21. Juni 2009, 12. Sonntag im Jahreskreis
Mk 4, 35 - 41


Liebe Gemeinde!

„Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?!“

Ein höchst respektloses Wort. So spricht man keinen Menschen an, jedenfalls nicht einen Höhergestellten, einen, den man „Meister“ nennt. Der Vorwurf, die Anklage, die Aggression der Jünger ist unüberhörbar.

Und doch ist so ein Wort vielen Menschen „aus dem Herzen“ gesprochen, Menschen, die in ihrem Leben selbst in einen „Sturm“ geraten sind, der sie gefährdet und der das eigene Leben durcheinander bringt. Denn dafür ist ja das Evangelium ein ansprechendes Bild: Die Erfahrung, dass auf einmal nichts mehr so ist, wie es bisher war, die Erfahrung, dass man bedroht, dass der eigene Lebensentwurf durcheinander gebracht, dass selbst die eigene Existenz in Gefahr ist.
Wenn Menschen das erleben und gleichzeitig sehen, wie andere scheinbar unbehelligt leben, wie deren Leben gelingt und sie sich an dem erfreuen können, was man selber schmerzlich vermisst - das kann einem schon an die Nieren gehen.
Das Leben ist ungerecht - so erleben es viele Menschen jedenfalls immer wieder. Das, wofür man sich mit aller Kraft eingesetzt hat, was man selber erreichen wollte und Ziel für das Leben ist - es zerrinnt und ist zerstört - und anderen wird es scheinbar mühelos geschenkt.
Irgendwohin muß man sich doch dann mit der eigenen Klage wenden können. Irgendjemand muss man die eigene Enttäuschung, den Vorwurf sagen können.

Nicht wenige Menschen möchten diese Klage vor Gott bringen, ihn selber anklagen. Und oft genug trauen sie es sich nicht. „So kann man doch nicht mit Gott sprechen!“
Hier im Evangelium handeln, sprechen die Jünger in einer solchen Weise: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?!“

Der, den sie ansprechen wollen, schläft. Steht das nicht oft genug für die Erfahrung, dass Gott selber schläft? Dass er offenbar keinen Anteil nimmt an meinem Schicksal? Dass er mich in meiner Not nicht sieht? Oft genug scheint Gott unbeteiligt an unseren Leiden. „Meister, kümmert es dich nicht, ....?!“ Die Aggression der Jünger ist unüberhörbar.

Es ist gut, dass uns das Evangelium diese Episode erzählt. Es ist gut, dass uns auf diese Weise Mut gemacht wird, uns selber mit unseren eigenen Gefühlen und Erfahrungen ernst zu nehmen und sie ungeschminkt vor Gott zu bringen. Denn auch das ist doch Gebet. Es ist Ausdruck eines Vertrauens, einer Hoffnung, dass ER mich hört. Und in diesem Gebet bringe ich auch meinen Zorn, meine Enttäuschung, meine Angst mit Gott in Verbindung. Das ist das wahre Wesen von Gebet - mich mit meinem ganzen Leben, mit allem, was dazu gehört, vor Gott zu bringen. Dazu gehören eben auch solche Erfahrungen.

Dass dies keine einfache Haltung war, können wir im Evangelium selber sehen. Auch der Evangelist Matthäus erzählt die Geschichte vom Seesturm. Er schreibt etwa 15-20 Jahre später, zu einer Zeit, in der sich die Glaubensreflexion schon vertieft hat und die christologische Erkenntnis, dass in Jesus von Nazareth der Messias Gottes erschienen ist, eine andere Haltung wachsen lässt.
Im Matthäusevangelium treten die Jünger an den schlafenden Jesus heran und rufen: „Herr, rette uns!“. Das ist eine andere Sprache und eine andere Grundmelodie, wie in dem vorwurfsvollen Wort, das Markus überliefert.
„Herr, rette uns!“ Das ist ein ehrfurchtsvolles Gebet, eine demütige, vertrauensvolle Bitte. Da kommen die Jünger und bringen ihre Bitte im Vertrauen vor Gott.

Beides ist möglich -  so sagen uns die Evangelien. Ich kann vor Gott treten mit Angst, Klage, Vorwurf und sogar Zorn im Herzen. Und ich kann vor Gott treten mit der Bitte und im Vertrauen um seine Hilfe.

Entscheidend ist, dass man aus dem Vertrauen lebt, dass Jesus tatsächlich im Boot meines Lebens sitzt. Entscheidend ist, dass ich darauf vertraue, dass er auf der langen Überfahrt, die mein Leben darstellt, dabei ist. Entscheidend ist, dass ich lerne mich ihm anzuvertrauen - mit all dem, was zu meinem Leben gehört.
Dann können wir die Erfahrung machen, die von den Jüngern erzählt wird. Sie merken, dass Jesus tatsächlich Herr auch in den Stürmen unseres Lebens ist und dass sie Halt finden, wenn sie sich ihm anvertrauen. Die Ängste sind dann nicht einfach weg. Das erleben wir auch im weiteren Verlauf des Evangeliums. Die Ängste sind Teil unseres Lebens. Selbst Jesus hat später noch Angst gehabt. Aber der Glaube an Jesus, dass Wissen, dass er im Boot unseres Lebens sitzt, macht uns „angstbereit“. Es ist eine „getroste Angst“, keine „Heidenangst“ mehr, sondern eine, die sich dem Herrn selber anvertrauen kann. Wir brauchen dann nicht mehr „solche“ Angst zu haben, die abgrundtief und „ungehalten“ ist, weil Glaube und Vertrauen stärker sind.

Wohl uns, wenn wir erfahren dürfen, dass wir uns IHM mit unserer Angst anvertrauen dürfen, auch in dem letzten Sturm unseres Lebens, der uns auf den göttlichen Abgrund zutreibt, wenn wir dann endgültig in seine Arme stürzen.

Amen.

Harald Fischer