26. Dezember 2008, Fest des Hl. Stephanus


Liebe Gemeinde!
 
Was ist an diesem Kind in der Krippe eigentlich so gefährlich, dass seine Anhänger schon so schnell verfolgt und dem Tod überliefert wurden?
 
Es ist der Kirche so wichtig, uns vor einer falschen weihnachtlichen Rührseligkeit zu bewahren, dass sie uns durch die Lesungen des heutigen 2. Festtages sehr schnell vor Augen stellt: Diese Geburt, die wir gestern mit aller Kraft und Feierlichkeit geehrt haben, hat Konsequenzen.
 
Die Liturgie sagt uns: Macht euch nichts vor! Ja, es ist ein Trost für die Welt, was die Engel auf freiem Feld den Hirten und allen Menschen guten Willens zugesungen haben: „Euch ist heute der Heiland geboren. Christus ist’s, der Herr!“ Das ist ein Trost, an den wir uns halten können.
 
Aber das ist keine einschläfernde Vertröstung, sondern ein aufrüttelnder Trost, eine Herausforderung.
 
Was ist es, das uns in diesem Kind begegnet - auch wenn es noch nicht entwickelt, noch nicht sichtbar und greifbar ist, aber als Keim doch schon da ist?
 
Wenn es eine unverfälschte Botschaft gibt, die Kinder in der Welt sichtbar machen, dann ist es die Haltung des Vertrauens. Ein Kind kann sich nicht vorstellen, dass es jemand nicht gut mit ihm meint. Es kann sich nicht vorstellen, dass jemand nicht wirklich gut ist - bis es in die Wirklichkeit des Lebens eingeführt wird, „erwachsen“ wird und die Enttäuschungen erlebt, die aus der Angst der Menschen immer neu geboren werden.
 
Jesus ist Kind geblieben. In diesem Sinn ist Jesus Kind geblieben. Deswegen nennen wir ihn „Gottes Sohn“. Immer hat er aus dem Vertrauen auf den Menschen gelebt - ohne Rücksicht auf Konventionen, Traditionen, Vorurteile. Er hat dieses Vertrauen gelebt, auch dort, wo er sich eigentlich hätte zurückziehen müssen, wo er hätte verurteilen, ablehnen, strafen müssen. Er hat ein göttliches Vertrauen gelebt, das seine Kraft aus der Liebe zum Vater gewonnen hat. Er war in seinem Vertrauen unabhängig von der Antwort der Menschen und von den Enttäuschungen, die auch er erleben musste.
 
Mit seinem Vertrauen in den Menschen hat er ihnen geholfen, ihre eigene Lebensmelodie zu finden, ihre eigene Wahrheit zu suchen, gegen alle Verbiegungen, die sie in sich gespürt haben, die ihnen zugefügt worden sind.
 
In der Tat: Eine solche Haltung des bedingungslosen Vertrauens kann gefährlich werden. Es kann gefährlich sein, Vertrauen in den Menschen zu haben, ihn nicht zu verurteilen, ihn nicht dahin biegen zu wollen, wie es vielleicht sein sollte, sondern nur gut zu sein, gut sein und darauf vertrauen, dass das Wahre sich zeigen wird. Der Mensch war Jesus allemal wichtiger als die Tradition und vorgegebene Erwartungen.
 
Es kann gefährlich sein, ein solches Vertrauen zu leben. Nicht nur, weil es von denen enttäuscht werden kann, die damit beschenkt werden. Eine solche Lebensweise kommt in Konflikte mit den Menschen, mit den Institutionen, die die Regeln fest vorschreiben und die sich bedroht fühlen, wenn der Mensch über die Regeln gesetzt wird.
 
In der Lesung haben wir von den beginnenden Auseinandersetzung der jungen Kirche mit dem damaligen etablierten Judentum gehört. Stephanus verweigert sich den alten Traditionen und Regeln. Er lebt aus der Freiheit, die er von Jesus und aus dessen Lehre gelernt hat. Deshalb muß er sterben, eigentlich sinnlos, aber als Zeuge, als Märtyrer für die Freiheit, die in Jesus sichtbar geworden ist.
 
Was wir hier feiern ist keine Erinnerung an vergangene Zeiten. Vorgestern konnte man folgende Nachricht lesen:
 
Von einem friedvollen Weihnachtsfest können viele Christen nur träumen. In zahlreichen Ländern dieser Welt müssen sie Diskriminierungen erdulden, um ihren Besitz oder oft sogar um ihr Leben fürchten. Nach einem aktuellen Bericht des katholischen Hilfswerkes „Kirche in Not“ sind rund 80 Prozent aller Menschen, die wegen ihrer Religion verfolgt werden, Christen. Das heißt: 200 Millionen der 2,2 Milliarden Christen werden unterdrückt. Damit sind Christen die meistverfolgte Religionsgemeinschaft der Welt...
 
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, fordert großzügige Aufnahmeregelungen für Flüchtlinge aus dem Irak. Er begrüßte die Entscheidung der EU-Innenminister zur Aufnahme von 10.000 irakischen Flüchtlingen - vornehmlich Christen. „Die Christen im Westen glauben nicht mehr an die Hölle“, sagte Weihbischof Schlemon Warduni aus Bagdad in einer Mittelung von „Kirche in Not“: „Sie sollten einmal hierher kommen - dann würden sie ihre Meinung schnell ändern“.
 
Die Menschenrechtsorganisation „Open Doors“ hat einen „Weltverfolgungsindex“ erstellt: Ganz oben rangiert das kommunistische Nordkorea. Unter den ersten zehn befinden sich mehrere islamische Länder: Saudi-Arabien, Iran, Jemen, Afghanistan. Auch die Lage der Christen in China ist bedenklich.
 
In einigen islamischen Ländern zeigt sich eine zunehmende Welle des Extremismus, sodass dort oft das Überleben der Kirche auf dem Spiel steht. (merkur online/ap/pm).
 
Viele Menschen erleiden für ihren Glauben harte Nachteile. Es ist gut, wenn wir uns das in unserem oft so behaglichen Leben wieder deutlicher bewußt machen. Vielleicht hilft uns dieses Wissen auch, in unserem Lebensumfeld selbstbewußter und klarer für den Glauben einzustehen - auch wenn wir - Gott sei Dank - weit entfernt sind, von solchen Formen der Diskriminierung oder gar Verfolgung. Aber es erfordert auch schon Mut, den Mund aufzumachen, wenn der Glaube, wenn Gott, wenn seine Kirche nur lächerlich gemacht werden. Solche Erfahrungen werden die meisten von uns auch kennen.
 
Stephanus - der Zeuge des neugeborenen Kindes - erinnert uns.
 
Amen
 
Harald Fischer