Lk 23,35b - 43

Friede sei mit euch und Gnade von dem der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Das erste, was auffiel, war der laute Lärm der Hubschrauber in der Luft.

„Mann, die gehen mir aber auf die Nerven, was fliegen die denn da die ganze Zeit so aufgeregt rum! Wusste gar nicht, dass es in der Berliner Luft so viele Hubschrauber gibt – und warum fahren hier eigentlich nur noch so wenig Autos? Hey Sie da, was ist hier eigentlich los?“

„Na, wissen Sie es noch nicht, haben Sie es noch nicht gehört? Sind Sie der einzige Mensch in der Stadt, der keine Ahnung hat? Erst war es ein Gerücht, so ein leises Wispern in der U-Bahn, von Bahnsteig zu Bahnsteig, doch dann wurde das Raunen immer lauter, verteilte sich über die ganze Stadt und jetzt sperrt die Polizei komplett den ganzen Verkehr. Schließlich braucht er ja Platz, wenn er kommt und man weiß ja nicht genau, wo er denn eigentlich hereinkommt, wenn er kommt! Und er soll ja nicht im Stau stehen!“

„Wenn wer kommt?“

„Na, Jesus!“

„Wer? Jesus? Was?“

„Jesus! Jesus kommt heute nach Berlin. Der Bundespräsident ist auch schon zurückgekommen und die Kanzlerin und der Regierende Bürgermeister ist auch schon im Roten Rathaus!“

„Und die vielen Menschen hier?“

„Na, die laufen alle zum Brandenburger Tor und zur Siegessäule. Unter den Linden ist auch schon voll. Erst haben viele gedacht, dass sie dieser Jesus gar nicht so interessiert. Ich sag’ Ihnen, die meisten wussten gar nicht, wer er überhaupt ist. Aber jetzt ist es anders, so eine Art Neugier hat irgendwie die Menschen erfasst, so ’nen Gottessohn oder so ähnlich, ist doch irgendwie interessant. Die Presse ist auch schon da: ARD, ZDF, Phoenix überträgt live, die Magazine von Sat 1 und Pro Sieben, die Klatschpresse, Bunte, Bild, BZ und alle, alle wollen dabei sein. Kommt ja immerhin nicht alle Tage vor, dass Jesus kommt. Der Nahverkehr fährt auch schon nicht mehr. Zu viele Menschen. Für die Kinder ist auch schon schulfrei gegeben worden, vorsichtshalber, für morgen.“ „Äh, danke, junger Mann…“

 

[kurze Pause]

 

„Also, ich weiß ja auch nicht, welche Fahnen wir da nun draußen flaggen sollen!“

„Jetzt seien Sie doch nicht so aufgeregt. Wir machen das einfach nach dem Protokoll, das immer gilt: roter Teppich, Blaskapelle, militärische Ehren, nette Begrüßungsrede, wie toll und schön es in unserem Land ist, Staatsbankett mit tausend Leuten in Bellevue. So wie bei Präsidenten, Königinnen, noch ein paar Kinder mit Fähnchen in der Hand, zum Jubeln. Wie immer!“

„Aber genau das ist es ja. Das ist ja gar nicht einfach so wie immer: Erst wollte der Bundespräsident die Deutschlandfahne und nun doch nicht. Dann sagen die in der Kanzlei, da soll irgendwas mit Kreuzen her, dann fällt irgendjemanden ein, dass mit den Kreuzen käme irgendwie nicht so gut an, jedenfalls soll’s das letzte Mal als Jesus in eine Stadt einzog, mit Kreuzen Probleme gegeben haben. Jetzt also was mit Fischen und Ankern. Und dann diese militärischen Ehren, irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob das passt. Roter Teppich, Hymne, Soldatenabschreiten, Fahne grüßen. Und er ist ja auch kein Staatsgast, oder doch? Das ist mir hier einfach alles zu stressig. Und dann noch die Frage des Redenschreibers, wie man ihn denn nun offiziell anspricht, diesen Jesus. Früher meinten die Leute, er sei ein König, aber was soll das denn heißen, ich meine, was für ein Land vertritt er denn? Was für ein Reich hat er denn? Ich meine, was ist das denn für einer? Oder ist er vielleicht gewählt worden? Ist er denn ein Präsident? Also, wie spricht man ihn an? Sehr geehrter Herr Jesus? Und dann noch, wie sieht er eigentlich aus? Welche Sprache spricht er eigentlich? Brauchen wir vielleicht jemanden, der übersetzt?“

„Na dann, wenn Sie Probleme mit dem Protokoll haben, dann rufen Sie doch mal beim Bischof an. Die kennen sich da doch irgendwie mit diesem Jesus aus!“

„Lieber Kollege, habe ich ja schon versucht, aber Sie glauben gar nicht, wie viele Leute da gerade anrufen. Ständig landet man in Warteschleifen, der nette junge Mann im Infotelefon, mit dem ich nun schon bestimmt dreißig mal geredet habe, meinte, da riefen lauter Menschen an, die Jesus sehen wollen und wissen wollen, wo er denn nun in der Stadt sei, wo man ihn finden könnte. Und es rufen lauter Leute, die Angst haben und ihn nicht sehen wollen. Und dann gibt es lauter Leute, die anrufen, die weil sie irgendwas getan haben, von dem sie ausgehen, dass Jesus es nicht mag und das nun irgendwie wieder gut werden soll, bevor Jesus zu ihnen kommt. Und dann hat er noch gesagt, Jesus ließe sich auch gern mit „Bruder“ anreden…ha, Scherzkeks!“

 

[kurze Pause]

 

„Ach hallo, Du hier? Wir haben uns ja schon seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, Schwesterherz. Was machst du denn hier an Mamas Grab auf dem Friedhof?“

„Na, heute morgen, da habe ich in der U-Bahn gehört, dass Jesus in die Stadt kommen würde und weißt du, da habe ich gedacht, dass dann ja vielleicht die Toten auferstehen, und, und da habe ich so gedacht, ich komme hierher ans Grab von Mama, vielleicht sehe ich sie ja wieder, aber ich scheine ja nicht die einzige mit dieser Idee zu sein, schau dich doch mal um, überall stehen ja schon ganz viel Leute hier auf dem Friedhof und es werden auch immer mehr.“

„Weißt Du, wo ich dich hier jetzt sehe, wir haben uns schon ganz schön lang zerstritten. Seit Mama tot ist. Kannst du dich noch erinnern, wie sie immer versucht hat, zwischen uns Frieden zu stiften, wenn wir uns nicht vertragen haben. Und hinter her gab’s immer Eis für uns. Wenn ich mich so an sie erinnere, Sie mochte das gar nicht, wenn Menschen böse zu einander waren. Wie schön es ist, hier nicht allein an sie zu denken. Komm, wir müssen doch eh noch eine Weile warten, jedenfalls haben sie im Radio gesagt, von Jesus sei zur Zeit weit und breit nichts zu sehen. Wollen wir das jetzt nicht mal endlich zwischen uns klären? Mama zuliebe?“

 

[kurze Pause]

 

„Guten Tag, ähm, entschuldigen Sie bitte, ich mag Sie nicht stören, aber, kann ich mich eine Weile zu ihnen setzen? Sie sehen so einsam aus, hier in ihrem Bett, mit all den Schläuchen und so. Sie werden das vielleicht komisch finden, dass sich so ein Fremder hier einfach so hinsetzt. So ganz wohl fühle ich mich auch nicht, aber wissen Sie, es ist nämlich so: Seit heute morgen wird erzählt, dass Jesus in die Stadt käme und eben, da war ich noch an der Siegessäule. Und plötzlich fragte ich mich, ob das wirklich der Ort wäre, wo Jesus sich aufhalten würde, wenn er in die Stadt kommt. Schließlich hat er sich ja immer an die Einsamen und Verlassenen gewandt und an die, die Hilfe brauchen. Und da dachte ich, vielleicht geht der ja dann hier auch gar nicht ins Regierungsviertel zu den Mächtigen, sondern zu den Menschen, um die sich sonst keiner kümmert. So Menschen wir Ihnen, hier im Krankenhaus. Ich weiß, dass ist ein bisschen komisch von mir, dass ich jetzt hier bei ihnen bin, um auf Jesus zu warten. Aber wenn sie mögen, dann können wir uns ja ein bisschen kennen lernen und uns die Zeit des Wartens schön machen miteinander, oder? Sie sehen so aus, als bräuchten sie jemanden…“

 

[kurze Pause]

 

„Ähm, entschuldigen Sie, aber ich bin heute den ganzen Tag schon herumgelaufen, wegen diesem Jesus, Sie wissen schon. Und jetzt bricht der Abend an und ich habe so furchtbar Hunger und Durst…das sieht hier ja ganz schön gemütlich aus; ist schon toll, wenn keine Autos fahren und man Tische und Stühle so einfach mitten auf die Straßen stellen kann. Ob ich vielleicht was mitessen könnte?“

„Klar doch, setz Dich, wir holen noch ein paar Stühle und ’nen Tisch aus der Wohnung und was zu essen haben wir auch noch. Mittlerweile sind wir hier ja auch schon ganz schön viele an den Tischen. Alle Leute sind ganz schön fertig vom Warten auf diesen Jesus. Guck mal da drüben, da haben unsere türkischen Nachbarn mit dem Grillen angefangen und jeder kann sich da was holen. Eigentlich hat jeder seinen Kühlschrank und seine Vorräte hierher geräumt, die meisten Leute, die hier sitzen, kenne ich gar nicht so richtig. Einige sind Nachbarn, aber so richtig gesprochen habe ich noch nie mit ihnen. Und nun sitzen wir hier zusammen und feiern, schön, was? Meine Schwester hat mich angerufen und mir erzählt, dass es bei ihr im Kiez und auch in vielen anderen Kiezen genauso aussähe. Selbst am Ku’damm und Unter den Linden sitzen die Leute und essen und trinken miteinander. Die Straßenmusiker spielen. Haste so was Verrücktes schon mal erlebt?“

 

[Kleine Pause]

 

Die Nacht bricht herein, ein laues Lüftchen weht. Langsam wird es still in der Stadt. Manchmal steigen noch ein paar Feuerwerksraketen in die Luft. Hier und da erklingt noch ein Lachen. Manch einer der vielen Menschen, die den Tag über unterwegs waren, lässt sich erschöpft irgendwo in einem Park einfach ins Gras fallen. Manch altem Menschen schiebt ein lieber Helfer beglückt seine Jacke als Kissen unter den Kopf. Nur in den Redaktionsräumen des Tagesspiegels ist noch das Licht an. Ratlos stecken die Redakteure ihre Köpfe zusammen. Gebannt schauen sie auf den hohen Stapel mit all den Meldungen des Tages. Wunderbare Stimmung - Heute keine Kriminalität in der Stadt! Menschen besuchen Gefängnisse und feiern mit den Insassen! Heute viele Helfer in den Suppenküchen. Charite meldet Besucherrekord. Anwohner helfen Junkies am Kottbusser Tor. Kirchen erleben ungewöhnlichen Ansturm. Erwarteter Staatsgast fiel aus, Bundespräsident feiert stattdessen mit Hartz 4-Empfängern rauschendes Fest in Bellevue. Obdachlose im Park nicht allein. Menschen dachten, Jesus kommt. Niemand kann sagen, ob er da war. Polizei kann sein Erscheinen nicht bestätigen. Und doch, am nächsten Tag, da waren sich die Zeitungen in ihrem Titel einig: Nur drei Worte waren da zu lesen auf der ersten Seite: „Hosianna. Berlin. Hosianna!“

 

Amen

 

Predigt von: Vikarin Anja Siebert (ev.)

05.04.2009 an Palmsonntag in der Ev. Matthäuskirche Berlin-Steglitz , Predigtpreis 2010 für die beste Predigt