02. April 2010, Karfreitag

Liebe Gemeinde!

Im Schöpfungslied der Bibel heißt es am 6. Tag: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott sah alles an, was er gemacht hatte - und siehe, es war sehr gut!“

Der 6. Schöpfungstag ist in der jüdisch-christlichen Zählung der Wochentage der Freitag.

Heute ist Freitag - und wieder hören wir - diesmal in der Passion Jesu von Pontius Pilatus: „Siehe, der Mensch!“.

Aber: dieser zerschundene, geschlagene, gequälte Mensch - hat dieser Mensch noch etwas vom Abbild Gottes?

Der Prophet Jesaja beschreibt, wie weit es mit dem Menschen kommen kann. Im 4. Gottesknechtslied haben wir es eben schon gehört: „Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch. Seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen an ihm fanden. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht! (Jes 53,1-3).

Das Haupt voll Blut und Wunden - kann es das Abbild Gottes sein?

Wie hat Gott den Menschen gemeint? Und wie kann der sterbende Jesus sagen: „Es ist vollbracht“, so, als ob das Abbild Gottes erst jetzt vollkommen wäre? Das Abbild Gottes: das Haupt voll Blut und Wunden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut?

„Wer mich sieht, sieht den Vater“ hat Jesus gesagt. Wer Jesus sieht - am Kreuz, sieht der auch jetzt noch den Vater?

Der Gott, der am Freitag den Menschen schuf als sein Abbild - er will am Karfreitag gesehen und erkannt werden, im leidenden und sterbenden Jesus am Kreuz, in jedem zerschlagenen und geschundenen Menschen.

Der Gott, der am sechsten Tag, am Freitag sah, dass alles sehr gut war, er will am Karfreitag gehört werden in der Stimme und im Wort Jesu: „Es ist vollbracht!“.

Der Mensch, den Gott gemeint hat, ist nicht der strahlende, schöne, triumphierende Göttersohn der Antike - und auch nicht der ewig junge, dynamische, kraftvolle, sozusagen hochglanzpolierte Mensch, den uns die Werbung präsentiert.

Der Mensch, den Gott gemeint hat, das Abbild Gottes, den finden wir im alten, geschundenen Menschen im Krankenhaus; den finden wir im hoffnungslosen, lebensmüden Menschen in unserer Nachbarschaft,; in dem, der keine Chance hat in unseren Augen und in denen unserer Umwelt.

Jesus zeigt uns den Menschen, den Gott gemeint hat - auch noch am Karfreitag. Jesus - geschunden, gequält, ans Kreuz genagelt, voller Blut und Wunden: Seht, das ist der Mensch!

Liebe Gemeinde! Darum begehen, üben wir den Karfreitag:


Das Haupt voll Blut und Wunden ist an diesem Karfreitag das Abbild Gottes. Dieses Bild suchen wir im eigenen Leiden und im Leiden aller Menschen. Amen.

Harald Fischer