25. Mai 2008, 8. Sonntag im Jahreskreis
Mt 6, 24 - 34
Liebe Schwestern und Brüder!
Wunderbare Worte haben wir eben gehört: „Seht euch die Vögel des Himmels an, sie säen nicht, sie ernten nicht. Euer himmlischer Vater ernährt sie!“ Oder: „Die Blumen des Feldes - herrlicher sind sie gekleidet als Salomon in all seiner Pracht! Seid ihr nicht mehr wert, als jede von ihnen!“
Jesus konnte reden. Er konnte kraftvolle Bilder schaffen und mit seinen Worten die Menschen in Bann ziehen. Worte voller poetischer Kraft, die geeignet sind, den Alltag zu verwandeln und Menschen über sich selbst hinaus zu heben.
Aber sind diese Worte auch alltagstauglich? Sorgt euch nicht!?
Wie soll das möglich sein, wo die Sorge doch unseren Alltag bestimmt - in der Regel von Anfang bis zum Ende. Vielleicht ist die Haltung der Sorge die größte Last, die viele Menschen ertragen müssen. Man muss doch auch beizeiten anfangen, sich zu sorgen. Z.B. muss man sich fragen, in welchen Kindergarten ein Kind gehen soll. Welches Konzept, welche Einrichtung, welcher Weg? Am besten überlegt man sich das schon vor der Geburt. Und auf jeden Fall muss man Altersvorsorge betreiben - und zwar gründlich und rechtzeitig. Wer sich nicht mit der „Riester - Rente“ oder ähnlichem befasst, muss sich nicht wundern, wenn er im Alter mittellos da steht und auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Und: Soll man sich etwa nicht um Frieden sorgen, oder um Gerechtigkeit, die Umwelt? Wer sorglos baut, muss am Ende Katastrophen mit verantworten wie wir sie jetzt in China oder Burma erleben mussten, wo Tausende von Menschen allein deshalb umgekommen sind, weil aus Sorglosigkeit die Bauvorschriften nicht eingehalten wurden und die Häuser deshalb leicht den Naturgewalten zum Opfer fallen konnten.
Sorgt euch nicht!?
Liebe Gemeinde, Jesus war kein utopischer Spinner, der einem verantwortungslosen Leben das Wort reden wollte. Man kann sich nicht mit Verweis auf ihn vor der Sorgfalt und der Verantwortung den eigenen Aufgaben gegenüber drücken. Jesus ging es nicht um ein träumerisches, oberflächliches Leben.
Aber es ging ihm um das Leben. Wieviel Leben bleibt nicht gerade deshalb ungelebt, weil unendlich viele Menschen im Blick auf das, was Morgen oder Übermorgen kommen könnte, das Leben im Hier und Jetzt mit seinen Freuden und Herausforderungen verpassen. Im letzten Satz des Evangeliums heißt es ja ausdrücklich: Jeder Tag hat genug eigene Plage. Die gilt es wohl wahrzunehmen und sich ihr zu stellen. Aber über dieser Aufgabe darf man nicht das Leben insgesamt verpassen!
Heute leben, das Leben mit seinen Themen, die jetzt da sind wahrnehmen, das bedeutet leben.
Jetzt leben! Ganz konkret heißt das: Gott jetzt loben und preisen. In diesem Moment, in dem ich mich mit so viel anderen Menschen versammelt habe, um Gott, den Schöpfer von Himmel und Erde die Ehre zu geben. Jetzt Gott loben und preisen - und mich nicht von dem ängstigen lassen, was nachher oder morgen vielleicht auf mich zukommen könnte.
Wir leben so oft im Gestern oder im Morgen - und ganz selten im Hier und Jetzt. Wir sind so oft festgehalten von dem, was Gestern war: von alten Erinnerungen, Verletzungen, Kränkungen. Oder wir leben auf das hin, was Morgen sein wird - in Angst, Befürchtungen, Hoffnungen. Und ganz selten leben wir Hier und Jetzt. Dabei leben wir wirklich nur: Jetzt. Genau in diesem Moment. Das Gestern ist vorbei, das Heute noch nicht da. Real und wirklich ist nur dieser Augenblick. Auf den will Jesus uns hinweisen. Diesen Augenblick leben und ihn mit seiner ganzen Wirklichkeit erfassen und gestalten.
Und Jesus geht noch einen Schritt weiter. Er will uns einen Weg zeigen, diesen Augenblick zu erkennen und zu er-leben. „Euch soll es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen. Dann wird euch alles andere dazu gegeben.“
Zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit! Hier begegnet uns das große „Zuerst“ Jesu. Gott und Gottes Wirklichkeit ist für ihn das „Zuerst“ seines Lebens.
Alfred Delp hat einmal sehr schön formuliert: „Wir stehen alle unter einem geheimen Imperativ, der uns in all unseren Handlungen antreibt!“ Der „geheime Imperativ“, der der große - manchmal gar nicht gewusste Motor unserer Handlungen und Entscheidungen ist. Was ist mein „geheimer Imperativ“, mein „Zuerst“?
Bei vielen Frauen - wohl auch Männern - ist die Sorge um die Kinder der entscheidende Motor für das Handeln. Vieles, vielleicht alles wird - zumindest in einer bestimmten Zeit - mit Blick und Rücksicht auf die Kinder geplant und entschieden. Für manche ist das Geld, die Macht, das eigene Ansehen, der Wunsch nach Heimat und Geborgenheit der eigene geheime Imperativ. Wenn man genau hinschaut, wird man erkennen, dass hinter all dem Angst steht - die Angst, die eigenen gesetzten Ziele nicht zu erreichen, die Angst, im eigenen Lebensentwurf zu versagen.
Das große „Zuerst“ Jesu speist sich aus einer anderen Haltung, aus dem Vertrauen. In der Lesung heute haben wir von der Klage Israels gehört: „Zion sagt: Gott hat mich vergessen! Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen? Eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergäße: Ich vergesse dich nicht! Spruch Gottes, des Herrn“ (Jes 49,14). Jesus lebt aus diesem Vertrauen. Und er wirbt um dieses Vertrauen. Wenn jemand dieses große „Zuerst“ zulässt, dann weiß er, dass das Reich Gottes darin besteht, dass wir Menschen aus dieser Gemeinschaft mit Gott leben. Dann wird er mit Sorgfalt seine Aufgaben tun - sich um die Kinder kümmern, die Arbeit machen, die Rente in angemessener Weise beantragen, aber er weiß auch, dass es noch etwas Größeres gibt, was gilt, wenn die eigenen Ziele sich in ihr Vorläufigkeit und Begrenztheit zeigen.
Wir sind auf dem Weg zum Reich Gottes - und wir leben bereits aus dieser Wirklichkeit. Wenn wir uns das bewusst machen, können wir unser Leben mit aller Freude und auch Begrenztheit leben - im Bewusstsein, dass die Vorläufigkeit dieses Lebens überholt ist von der zuvorkommenden Wahrheit Gottes.
Amen
Harald Fischer