Stoppt den Krieg in Gaza
Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten
Demonstration am 17. Januar 2009, 11.00 Uhr, Rathaus Kassel


Liebe Freundinnen und Freunde eines gerechten Friedens im Nahen Osten!

Wir sind hier, um unsere Sorge, Bestürzung, Empörung über die Situation in Gaza zum Ausdruck zu bringen.

Ich stehe hier als christlicher Theologe, als Priester der katholischen Kirche und als Mensch, der sich gebunden weiß an die Aufforderung Jesu Christi zur Gewaltfreiheit und zur absoluten Achtung der Menschenwürde eines jeden Einzelnen, weil jeder Mensch Geschöpf Gottes ist.

Und ich sehe die Vorwürfe, die die beiden kriegführenden Parteien einander machen:
Die Hamas in Gaza und deren Anführer in Syrien, die durch den fortwährenden Beschuss von südisraelischen Städten das Leben israelischer Zivilisten bedrohen und gefährden.
Dass die Hamas-Führer die schrecklichen Bilder von den in Gaza getöteten Zivilisten als Triumph und als Sieg im Propaganda-Krieg gegen Israel werten.
Dass sie Israels Existenzrecht nicht anerkennen und nach wie vor Israel ins Meer treiben wollen.
Man kann den Verantwortlichen der Hamas nur zurufen: Hört auf damit!
Ihr leistet eurem Volk keinen Dienst!
Es ist euer Volk, es sind eure Schwestern und Brüder, eure Kinder, die ihr auf diese Weise zur Zielscheibe der Rache und der gnadenlosen Vergeltung Israels macht.

Und wir hören die Vorwürfe, die Israel gemacht werden:
Der andauernde Beschuss eines ausgemergelt Volkes;
die Abriegelung des Gazastreifens, die verhindert, dass Frauen, Kinder und Männer  Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff erhalten;
der Beschuss ziviler Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Lebensmitteldepots und Wohnhäuser.
Der Hass der Betroffenen wird dadurch immer weiter geschürt und die Befürchtung, dass zukünftige Selbstmordattentäter auf diese Weise heranwachsen, ist nicht unbegründet.
Und auch hier muss man den Verantwortlichen in Israel zurufen:
Wie könnt ihr euch eine solche Haltung der Grausamkeit und der Unmenschlichkeit aufdrücken lassen?
Meint ihr, ihr würdet auf diese Weise Frieden schaffen?
Wie könnt ihr das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza in Kauf nehmen, die notwendigsten menschlichen und medizinischen Hilfsmaßnahmen verweigern und glauben, ihr hättet ein Recht dazu?

Vorwürfe auf beiden Seiten. Wo die wirkliche Wahrheit liegt, kann vermutlich kaum einer sagen. Im Krieg ist die Wahrheit immer das erste Opfer. Und wenn man versucht, miteinander ins Gespräch zu kommen, werden in der Regel nur vorgefertigte Positionen ausgetauscht, Vorwürfe und Aggressionen verfestigen sich.

Keiner von uns bestreitet Israels Existenzrecht. Gerade Deutschland hat aus seiner Geschichte eine besondere Verantwortung, darauf zu schauen. Und natürlich hat Israels Bevölkerung das Recht, in sicheren Grenzen zu leben.
Und der palästinensischen Bevölkerung kommt das gleiche Recht zu.

Bei meinen vielen Reisen nach Israel und Palästina sehe ich aber, dass die Palästinenser in Bethlehem hinter einer hohen Mauer eingesperrt sind.
Ich sehe, wie über 100 000 Menschen in Hebron in ihren Lebensmöglichkeiten beschnitten werden, um 400 radikale Siedler in diese palästinensische Stadt einzupflanzen.
Ich erlebe, wie viele Bewohner der Westbanks abgeschnitten sind: von ihren Olivenhainen, von Familienangehörigen, von freien Zugängen zum Arbeitsplatz oder zum Krankenhaus.
Wir wissen, dass die Bewohner von Gaza in einem großen Gefängnis leben, ohne Perspektive auf eine Zukunft.
Das alles wird begründet mit Israels Sicherheitsinteressen!



Liebe Freundinnen und Freunde in Israel!
So bekommt ihr keine Sicherheit.
So bekommt ihr keinen Frieden.
Beides gibt es nicht ohne die Palästinenser und erst Recht nicht gegen sie.
60 Jahre Israel und 60 Jahre Krieg in Israel haben das doch in aller Deutlichkeit und zur Genüge gezeigt.
Es gibt keinen anderen Weg als den, ernsthaft Verhandlungen zu führen.
Es gibt keinen anderen Weg als den, Vereinbarungen einzuhalten. Dazu gehört auch die UN Resolution, die Israel schon seit Jahrzehnten auffordert, sich auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen. Und dazu gehört auch, den jüngsten UN-Beschluss zur Waffenruhe anzuerkennen und einzuhalten.

Diese Forderung stellen wir natürlich auch an die Hamas:
Hört auf mit dem Beschuss Israels. Erkennt die legitimen Sicherheitsinteressen dieses Volkes an. Es gibt keinen anderen Weg zum Frieden.

Wie sollte Frieden werden, wenn nicht beide Seiten die Waffenruhe einhalten, die die UNO gefordert hat?

Im Evangelium, einem Teil der christlichen Bibel, gibt es eine Erzählung über Jesus, in der die Priester der damaligen Zeit eine Frau vor Jesus schleppen, die beim Ehebruch ertappt worden war. Nach den damaligen Gesetzen müsste die Frau zum Tod verurteilt werden. Die Priester fragen Jesus nach seiner Meinung - weil sie ihm eine Falle stellen wollen. Sie wissen, dass er diese Gewalt ablehnt. Aber wenn er das in diesem so eindeutigen Fall auch tun würde, wäre klar, dass er das Gesetz bricht. Das Gesetz spricht eine klare Sprache. In der Erzählung heißt es, dass Jesus auf ihre Fragen nicht antwortet. Er schweigt - und schreibt mit dem Finger in den Sand. Diese kleine Bemerkung finde ich hochinteressant. Jesus unterbricht den Kreislauf der Selbstgerechtigkeit und bringt einen Moment des Schweigens, der Stille in den Kreislauf der Anklage und der scheinbar selbstverständlichen und notwendigen Bestrafung. Als die Priester weiter auf eine Antwort drängen, richtet er sich schließlich langsam auf und sagt: "Wer von euch ohne Schuld ist, nehme den ersten Stein!" Da gingen die Männer langsam weg, einer nach dem anderen; die Ältesten zuerst.
Vielleicht ist es das Wunder dieser Erzählung, dass die Männer sich von dieser Ruhe, von diesem Wort haben anstecken lassen. Der scheinbar unausweichliche Kreislauf der Gewalt jedenfalls war durchbrochen und führte zu einem Moment der Selbstbesinnung.

Mir scheint, dass dies das Gebot dieser Stunde ist. Innehalten! Nachdenken! Auch Selbstkritik!
Legt eure Waffen nieder: Israelis und Hamas!
Sucht Wege zum Gespräch und zu Verhandlungen!
Und dazu gehört, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufhebt und sofort jegliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung einstellt sowie sofortige humanitäre und medizinische Hilfe zulässt.

Als Pfarrer kenne ich noch andere Wege, als nur den öffentlichen Protest. Und so möchte ich Sie einladen zu einem Gebet, einem Friedensgottesdienst.
Ich möchte Sie einladen, unsere Ohnmacht, unsere Trauer, unsere Bitten vor Gott zu tragen: Morgen Nachmittag um 17.00 Uhr in der Karlskirche.
Ich möchte Sie einladen zu einem Gebet, dass die Herzen der Verantwortlichen bewegt werden mögen von der Not der Unschuldigen, die leiden müssen.
Um ein Gebet für die Opfer, aber auch zu einem Gebet für die Verantwortlichen; dass sie ablassen von ihren verbrecherischen Handlungen und den Weg der Versöhnung und des Friedens gehen.

Ich danke Ihnen.

Harald Fischer