliches Zeug, so dass ich dachte: Na, der ist ja wohl völlig durch den Wind. Jedenfalls steht er nicht mit zwei Füßen auf der Erde. Er redete von dem Wasser, das er mir geben könnte, von lebendigem Wasser, das aufsprudelt zu ewigem Leben usw. Ziemlich abgehoben und weit weg.
 
Aber ich hab ihm gesagt: O.K., Rabbi, wenn Du dieses tolle Wasser hast, dann her damit, erzähl nicht davon, gib’s mir doch.
 
Ich glaube, an der Stelle ist der Arme wohl mächtig erschrocken. Er sagte nämlich, ich soll meinen Mann holen!
 
Das könnte Dir so passen, hab ich gedacht. Erst große Reden schwingen, und wenn es drauf ankommt, kneifen.
 
Ich habe keinen Mann, hab ich geantwortet, um ihm zu sagen: Hier spielt die Musik, hier bei mir. Um mich sollte es doch eben noch gehen.
 
Diese Stelle werde ich nie vergessen. Er hat den Satz wiederholt: Ich habe keinen Mann! So, als redete er von sich, so, als wollte er sagen: Ich habe auch keinen Mann, keinen, in dessen Fußstapfen ich treten könnte. Keinen, der den Weg, den ich gehen muss, schon einmal gegangen wäre. Auch keinen, der wirklich mitgeht und meine Botschaft versteht.
 
Ganz schön einsam kam er mir vor. Und doch war genau das unsere gemeinsame Erfahrung; auch ich war einsam, enttäuscht von immer wechselnden Beziehungen, mit einer ungestillten Sehnsucht danach, dass einer kommt, der mich meint, wenn er mich anspricht, und nicht nur den Nutzen sieht, den er davon hat.
 
Er hat mir meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Nein, eigentlich hat er sie mir erklärt: So und nicht anders muss dein Leben abgelaufen sein, weil die Welt dir gar nicht anders begegnet sein kann. Das ist nicht deine Schuld. Das ist eben deine Geschichte, dein Leben und mag es dir auch noch so gescheitert vorkommen. Dein Lebensdurst, deine tiefste Sehnsucht: sie lebt. Es tat gut, mein Leben in seinen Augen zu sehen. Und es machte mir Angst, dass ein Mensch mir so nahe kam.
 
Und ich sagte: Noch nie Rabbi, ist mir jemand so nahe gewesen wie du jetzt. Aber ich kann es nicht wirklich glauben, dass mir ein Jude derart nah sein soll.Wir haben nichts gemeinsam. Unsere Völker hassen und verachten sich. Wir suchen sogar unseren Gott auf verschieden Wegen. Da begegnet man sich nicht. Besser, du läßt mich in Ruhe. Die Kluft zwischen uns ist zu groß. Du hebst die Gegensätze auch nicht auf. Und wenn Du weitergehst, läßt Du mich einsamer als zuvor zurück. Bitte, mach das nicht mit uns.
 
Diese Kluft, hat er mir erklärt, dieses Trennende zwischen Menschen, das alles ist Menschenwerk. Mit Gottes Augen gesehen gibt es das gar nicht. Gott ist die Wahrheit wichtig, die Wahrheit jedes einzelnen Menschen, nicht Traditionen, Vorschriften, Geschlecht oder Glaubensbekenntnis. Die tiefste Wahrheit der Menschen, deine tiefste Wahrheit, deine Sehnsucht, Gott möchte sie ausfüllen, nur Gott kann diese Leere füllen.
 
Rabbi, sagte ich, dein Gott gefällt mir wirklich, gut. Ich möchte dir gerne glauben, dass es ihn wirklich gibt. Aber wir alle warten auf den Messias. Er und nur er wird uns den wahren Gott verkünden.
 
Ich bin es, sagte er. Ich, der mit Dir redet. 
 
Text: Melitta Baytaroglou