Jens Nedowlatschil: Kruzifix, Luftpolsterfolie, Klebeband (Konzeption mit Angela Makowski), Kirche Sankt Familia

Kreuzverhüllung, 2013, Kruzifix, Luftpolsterfolie, Klebeband
Konzeption: Angela Makowski und Jens Nedowlatschil

Produktion: Jens Nedowlatschil, Jens Gallo, Christoph Gallo und Benedikt Wilhelm

Kruzifix 2013

Die Kirchengemeinde Sankt Familia praktiziert in diesem Jahr eine neue Form der Kreuzverhüllung: Statt des Hungertuches, hinter dem in den letzten Jahren während der Fastenzeit das Kreuz verborgen war, ist es diesmal eine Noppenfolie, in die das Kreuz „eingepackt“ wurde – als würde es für eine Verschickung vorbereitet.
Die ungewöhnliche Kreuzesdarbietung war für die Gemeinde überraschend. Zu Beginn der Fastenzeit hat Pfarrer Fischer die Gemeinde aufgefordert, ihre Gedanken zum „verpackten Kreuz“ zu äußern. Die Rückmeldungen waren sehr persönlich und existentiell. Wir veröffentlichen sie hier und laden auch Sie herzlich ein, uns Ihre Gedanken mitzuteilen (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Jens Nedowlatschil
Kruzifix, Luftpolsterfolie, Klebeband
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Konzeption: Angela Makowski und Jens Nedowlatschil
Produktion: Jens Nedowlatschil, Jens Gallo, Christoph Gallo und Benedikt Wilhelm

Wer sich das Kreuz vor Ort ansehen will,
kann das jeden Tag zwischen 7 und 18 Uhr tun.
Die Kirche Sankt Familia ist offen (rechter Seiteneingang).

„Der Glaube braucht Bilder."
Von Angela Makowski und Jens Nedowlatschil
"Der Glaube braucht Bilder." Ein Wort, das auch unser Pfarrer, Harald Fischer,
gelegentlich benutzt. Das ganze Jahr über schaue ich mir das Kreuz an;
doch ist – jedenfalls von der Kirchenbank aus – das „aufgefahren in den
Himmel" der Figur am Kreuz kaum bemerkbar (von der Empore aus sehe ich
das Auffahren dagegen ganz deutlich). Wahrscheinlich braucht niemand das Bild
unseres Kruzifixus´, um das Glaubensbekenntnis an dieser Stelle nachvollziehen
zu können. Allerdings gehört das Kreuz liturgisch in eine römisch-katholische
Kirche. Dort soll es idealerweise das Thema des jeweiligen Kirchenjahrsabschnitts
verdeutlichen: jetzt also die Fastenzeit.
Das war die Ausgangslage, mich zu fragen, wie das Kreuz und der gesamte
Altarbereich vorösterlich und für unsere Zeit angemessen gezeigt werden
könnte. Jens Nedowlatschil und ich haben lange darüber gesprochen, was
2013 die Fastenzeit theologisch und für uns persönlich bedeutet. Durch die
Gespräche entstand bei Jens die Idee, das Kreuz von St. Familia in diesem Jahr
mit Luftpolsterfolie zu verhüllen. Das Bild ist dann weg – aber irgendwie doch
noch da. Doch was bedeutet es, kein traditionelles Bild mehr zu „haben“? Ist
damit auch mein Gottesbild, gar mein Gottglaube verloren? Das Kreuz scheint
zum Abtransport bereit, aber wohin reist es? Oder ist es gerade erst ins Haus
geliefert worden? Von wem? Brauchen wir überhaupt ein Haus Gottes für
unseren Glauben? Braucht Gott eine festgelegte Behausung? Aus anderer Sicht
wirkt das Kreuz verpuppt: Was entwickelt sich da? Und nochmals anders
geschaut, wirkt Form jetzt wie mit einem Verband umwickelt: Wer oder was ist
da verletzt, wer heilt gerade – oder heilt auch nicht?
Darüber hinaus ist der Altar frei geräumt, leer, keine Kerzen, Blumen oder
liturgische Gegenstände auf dem Opferstein. Der Gekreuzigte ist nicht
abgenommen, und wir konnten ihn nicht, wenigstens als letzten Dienst, feierlich
herrichten und mit Leinen verhüllen. Der Stein ist blank, das Bildnis ist unklar,
und der Altarraum leer, klar und hell. Der Raumschluss hinter dem Kreuz ist als
Projektionsfläche freigegeben für unsere persönlichen Gottesbilder. Von Predigt
zu Predigt, von Reaktion zu Reaktion auf die Verhüllung verändert sich meine
Beziehung zum Verhüllten, Verpackten, Verbundenen.

Predigt zum Nachhören
In der Predigt am 2. Fastensonntag ist Pfarrer Fischer auf den Sinn
dieser Aktion der „Kreuzverpackung“ eingegangen. In der Online-Mediathek
der Katholischen Krche Kassel kann die Predigt nachgehört werden ...

Die persönlichen Rückmeldungen
auf das verhüllte Kreuz über dem Altar von Sankt Familia


Verletztes wird heilen

Nach dem ersten erschreckten Wahrnehmen d i e s e s verhüllten Kreuzes mit
Kältegefühlen angesichts einer "Mumie" an diesem Ort - jetzt nach
wiederholtem Hereinnehmen Gedanken zu: Verletztes ist verbunden, kann
heilen, braucht Schutz,
Verletztes w i r d heilen, Geheiltes wird sichtbar werden, von Grund auf
Geheiltes, Geliebtes!

KF



Silbriger Glanz

Als ich bei einer Fastenpredigt das Kreuz sah, kam es mir nicht verhüllt vor, sondern ich sah zuerst den silbrigen Glanz.
Für mich bedeutet es ( jetzt in der Fastenzeit ): Er entzog sich ihren Blicken, aber der Glanz ( und Herrlichkeit ) bleiben!

WS



Hat Er sich uns entzogen?

Ein mir lieb und teurer Blick:
Christi Leib am Kreuz!
Für mich und uns am Kreuz gestorben!
Dieser Blick auf sein Leid am Kreuz ist uns für sechs Wochen genommen.
Hat Er sich uns entzogen?
Wie empfindet Er seine Nicht-Anwesenheit?
Braucht Er eine Auszeit von all diesen Dingen in Seiner Kirche, die nicht mehr „Seine“ ist?
Vielleicht ist es auch für Ihn nicht mehr zum Aushalten mit all diesen Themen in der Katholischen Kirche!?
Selbst Sein Stellvertreter auf Erden lässt Ihn im Stich: zu groß und drückend sind die anstehenden Aufgaben des Reform-Staus!
Ich glaube, es geht Ihm gut mit diesem verpackten Corpus: einfach mal nicht hinsehen müssen!
Und Ostern wird Er für uns herabsteigen vom Kreuz: Er wird uns zeigen, wie Er es gemeint hat:
Er wird einen jeden von uns umarmen, sich ihm zuwenden, Nähe und Begleitung anbieten, einfach nur da sein, der Jaweh-Gott in uns!

NN


 
Ich freue mich darauf, wenn es ausgepackt wird

Am Sonntag 24.2. habe ich voller Verwunderung das Kreuz angeschaut und ich empfand das Material, mit dem das Kreuz verpackt war, als abstoßend. Das ist Material, was man zum Umzug benutzt - einpacken und auspacken. Nicht schon wieder, ich hatte doch gerade einen Umzug hinter mir. (Meine Tochter ist umgezogen). Es war anstrengend gewesen.
Dann fragte ich mich, was mich denn so aufregt: Ich wollte nicht mehr "umziehen"! Lange habe ich nach einem zu Hause für meinen Kontakt zu Gott gesucht, eine spirituelle Heimat, etwas was mir in meinem Glauben Halt gibt. Es gab verschiedene Annährungen an andere Gemeinden, aber ich fühlte mich dort nicht wohl - missverstanden -, auf Fragen gab es keine Antworten. Nun fühlte ich mich in St. Familia von Anfang an wohl. Ein Pfarrer, der nicht ausklammert, wegschaut, verschweigt, der Zwiespalt zulässt, den alten erhobenen Zeigefinger in Frage stellt - eine Antwort darauf hat. Diese vielen wertvollen Gottesdienste, und mittendrin dieses große gewaltige Kreuz. Ich freue mich darauf, wenn es ausgepackt wird, vielleicht Stück für Stück. So wie ich auch die Auseinandersetzung mit Gott verstehe, manchmal unsichtbar, fremd, herausfordernd, unbekannt. Und dann ist da doch dieses Gefühl der Sicherheit und des Aufgehobenseins, des Angenommenseins, des Trostes und der Unterstützung.
Ich freue mich auf Ostern - die Verwandlung.

MM



Um welchen Schatz es sich handelt

Am Aschermittwoch ist mir die Verhüllung zunächst nicht aufgefallen, im Verlauf des Gottesdienstes habe ich sie wahrgenommen, und was mir als erstes auffiel, war das Verpackungsmaterial und die sehr exakte Ausführung der Verpackung. Und mir kam der Verpackungskünstler Christo in den Sinn. Durch Verhüllen altvertraute Gegenstände neu entdecken. Und die sorgfältige Durchführung der Verpackung führte zur Assoziation, dass hier etwas sehr Wertvolles und Wichtiges verpackt worden sein mus, sodass es keinen Schaden nehmen kann. Mir kam aber auch der Gedanke: da ist etwas verpackt worden, und es soll weggeschafft werden, weil man es nicht mehr brauchen kann.
Ich wäre bei der Verpackung gern dabei gewesen und ich stellte mir vor, dass auch die Enthüllung am Karfreitag im Gottesdienst stattfinden könnte, sodass alle wahrnehmen könnten, um welchen Schatz es sich handelt und welche (neue) Bedeutung er für mich erlangen könnte.

KK


 
Vorsicht, zerbrechlich! Schutzfolienkreuz

Kreuz und quer eingewickelt, sorgfältig und liebevoll
mit einem Noppenvlies, wie ein Verband
für die zugefügten Wunden,
und zugleich ein Schutz vor den Schlägen,
die seinen Leib immer noch treffen werden
auch oder sogar von seiner Braut, der Kirche selber.
Schutzfolie, die ihn nicht (noch nicht!) ganz verdeckt,
sondern eine Ahnung durchschimmern lässt
von seinen Konturen - - -
und neugierig macht auf die Enthüllung –
wenn endlich wieder Ostern sein wird.
Schon glänzt es silbrig, wie ein Himmelskörper,
geheimnisvoll, verheißungsvoll . . .

Lenk ihn auf die richtige Bahn, Du, sein Vater!
Lass ihn wieder und wieder dröhnend landen
auf unserer sehnsüchtigen Erde,
dass sie erschüttert wird bis ans Ende der Zeiten,
endlich endlos erschüttert durch seine Liebe,
wegen der zu uns er da oben hängt, in Schutzfolie,
weil wir auf ihm immer noch herumtrampeln.
Als ob die dickste Schutzhülle der Welt
ihn davor schützen könnte!
Aber das wiederum ist es ja,
warum wir noch an ihn glauben können.
Weil es eine größere Liebe nicht gibt, als die.
Eine Liebe, die immer noch, immer wieder
für unsere Sünden gekreuzigt wird.
Weil er bei uns ist bis ans Ende der Welt.
Durch alle Schutzhüllen hindurch.

HVB


 
Was es birgt

Kruzifix in der
Noppenfolie-
Alltagsmaterial
Reflektiert
Das Licht
Wird lebendig
Kostbar
Äquivalent
Zu dem
Was es birgt.

CS


 
Deutliche Erkenntnis

1. Ist ja ein starkes Bild... eine Provokation?!
2. Hat es etwas Ästhetisches?
3. "Mein" bildhafter Jesus fehlt mir an "meinem" Kreuz... und damit verbunden fehlen Hoffnung und Trost. Mich überrascht diese deutliche Erkenntnis. ( Mir wird außerdem bewusst,wie stark ich emotional an "meine" Kirche gebunden bin ).

EL


 
Es muss dort hängen

Als ich gestern Abend in die Kirche kam und nach vorne sah, war mein erster Gedanke: „Seit wann hängt denn da im Altarraum ein silbernes Kreuz? Ist da Neu?“
Bedingt durch das Licht schien es wirklich ein ganz anderes, neues, ein riesiges silbernes Kreuz zu sein, welches dort hängt. Und erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass das Kreuz nicht nur verhüllt, sondern eingepackt worden war.
Zuerst wieder sehr befremdlich für mich, da ich die Kreuzverhüllung nur aus der Karwoche kannte… nicht schon zu Beginn der Fastenzeit…
Aber es ist ja nicht „nur“ verhüllt! Nein, es ist vollständig eingepackt. Verpackt. Weggepackt?

Im Duden wird „wegpacken“ erläutert als:
1. Von einer Stelle wegnehmen und an eine andere (dafür vorgesehene) Stelle packen
2. (umgangssprachlich) sich fortpacken
Synonyme zu wegpacken sind: einpacken, sich entfernen, verschwinden, sich verziehen – aber es wurde ja nicht weggenommen und an eine andere Stelle gepackt… Es gibt auch gar keine andere hierfür „vorgesehene“ Stelle… Kann es auch gar nicht! Es muss dort hängen, dort sichtbar sein, ganz egal, ob verhüllt oder eingepackt.

Ich will nicht einpacken,
ich will mich nicht von diesem Kreuz entfernen;
ich will nicht, dass es aus meinem Leben verschwindet, und
ich will mich nicht verziehen, damit ich mich seinem Anblick nicht mehr aussetzen muss.

S


 
Die Quintessenz fehlt

Im ersten Moment, als ich das umwickelte Kreuz am Rosenmontag sah, dachte ich, es sei brüchig geworden und man habe es umwickelt, damit keine Bruchstücke herunterfielen und es werde nach den Feiertagen zur Reparatur gegeben. Aber dann fiel mir ein, dass in 2 Tagen die Fastenzeit beginnt und dass diese Wickelbänder das Hungertuch vorstellten. Da fand ich es sehr gut. Es hat mich zu folgenden Gedanken inspiriert.
Die vier Balken sind noch da, die vier Dimensionen der Welt, aber das Fünfte, die Quintessenz, fehlt: der Menschensohn (stellvertretend für jeden Menschen), der auf dem Kreuz der Welt leidet, stirbt und befreit. Eine wehmütige, ja schmerzliche Sehnsucht weckende Empfindung: alleingelassen auf unserem Kreuzweg.
Wenn man genauer hinsieht, ist der Korpus am Kreuz noch zu ahnen, nur zu ahnen, man ist nicht gewiss. Um sicher zu sein, müsste man die Hüllen abwickeln. Mir fiel ein Wort von Meister Eckart ein, an das ich oft denke: "Nicht durch Hinzutun, sondern durch Abtun wird Gott in der Seele erkannt". Es ginge jetzt darum das "Abwickeln" in der Seele ins Werk zu setzen. Aber wie und wo beginnen?
Auch das Kreuz ist so dicht umwickelt mit Folie, dass der Anfang schwer zu finden wäre. man müsste also erst einmal genau hinschauen in die Seele, wo man die Abwicklung beginnen könnte. Mehr und mehr, Schicht um Schicht, käme bei dieser Enthüllung diese Quintessenz zutage, bis man ihr vielleicht eines Tages, vielleicht am letzten, direkt, Auge in Auge gegenüberstände. Das hoffe ich.

LP


 
Atemnot

Eine Idee, die mich berührt und ein Anblick, der gar nicht so leicht zu ertragen ist. Ich fühle eine Beklemmung, bekomme Atemnot unter so viel fest umwickelter Plastikfolie. Oder ist es eher ein Schutz? Ist etwas Wertvolles aufwendig gesichert und wartet auf den Moment der freudigen Enthüllung, um sein kostbares Inneres zu zeigen?
Nun bin ich auch ein wenig gespannt, wie sich die Eindrücke verändern im Laufe der 40 Tage, was an neuen hinzukommt, was vielleicht intensiver wird. Eine tolle Aktion.

S


 
Nie

Ich mag das in der Fastenzeit verhüllte Kreuz nie – weder mit Hungertuch, noch mit Plastikfolie. Der Grund liegt darin, dass ich den Jesus, der selbst am Kreuz und im Tod noch in der Gnade Gottes gestanden hat, mit den Augen nicht mehr fixieren kann. Mein sichtbarer Bezug dieser Heilszusage ist weggebrochen und dadurch bin ich ganz schön „zum Fasten“ gezwungen.
Diese Noppenfolie allerdings macht das verhüllte Kreuz noch unerträglicher als ein Hungertuch, denn sie erinnert mich an Pakete, die per Post verschickt werden. Die Folie dient zwar dazu, den Inhalt des Paketes zu schützen, aber das unangenehme Gefühl, dass das Kreuz gleich in ein riesengroßes Paket gesteckt und mit der Post versandt wird, lässt sich nicht so recht abschütteln. Es bleibt damit unterbewusst ein Rest von Angst, dass die letzte Hoffnung auf einen sichtbaren Bezugspunkt der tiefen Gnade Gottes auch noch verschwindet und ich nicht mal mehr das verhüllte Kreuz fixieren kann.

SK


 
Jesus wird eingehüllt

Seine Wahrheit, die er mit auf die Erde gebracht hat, wird uns noch lange verborgen bleiben. Unsere Aufgabe ist es, diese zu ergründen.

HR