26. April 2009, 3. Sonntag der Osterzeit
Lk 24, 35 - 48


Liebe Gemeinde!

Ostern gilt es zu be-greifen - nicht nur mit dem Kopf, sondern ganzheitlich, existentiell. Gerade in der Osterzeit ist es gut, dass wir immer neu versuchen, zu verstehen, welche Bedeutung der Osterglaube für unseren Glaubens- und Lebensalltag hat. Ostern, seine Wahrheit, lässt sich nicht durch ein flüchtiges Aufmerken erfassen. Ostern, der Auferstehungsglaube, ist ein Prozess, der immer neu bedacht werden muss und den es gilt, für das eigene Leben aufzunehmen.

Die Osterevangelien der Osterzeit begleiten uns angesichts der Fragen, die uns begegnen können, wenn wir uns der Frage nach Auferstehung stellen.

Am letzten Sonntag ist uns im Johannesevangelium Thomas, der Zweifler, begegnet. Der Evangelist Johannes hat sich in dieser Auferstehungserfahrung mit der Frage beschäftigt, wie man Ostern glauben kann, wenn es doch noch, auch heute noch, auch nach dem Geschehen der Auferweckung Jesu, Leid gibt, wenn die Erfahrung von Wunden und Tod Teil unseres Lebens ist und bleibt. Johannes antwortet mit der Person des Thomas, dass Ostern nicht die Wunden der Welt hinweg nimmt. Indem der Auferstandene Thomas seine eigenen Wunden zeigt und ihn einlädt, sich damit in Berührung zu bringen, macht der Evangelist seine eigene Glaubenserfahrung deutlich: Ostern verklärt die Wunden. Der Glaube an die Auferstehung bedeutet, in den Wunden dieser Welt neues Leben sehen, glauben zu können. Der Tod ist nicht mehr Ausdruck des Scheiterns und der Niederlage, sondern Durchgang zu einer neuen Erfahrung, die Gott schenkt.

Im heutigen Evangelium begegnet uns ein neuer Ansatz und eine andere Auseinandersetzung mit dem Osterglaube. Die Jünger sitzen zusammen - noch unter dem Schock des Karfreitagsgeschehens. Sie versuchen, sich über das, was geschehen ist, klar zu werden. So schmerzhaft es auch ist, sie können den Tod Jesu in die Erfahrungswelt ihres Alltags einordnen. Damals wie heute gab und gibt es ja die Erfahrung, dass Menschen scheitern. Jesus hat ein Leben gelebt, in dem er sich auf die Armen und Benachteiligten der Welt eingelassen hat. Und er ist mit seiner Lebenshaltung und mit seiner Lebensbotschaft nicht angenommen worden. Aber dadurch ist ja nicht seine Botschaft als Ganze unglaubwürdig geworden. Bis heute kann es ein glaubwürdiges Lebensmodell sein, lieber Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun. Auch heute kann es eine Lebensentscheidung prägen, dass Menschen lieber auf der Seite derjenigen stehen, die benachteiligt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, als dass sie auf Kosten der Armen leben wollen. Auch heute noch kann ein solcher Lebensentwurf Menschen eine innere Ausrichtung und einen persönlichen Halt geben.
Aber die Gefahr besteht, dass man in einer solchen Lebenshaltung irgendwann enttäuscht wird und resigniert, weil man eben die Erfahrung macht, dass man keinen Erfolg hat, dass Unrecht stärker bleibt als die eigenen Anstrengungen für Gerechtigkeit. „Undank ist der Welten Lohn!“ Dieses alte Sprichwort bringt zum Ausdruck, was viele erfahren. Angesichts dieser Erfahrung kann man leicht resignieren und in die Enttäuschung rutschen.

In dieser Situation stehen die Jünger am Anfang des heutigen Evangeliums. Sie stehen unter dem Schock des Karfreitagsgeschehens. All ihr Mühen und ihr Tun ist gescheitert und nicht von Erfolg geprägt. Ich möchte diese Haltung den „Karfreitagsglauben“ nennen: Ich kann mich für die Wahrheit und Gerechtigkeit in dieser Welt einsetzen - und daran scheitern.
 
Die Jünger sitzen zusammen und versuchen, sich über das, was sie erlebt haben, klar zu werden. In ihre Resignation hinein erleben sie etwas Neues: dass Menschen kommen und ihnen sagen, dass der „Karfreitagsglaube“, das erlebte Scheitern eben nicht das letzte Wort ist, sondern das ihnen der Gekreuzigte als Auferstandener begegnet ist.

Nicht der Karfreitag - erst dieses Neue bringt ihre bisherige Weltsicht völlig durcheinander. Es setzt ein Prozess ein, eine Auseinandersetzung, in der sie für sich versuchen darüber Klarheit zu gewinnen, wie sie mit dieser Botschaft umgehen. Es ist der Weg vom „Karfreitagsglaube“ zum „Osterglaube“. Hat die Resignation, das offenkundige Scheitern das letzte Wort oder gibt es eine Hoffnung, die nicht von unserem Tun abhängig ist, sondern geschenkt, von Gott geschenkt ist?

Dieser Weg zur Hoffnung ist nicht einfach. Im Evangelium wird ein Ringen sichtbar, eine Auseinandersetzung, eine Überzeugungsarbeit, die der Auferstandene selber leisten muss. In vier Schritten kommen die Jünger zum Glauben. Diese Schritte können uns Modell für unseren eigenen inneren Glaubens- und Lernweg sein. Der Evangelist lässt uns an ihnen Anteil nehmen.

Im ersten Schritt wird sichtbar, dass die Jünger sich zu einer Gemeinschaft versammelt haben. Sie ringen miteinander um eine neue Sicht ihrer alten Erfahrungen. Diesen Schritt haben wir schon mit vollzogen, indem wir uns hier heute Morgen zum Gottesdienst versammelt haben. Wie die Jünger sind wir zu einer Gemeinschaft zusammen gekommen, in der wir versuchen, unseren Lebensalltag gemeinsam zu deuten und zu verstehen.

Im zweiten Schritt lädt Jesus die Jünger ein, ihn zu berühren. Das erleben wir heute nicht so - jedenfalls nicht unmittelbar und leibhaft. Aber es ist auffällig, dass sowohl im Evangelium über Thomas als auch im heutigen Evangelium nicht erzählt wird, dass die Jünger Jesus tatsächlich berührt hätten. Vielleicht war das auch gar nicht so unmittelbar materiell gemeint. Auch wir können Jesus begegnen, ihn berühren. Zunächst im Gebet. Wenn wir uns tatsächlich in die Stille zurückziehen und uns ihm öffnen, mit dem was uns in unserem Leben begegnet, bedrängt, was uns bewegt, können wir die Erfahrung machen, dass Gott uns begegnet, berührt. Vielleicht nicht immer, nicht auf „Knopfdruck“, aber doch auch immer wieder und wahrhaftig. Wir können im Gebet in Berührung mit Christus, mit Gott gelangen. Und wir können ihm begegnen - in den Verwundeten dieser Welt. Immer wieder zeigt der Auferstandene den Jüngern als Zeichen seiner Identität seine Wunden. Achten wir auf die Verwundeten in unserer Gesellschaft, in unserer Umgebung. Gerade in ihnen will uns der Auferstandene nahe sein.

Im dritten Schritt lädt Jesus die Jünger ein zum Mahl. Zum einen ist das ein drastisches Bild dafür, dass die Auferstehung Jesu real ist. Sie ist nicht ausgedachtes und wird erst durch unseren Wunsch, durch unsere Phantasie wirklich. Die Wahrheit Gottes begegnet uns real, lebendig, ganz unmittelbar. Das will der Evangelist in dem Bild vom Mahl sichtbar machen. Und: wir sind heute hier zum Mahl versammelt. Wie die Jünger sind wir von unserem Herrn zum Mahl eingeladen. Vielleicht vergessen wir manchmal in der frommen Routine der sonntäglichen Eucharistiefeier die Würde und die Größe dessen, wozu wir hier zusammen kommen. Der  Auferstandene selber ist es, der uns zum Mahl mit sich einlädt - so wie er damals seine Jünger zu Tisch geladen hat.

Und im vierten Schritt öffnet Jesus den Jüngern die Augen für das Verständnis der Schrift. Es gibt keine Auferstehungserfahrung unabhängig von der Schrift. Sie hilft uns, unser eigenes Leben, unseren Alltag in dem Licht zu sehen und zu verstehen, dass wir darin Gottes Gegenwart, die Wahrheit Jesu Christi selber sehen können. Auf Ignatius von Loyola geht das schöne Wort zurück: "Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit!“. In unserer Realität will sich Gottes Wahrheit, will er selber sich uns zu erkennen geben. Die Heilige Schrift stellt uns die Deutungshilfen zur Verfügung, um das zu erkennen. Auch den Jüngern mussten dafür die Augen geöffnet werden.

Gebet und Nächstenliebe, Eucharistie und das Wort Gottes - das sind die Schritte in der Überzeugungsarbeit, um uns vom Karfreitagsglauben zum Osterglauben, von der Resignation des Karfreitags zur Hoffnung von Ostern zu führen.

Amen.

Harald Fischer