21. 12. 2008, 4. Adventssonntag
Lk 1, 26 - 38
 
 
Liebe Gemeinde!
 
Wenige Geschichten haben die christliche Ikonographie so geprägt, wie diese wunderbare Erzählung der Verheißung der Geburt Jesu. Unzählige Male haben Künstler aller Zeiten versucht, das, was in diesem Evangelium zum Ausdruck gebracht wird, auf ihre Weise wieder zu geben. Viele ganz verschiedene Glaubenszeugnisse und Glaubensbekenntnisse sind auf diese Weise entstanden und haben uns - manchmal unmerklich - geprägt.
 
Gleichzeitig steht dieses Evangelium aber auch als Symbol für viele Fragen, die es Menschen heute schwer machen, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen.
 
Zu sehr scheint die Geschichte von einer anderen Welt zu sein - zu sehr klingt märchenhaftes, mythologisches daraus hervor, als dass man sich diese Geschichte zu eigen machen könnte und ihre Bedeutung auf das eigene Leben hin erkennen könnte.
 
„Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1, 35).
 
Was soll man mit solchen Worten in einer Welt anfangen, die oft genug von Existenzangst oder Langeweile, von Finanzkrise oder Leistungsdruck, von Beziehungsproblemen oder familiären Streitigkeiten geprägt ist!?
 
„Wie soll das geschehen?“ So fragt Maria und bringt damit zum Ausdruck, dass der so verkündete Glaube auch ihr selber nicht selbstverständlich ist.
 
„Wie soll das geschehen?“
 
Wunderbar, wenn Menschen heute so fragen; wenn sie wenigstens fragen und wirklich eine Sehnsucht nach Antwort haben.
 
Es gibt Fragen auf sehr verschiedenen Ebenen. Zunächst kann ich einfache Verständnisfragen stellen, die eine Erläuterung und Erklärung erwarten. Solche Fragen gibt es auch ganz zu Recht im Glauben. Menschen fragen heute: „Was meint ihr Christen eigentlich, wenn ihr das Wort ‚Gott‘ gebraucht oder wenn ihr von ‚Jesus, dem Christus‘ sprecht?“ Es gibt Fragen, auf die man eine Sachantwort, eine Erläuterung erwarten kann.
 
Aber es gibt auch tiefere, existentielle Fragen, die nicht einfach mit einer Erklärung zu befriedigen sind. Im heutigen Evangelium geht es um Fragen dieser tieferen Ebene: „Gott, wie kannst du in meine Welt einbrechen? Wie kannst du Raum in meinem Leben finden, in dem doch alles seinen festen Platz hat, wo alles einigermaßen geregelt, begrenzt, überschaubar ist und geplant abläuft - wenigstens geplant ablaufen soll!“
 
Wie kann Gott Raum im Leben, in seiner Welt gewinnen?
 
Das ist eine Frage, die das ganze Evangelium durchzieht. Sie ist nicht mit einer einfachen Information zu beantworten. Es ist eine Lebensfrage, die den Menschen begleitet und herausfordert.  Immer wieder geht es darum, genau diese Frage offen zu halten, sie neu zu stellen und mit ihr zu leben.
 
Die Bibel ist voller Erzählungen vieler Menschen, deren Suche nach Gott und deren Erfahrungen mit dieser Suche berichtet werden. Immer wieder erzählen diese Menschen: „Ja! Es ist tatsächlich wahr, Gott kommt in diese Welt. Überraschend, unverhofft, unerwartet.“
 
Maria hat diese Erfahrung gemacht und viele vor ihr und nach ihr.
 
Von dieser Erfahrung ist heute die Rede. Wieder einmal.
 
Aber wie kann man von ihr sprechen? Wie ist es möglich, von der Erfahrung der Gegenwart Gottes, von diesem „ganz anderen“,  zu erzählen?
 
Von Gott muss man anders reden, als wenn ich nur äußere Nachrichten vermitteln will. Es geht um eine tiefere, umfassendere Wahrheit. Von Gott kann ich nicht zupackend reden und ihn „erläutern“ als wüsste ich Bescheid. Von Gott können wir nur „hinweisend“ nur in Bildern sprechen. Ein solches Bild, ein Glaubensbild ist uns im heutigen Evangelium „gemalt“ - mit den Worten des Evangelisten Lukas und später haben es Künstler ganz zutreffend mit Farben gemalt. Immer wieder haben sie versucht, in Bildern die Wahrheit auszudrücken, die Lukas so beschrieben hat: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten!“ oder anders ausgedrückt: „Gott wird in deinem Leben erfahrbar!“
 
Das ist eine andere Nachricht, eine andere Art von Wahrheit, als die, die uns abends in der Tagesschau übermittelt werden.
 
Die zutreffende Rede von der „Jungfrauengeburt“ ist keine platte, eindimensionale Information über biologische Vorgänge bei Maria. Sie ist ein Glaubensbild, das vom Handeln Gottes an Maria, das vom Handeln Gottes in dieser Welt redet.
 
Der frühere Bischof von Limburg, Bischof Kamphaus hat diese Wahrheit einmal wunderschön so zusammengefasst: „Gott kommt zu uns und nicht von uns!“
 
In der Tat: Was uns in Jesus begegnet, ist nicht die Frucht einer besonders gelungenen Erziehung, die Jesus im Hause von Maria und Joseph erfahren hätte. Seine Botschaft, sein Wort, ja er selber ist unverfügte Gabe Gottes. Er ist ganz und gar Gottes Geschenk an diese Welt. Sein Wort, er selber sind nicht ableitbar aus irdischen Zusammenhängen. Er ist Gabe Gottes und nur von Gott selber her zu verstehen.
 
„Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten!“ In diesem Wort wird Maria - und uns - zugesagt, dass Gott in dieser Welt, in unserem Leben gegenwärtig sein will, wahr werden will, dass er selber in uns Mensch werden will - und durch uns für die ganze Welt.
 
Amen
 
Harald Fischer