Lk 17, 11 – 19

Dieses Evangelium – es ruft uns, Menschen zu werden, die vom Dank leben. Der Dank an Gott, der uns im Leben alles schenkt. Nicht nur Gesundheit – die haben wir ja auch nur zeitweise, nicht nur Glück, nicht nur Zufriedenheit, nicht nur das Leben – all das bleibt nicht. Das Evangelium ruft uns, alles, unser ganzes Leben und sogar einmal unser Sterben und unseren Tod als Gabe Gottes zu verstehen. Alles.

10 Aussätzige in Israel wurden geheilt. Eine symbolische Zahl. 10 Aussätzige, d.h. alles ist zunächst aussätzig. Nichts ist aus sich heraus heil. 10 Aussätzige wurden heil auf das Wort Jesu hin. D.h.: alles, was mit Gott in Verbindung gebracht wird, von Gott her gesehen werden kann, das alles ist heil.

Aber nur einer der 10 ehemals Kranken erkennt das.

Vielleicht erkennen wir uns darin wieder. Nur 10 Prozent von uns versteht sich aus dem Dank aus der Gabe Gottes. 90 Prozent bringen wir nicht mit Gott in Berührung. Zum größten Teil verstehen wir uns aus uns selbst heraus.

Das Evangelium lädt uns ein, dass wir uns ganz öffnen. Ganz Gott hinhalten. Uns ganz aus dem Dank auf hin hin verstehen.

Die größte Danksagung begehen wir jetzt. Gerade in diesem Augenblick, im Gottesdienst. In der Eucharistiefeier. Eucharistie heißt Danksagung.

Wir sagen Dank als ganze Menschen. Jetzt.

Ich möchte mit Ihnen heute auf diese Einübung schauen, die wir Woche für Woche feiern: Gottesdienst, Eucharistie. Die Feier, die uns verändern will.

Sonntag.
Glocken rufen zum Kirchgang.  Menschen verlassen ihre Häuser und Wohnungen und betreten das eine gemeinsame Haus – die Kirche. Dort reihen sie sich in die Bänke – die einen auf feste Plätze, die anderen da, wo es Platz gibt. Viele kennen sich, ein Teil ist einander fremd. Was ist daran besonders?

Alles, denn die Menschen, die zur Eucharistiefeier kommen, kommen aus ihren privaten Verhältnissen, aus ihrer individuellen Arbeits- und Sorgenwelt. Sie kommen aus ihrer Woche, beladen mit Erlebtem und mit Phantasien für die heraufziehende.
Sie kommen mit ihren Sehnsüchten und kommen auch mit ihrer Schuld. Sie kommen mit ihrem Glauben, dass dieser Gottesdienst für sie wichtig ist.

So stehen die vielen Menschen mit den unterschiedlichsten Motivationen nebeneinander, zunächst als Einzelne versammelt vor dem gemeinsamen Gott.

Sich auf solche Weise zu sammeln, Sonntag für Sonntag, ist wesentlicher als es äußerlich erscheint: Es ist Bekenntnis, dass wir nur im Gemeinsamen richtig werden. Es ist Bekenntnis, einander zu brauchen, Gott zu brauchen.

Ist die Versammlung zu Stande gekommen – so gewöhnlich, so unbewusst, wie es meistens geschieht, aber doch von solcher Bedeutung, dann beginnt der Gottesdienst.

In festgelegter Formelhaftigkeit wird begrüßt – wie ein Gruß immer eine Formel ist und gleichwohl doch ganz persönlich sein kann.

Immer wieder wird im liturgischen Ablauf dann gemeinsam gesungen. Wenn es gelingt, entsteht sogar gemeinsames Schwingen.

Sodann werden Texte vorgelesen: Lesung, Evangelium, Originalton. Paulus ist zu hören, die Propheten, die Urgemeinde. Jesus ist zu hören, so wie ihn die Evangelisten aufgeschrieben haben.

In was für einen alten, uralten Strom stellen sich die Gläubigen! Längst ist die Sprache, die zu hören ist, nicht mehr unsere Sprache. Da ist die Rede von Aussätzigen, vom Schäfer, vom Hirten, vom Licht unter dem Scheffel, von der Drachme …

Trotzdem werden die Worte verstanden. Es sind tragende Worte für Tage und Wochen. Es läßt sich mit ihnen sogar das eigene Leben deuten. Sehnsüchte und Hoffnungen werden wach. Es sind Worte, die einen Raum bilden, ein Haus zum Leben, eine Herberge zum Wohnen.

Daran schließt sich die Predigt. Recht und schlecht, wie Predigten meistens sind. Was gesagt wird, ist nicht das Entscheidende. Was gelebt wird, was wir einander vorleben, das ist die Predigt.

Wenn dann das Glaubensbekenntnis von der ganzen Gemeinde laut gesprochen wird, hat das nicht den Sinn erneuter Indoktrination. Vielmehr ist es Aufzählung von Sternstunden der Vergangenheit und Utopie für die Zukunft. Es sind in Formeln geronnene Glaubenssätze. Meistens werden diese Worte zu schnell gesprochen, das eigentlich gemeinte kann nicht lebendig werden. Als privates Gebet einmal „in Zeitlupe“ meditiert: Kraft und Trost, Licht und Belebung könnte aus ihnen hervortreten. Es sind Sätze, die in Andeutungen sprechen. Der eigentliche und größere Teil des verborgenen Gottes ist in ihnen verhüllt und muß persönlich gesucht, gefunden werden.

In den anschließenden Fürbitten stellen wir uns vor Gott mit unserem Alltagsleben. „Bittet und ihr werdet empfangen“.
Wirkliches Bitten ist allerdings mehr, als aus dem Buch Vorgelesenes halbherzig mit litaneiartiger Antwort zu bestätigen. Wirklich bitten heißt: voll mit Gott rechnen. Wer tut das schon? Wenn man es tut, läuft man Gefahr, dass Gott real wird. An meiner Präsenz oder Abwesenheit im Bittgebet lässt sich unschwer ablesen, wer Gott für mich ist.

Fürbitten gehen aber auch nicht ohne engagierte Liebe zu den Menschen. Ich halte mich als den anderen hin, für den ich eintrete.  Mit den Fürbitten holen wir die Welt „da draußen“ in diese Feier. Wir stellen uns ihr und verwandeln sie.

Das ist der erste Teil der Übung, verwandelte Menschen, dankende Menschen zu werden. Er ereignet sich am Tisch des Wortes, am Ambo.

Der zweite Teil führt uns zum Tisch des Brotes und Weines. Die Verwandlung beginnt mit der Gabenbereitung. Brot und Wein werden von den Meßdienern nach vorn getragen. Die Gaben sind Zeichen für uns selber. Wir werden nach vorn zum Altar gebracht mit der Bitte um Wandlung.

Früher nannte man diesen Teil „Opferung“.

Und tatsächlich: In jeder Speise und jedem Trank opfert sich Leben. Wir leben nie wirklich aus eigener Kraft. Nie leben wir unverschuldet.

Irgendwann einmal trifft für jedes Leben die Herausforderung zu, dass von einem selbst ein Opfer gefordert wird. Das sind meistens keine großen Schritte, keine großen Dinge. Täglich halten wir hartnäckig an unserem Vorbehalt fest. Letztlich will gerade der geopfert, losgelassen sein: eine morgendliche Traurigkeit, eine festgehaltene Abneigung, eine berechtigte Resignation, die Erinnerung an ein kränkendes Wort. Wenn nicht alles gebracht ist, ist nichts gebracht. Verwandlung will alles einbeziehen.

Wie grenzenlos die Gemeinschaft alles Lebendigen aufgerufen ist, künden der Lobpreis und das Heiliglied. Himmel und Erde, Engel und Menschen singen  es – und die ganze Versammlung stimmt mit ein.

Die sich anschließende Wandlung bedeutet, dass wir für alles, für die ganze Welt Verwandlung erbitten.

Den Tod Jesu verkünden und seine Auferstehung preisen bedeutet doch, dass ich nichts für verloren erkläre, weil ich alles aus der Auferstehung Jesu Christi anschaue – mich und die Welt.

Jede Feier der Wandlung führt mich in die Wandlung – obgleich ich so weit zurückbleibe oder mich gar verweigere. Und trotzdem – auch wenn ich mich verweigere - hat es einen Sinn dabei zu sein. Ich traue Gott zu, dass er sogar mir zum Trotz mich liebend verwandelt, mich erweicht. Immer sind wir ja auch Judas, der beim Abendmahl dabei war, oder Petrus, der nach diesem Mahl auch zum Judas wurde.

Für alle, mit allen geht es in der Liturgie weiter. Auch die belastete Kirchengeschichte klingt an, wenn die Namen von Papst und Bischof genannt werden. Und auch ich, der anderen eine Last ist, bin dabei, Lebende, Verstorbene, Nahe und Ferne, alle haben Zutritt.

Dann kann wirklich gebetet werden, wie Jesus es uns lehrte: „Vaterunser“. Der darauf folgende Friedensgruß macht sichtbar,  was im Gebet schon gesagt wurde.

Und wir preisen das Lamm Gottes, das„alle Sünden der Welt“ wegnahm. Es ist kaum zu glauben und vielleicht möchte ich es   gar nicht, dass jemandes Sünden getilgt sei (sie ist es aber!).
Und so haben wir „Frieden mit Gott in Jesus Christus“.

Schließlich empfangen wir ihn wie tägliches Brot. „Hat er uns aber den Sohn gegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Ist das nicht alles zu groß, um in solcher Gewöhnlichkeit ausgehalten zu werden?

Die Feier, wie rituell und gewöhnlich sie auch sein mag, ist unumgänglich, sie ist Jesu Testament, seine letztgültige Verfügung und Gabe. Sie ist der Einübungsweg in unserer Bestimmung als Christen. Einübung, das Handeln Gottes an uns zu verstehen und aus der Dankbarkeit darüber zu leben.

Übung aber bedeutet: immer und immer wieder.

Zum guten Schluss heißt es: „Gehet hin in Frieden!“

Geht, ihr seid gesandt. Aus der Messe, die war, soll Messakt dort werden, wo wir hergekommen sind. Gottes Werk, das wir gefeiert haben, will jetzt dort an uns geschehen, uns formen, uns der Gestalt eines Christus ähnlicher machen.

Harald Fischer
nach  Anregungen von P. Meinrad Dufner OSB