24. Mai 2010, Pfingstmontag

Liebe Gemeinde!

Ostern bis Pfingsten: 50 Tage liegen zwischen diesen beiden zentralen Festen der Christen.

Man könnte diese Zeit als einen Glaubensweg bezeichnen, den jeder Einzelne in seinem Leben gehen muß, um die eigentliche  Bedeutung von Ostern zu erfassen.

Auf diesem Weg von Ostern bis Pfingsten gibt es einige Feste, die wie Wegemarkierungen,  die Stationen dieses Glaubensweges kennzeichnen. Es sind sozusagen „pädagogische“ Feste, die die Lerninhalte des Glaubensweges ausdrücken.

Ausgangspunkt für den Glaubensweg ist der Karfreitag. Der bezeichnet  zunächst noch ein historisches Geschehen. Es braucht ja keinen Glauben, um zu verstehen, dass Jesus am Kreuz gestorben ist.

Aber in seinem Tod ist bereits schon alles enthalten, was die  Christen glauben: Tod, Auferstehung, Geistsendung  - sie fallen in eins.

Mit dem Tod Jesu ist schon alles gegeben - aber wir Menschen brauchen Zeit, um das zu verstehen.

Der Tod Jesu ist auch schon der Moment seiner Auferstehung. Nach dem Zeugnis des Lukasevangeliums sagt der sterbende Jesu dem Schächer, der mit ihm stirbt: „Wahrlich ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“ Was er dem Schächer zusagt, dürfen wir ja auch von ihm selber glauben: Im Sterben ereignet sich schon die Auferstehung.

Die drei Tage vom Karfreitag bis zum Ostertag kennzeichnen die Zeit, die seine Freunde brauchen, um den Schock des Karfreitags zu bewältigen. Die Frauen, die am  Ostermorgen zum Grab gehen, machen ja zunächst einen Friedhofsspaziergang. Sie wollen den Leichnam Jesu besuchen. Erst später erfahren sie, dass sich Ostern bereits ereignet hat.

Wir Menschen brauchen Zeit, um die Enttäuschungen unseres Lebens zu verarbeiten.  Wir brauchen Zeit, um glauben zu lernen, dass sich hinter dem Dunkel unserer Erfahrungen etwas Neues zeigen kann. Wir brauchen Zeit, um zu verstehen, wie Gott sich uns zeigen will.

Mit Ostern beginnen die Glaubenserfahrungen der Jünger. Aber die sind noch gebrochen und anfanghaft. Die Evangelien erzählen uns von der Angst der Jünger. Sie erzählen, dass sie in ihrem Glauben, in ihrem Vertrauen immer wieder angefochten sind. Sie erzählen von dem merkwürdigen Ineinander von Erkennen und Nichterkennen, das die Jünger in der Begegnung mit dem Auferstandenen immer wieder erleben.

Es ist eine Zeit, in der die Jünger lernen müssen, den Auferstandenen nicht mehr in der Weise zu „haben“, „zu besitzen“ wie vor dem Karfreitag. Die 40 Tage – das ist die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt - symbolisieren diesen Lernprozess.

Die 40 ist eine symbolische Zahl, die uns in der biblischen Tradition öfter begegnet. Sie symbolisiert die Zeit, die etwas braucht, um zum Abschluß zu kommen.
Noah war 40 Tage in der Arche, bevor er wieder festen Boden unter die Füße bekam. Mose lebte 40 Jahre in der Wüste, bevor er bereit war, Gott selber im brennenden Dornbusch zu erfahren. Das Volk Israel wanderte 40 Jahre durch die Wüste, bevor es in das Gelobte Land gehen konnte. Jesus fastete 40 Tage, bevor er sein öffentliches Wirken begann.

Und die Jünger haben eben diese 40 Tage gebraucht, um zu verstehen, dass die Gegenwart Jesu nach seiner Auferstehung eine andere war, als die vor seinem Tod.

Himmelfahrt feiern wir: Die Jünger haben das verstanden. Die Begegnung mit ihm nach seiner Auferstehung ist nicht mehr körperlicher, dinghafter Art. Es ist jetzt eine geistliche Begegnung, die sie erleben dürfen. Und: Sie setzt die Haltung des Glaubens und des Vertrauens voraus.

Alles, was wir Christen glauben, ist schon am Karfreitag, ist schon mit dem Tod gegeben: Auferstehung, Erhöhung und Geistsendung.

Aber der Glaubensweg der Christen, Ostern vollendet sich erst an Pfingsten. Erst da verstehen die Jünger vollends, was die Auferstehung Jesu bedeutet.

Sie hat nicht nur eine Bedeutung für das eigene persönliche Leben. Der Glaube an die Auferstehung fordert die Jünger auf, Zeugnis abzulegen für ihren Glauben.

Pfingsten feiern wir, dass die Jünger verstanden haben: Sie selber stehen an seiner Stelle, aus seinem Geist ein für seine Botschaft. Sie geben seine Botschaft, ja noch mehr: ihn selber durch ihr Wort und durch ihr Beispiel in diese Welt hinein.

Wie die Jünger sind die Christen heute, sind wir auf einem  Glaubensweg. Wir können im Glauben nicht alles auf einmal verstehen. Wir brauchen Zeit – und wir haben diese Zeit. Immer wieder können wir wohl auch die Erfahrung machen: Das, was wir einmal verstanden haben und uns klar schien, kann zu einem anderen Zeitpunkt wieder fraglich werden und muß neu als Glaubenswahrheit errungen werden.

50 Tage liegen zwischen Ostern und Pfingsten: die Zeit eines inneren Glaubensweges.

Aber heute haben wir Pfingstmontag. Es ist der 51. Tag. In Deutschland gibt es tatsächlich das einmalige Privileg, dass wir auch staatlicherseits einen zweiten Pfingsttag – oder wenn man so will – einen 51. Ostertag haben. Der Heilige Geist ist eben nicht nur für ein Fest reserviert. Er begleitet uns in den Alltag. Heute, am kirchlich gebotenen Werktag beginnt für uns der Ernstfall von Pfingsten. Wir stehen als Zeuge Jesu für seine Botschaft.


Harald Fischer