17. Januar 2010, 2. Sonntag im Jahreskreis
Joh 2, 1 - 11

Liebe Gemeinde!

„Sie haben keinen Wein mehr!“
Dieses Wort im Evangelium kann ich als einfache Sachinformation hören, die jemand einer anderen Person mitteilt, vielleicht mit der Hoffnung, dass darauf eine bestimmte Reaktion erfolgt.

„Sie haben keinen Wein mehr!“
Ich kann die Aussage aber auch als ein Bildwort hören in dem Sinn: „Sie haben keine Lebenskraft mehr!“ Derjenige, über den das gesagt ist, der ist leer, ausgebrannt, überfordert. Er hat nicht Teil an der Fülle des Lebens.

Die Fülle - dafür ist die Hochzeit und das Hochzeitsmahl ein zutreffendes Bild. Die Mitte einer Hochzeit ist das JA - Wort zweier Menschen zueinander. Gott hat sein JA zur ganzen Schöpfung gesprochen, sein unwiderrufliches Ja zu einem jedem von uns. Dafür stehen die vielen Gleichnisse der Hochzeitsmähler, die wir im Evangelium immer wieder finden. Auch das Evangelium, das wir eben gehört haben, ist ein Bild für die Fülle des Lebens, die geschenkt ist, weil Gott sein Ja zu uns gesprochen hat.

Und trotzdem erleben sich Menschen immer wieder als „leer“. Trotzdem erleben sich Menschen immer wieder so, als hätten sie keinen Anteil an dieser Fülle, am Leben überhaupt. Trotzdem erleben sich Institutionen, auch Gemeinden, Gruppen immer wieder als ausgebrannt. Sie haben nichts zu geben, sie sind langweilig, öde, nichtssagend. Sie erleben sich selber so und andere Menschen erfahren sie erst recht so.

Das Evangelium greift diese Lebenserfahrung auf. Immer wieder geht es ja im Evangelium gerade darum, die reale Lebenswelt von Menschen zu erfassen und in sie hinein eine Glaubensbotschaft zu setzen. Die Evangelien sind Anleitungen, Glauben zu lernen - hinein in die Öde und Leere unseres Lebens.

„Sie haben keinen Wein mehr!“ Maria nimmt mit diesem Wort die Lebenswirklichkeit, die sie erlebt, auf und weist darauf hin. Manchmal kann man laute Feste veranstalten, die über das, was wirklich ist, hinweg täuschen wollen. Und doch spürt man unter der Oberfläche das Nichtssagende, die Fassade.

„Sie haben keinen Wein mehr!“ und „Was er euch sagt, das tut!“ Diese beiden Sätze sind   das einzige, was Maria im ganzen Johannesevangelium sagt. Sie weist auf die Not der Menschen hin und zeigt den Weg, sie zu beheben. Das ist ihre Aufgabe. Mehr braucht es   nicht. Nachdem Maria dieses Wesentliche gesagt hat, hat sie gesagt, was sie zu sagen hatte.

Sie weiß und erfährt: In  Leere unseres Lebens hinein schenkt sich Gottes Fülle. Dafür steht Jesus. Deshalb ist er Gast bei der Hochzeit: damit die wahre Freude, die wirkliche Fülle, die Er - Füllung zum Vorschein kommt, sichtbar und erfahrbar wird.

Das Reich Gottes bricht dort ein, wo wir den Mangel und die Leere erfahren. Das Reich Gottes kommt ohne unser Tun. Wir können es nicht machen. Es ist geschenkt.

Das ist zunächst die heitere und leichtfüßige Antwort des Glaubens auf die Not des Lebens. Aber diese Antwort kommt daher im Gewand einer ungeheuren Herausforderung: Wir müssen uns auf das  Wagnis des Glaubens einlassen, sonst könnte es passieren, dass wir die geschenkte Fülle nicht erkennen, dass sie um uns ist, aber wir sie nicht sehen und an ihr vorbei leben.

Das Reich Gottes kommt nicht durch die Menschen, aber es kommt auch nicht an uns vorbei.

Es braucht diejenigen, die Jesus zu der Hochzeit einladen. Es braucht diejenigen, die die Not der Anderen sehen. Es braucht diejenigen, die bereit sind, die schwere und unscheinbare Arbeit des Alltags zu tun und die leeren Wasserkrüge des Lebens zu  füllen.

Wenn wir auch das Reich Gottes nicht „machen“ können, wenn es uns auch im Letzten geschenkt ist: Im Vorletzten gibt es genug zu tun. Ein zentraler theologischer Lehrspruch sagt: „Gratia supponit naturam“. „Die Gnade setzt die Natur voraus.“

Wenn wir erleben, dass wir, dass andere in der angesprochenen Weise „leer“ sind, kann das Konsequenzen haben, die so zahlreich und verschieden sind, wie wir Menschen eben zahlreich und verschieden sind und wie wir verschiedene Lebensentwürfe haben.

„Leer“ zu sein, das kann heißen, von einem falschen Weg umzukehren. „Umkehr“ ist der zentrale theologische Begriff, der immer wieder herausfordert. Umkehr kann heißen, die Form von Beziehung zu überprüfen, die vielleicht krankmachend ist - in einer Ehe, in einer Freundschaft, in den vielfältigsten Formen, in denen Beziehung gelebt wird. Sie kann bedeuten, mit einer Trauer, einem Verlust bewußt umzugehen, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, in der Familie, mit sich selber anzugehen. Das bedeutet vielleicht die mühselige Arbeit des Wassertragens, die uns auch im Bild des Evangeliums begegnet, aber es ist der Weg, auf dem wir uns vorbereiten, Umwandlung, Verwandlung geschenkt zu bekommen.

Wenn wir die Leere des Lebens aufspüren, gilt es, wenigstens das Wasser des Alltags zu entdecken und es in unsere Gefäße zu geben. Vielleicht heißt das auch, unser Leben, unsere Not bewußt mit Gott in Berührung zu bringen, ihm hinzuhalten, was wir allein nicht verwandeln können, was wir nicht vollbringen. Das Wasser meines Lebens wahrnehmen und ernst nehmen: mehr braucht es nicht.

Das Evangelium schenkt uns die Verheißung, das aus diesem Vertraue Fülle geschenkt wird. Für diese Fülle steht Jesus selber ein. Er wandelt das Wasser des Lebens in den Wein der göttlichen Gegenwart. Dieser Wein ist so gut, so viel, so überfließend ist, das er nicht aufgebraucht werden kann.

Der Kirchenlehrer Hieronymus wurde einmal gefragt, ob die Hochzeitsgäste den ganzen Wein ausgetrunken hätten - über 600 (!) Liter. Er soll geantwortet haben: „Nein, davon trinken wir heute noch!“

Die Fülle des Reiches Gottes fließt über ins Heute. Wir haben Anteil daran und dürfen teilnehmen an der Freude, die uns geschenkt ist.
Amen

Harald Fischer